Donnerstag, 30. Juni 2011

Feudale Kunst

Für alle, die sich für den zeitgenössischen, d. h. feudalen Kultur- und Kunstbetrieb interessieren: http://feynsinn.org/?p=8888

Stolpersteine bei der Frauen-WM


Professor U. E. aus Mainz schreibt mir:
„Gestern (28.6.) Frauen-WM im Spiel USA gegen Nordkorea: ‚Der erste Meilenstein in Richtung Titel ist getan’.
Ich habe manchen Versuch unternommen, mir vorzustellen, wie man einen Meilenstein tut. Natürlich könnte man mit mehreren Helfern zusammen einen jener alten Entfernungshinweise in Stein in irgendeine Richtung ‚tun’, halt ein Stück versetzen, aber doch nicht auf einem Fußballplatz. Das würde die Spielerinnen doch hindern. Der Spielfluss wäre hin. Und in Richtung Titel kann ich mir Schritte vorstellen; aber Schritte als Steine - ich bin überfordert.“

And the winner is ....

„Berufstätigkeit beziehungsweise Erwerbsarbeit als Ressource für Gesundheit zu betrachten, bedeutet konsequenterweise die Konzeption eines Unterstützungskonzeptes zur gesundheitsförderlichen Integration in den Arbeitsmarkt als anwendungsorientiertes Ziel des Projektes. Dieses Ziel soll durch ein mehrdimensionales Qualifizierungsprojekt mit den vier folgenden Hauptschwerpunkten erreicht werden“.[1]
Ist das nicht herrlich? Eine Drechslerarbeit sondergleichen! Eine Tätigkeit als Ressource zu betrachten bedeutet eine Konzeption, und dies nicht einfach nur so, sondern gleich konsequenterweise, und die Tätigkeit zu betrachten bedeutet sogar eine Konzeption eines Konzepts. Und die Integration ist nicht ein ordinäres Ziel, sondern ein orientiertes Ziel. Worauf da wohl orientiert wird? Auf das Ziel? Oder wird auf die Orientierung gezielt? Und was wohl Dimensionen, also Ausmaße eines Projekts sein mögen? Eines Projekts noch dazu, das nicht nur Schwerpunkte, die ja schon für sich etwas irgendwie Hauptsächliches sind, sondern Hauptschwerpunkte hat? 
Das, meine ich, hat den ersten Preis verdient. Aber in welcher Disziplin? Und wie nennen wir ihn? Irgendwas mit "award" natürlich, auch wenn das zu prämierende Werk, soweit ich sehe, anglizismenfrei ist. Ich hoffe auf Vorschläge der Leser.

Mittwoch, 29. Juni 2011

Aufkeimende Bottom-up-Prozesse

"Man sollte nämlich nicht blind gegenüber der Tatsache sein, daß aufkeimende Bottom-up-Prozesse nicht nur oft von oben her selbstherrlich abgewürgt werden, sondern daß diese nicht selten auch von unten durch selbstbedienenden Mißbrauch kaputt gemacht werden.“ (Horst Tiwald, Zur gesunden und kranken Unternehmenskultur, Kompromiss und Optimierung[1].)
Die Prozesse werden also nicht, wenn sie schon mal aufkeimen, kaputtgemacht, sondern sie keimen gar nicht erst auf, d. h. sie gehören nicht zu dem, was von selbst geschieht, sondern werden gemacht, und zwar gleich als kaputte hergestellt: Sie werden kaputt gemacht. Gegen, bzw. wie man in der Wirtschaftswissenschaftlerbranche lieber sagt, „gegenüber“ etwas, was nicht gemacht wird, sondern von selbst geschieht, z. B. aufkeimt, hegt man hier trotz aller Bemühungen um eine „gesunde Unternehmenskultur“ nach wie vor ein gewisses Mißtrauen.
Überaus beliebt jedoch ist in diesen Kreisen das „Bottom up“. Es bedeutet dort ungefähr „von unten“, was ja auf nicht weniger Mißtrauen stoßen sollte als das Aufkeimen. Das Rätsel dürfte sich so lösen: Im Amerikanischen, aus dem man Bottom up übernommen hat, ist die Hauptbedeutung von bottom „Arsch“, während up „hoch“ heißt. Und das aus beidem gebildete Kommando ist den Wirtschaftsführern und den Denkern, die sie sich halten, ja geläufig und sympathisch.



[1] www.tiwald.com/wisstexte/unternehmen/kompromiss_optimieren.doc

Dienstag, 28. Juni 2011

Eine Theorie des sprachlichen Fortschritts

Während es sonst auf diesen Seiten mitunter recht lustig zugeht – nicht, weil der Autor dem Humor besonders zugetan wäre, sondern weil es oft gar zu lustige Vorkommnisse sind, die er zu kommentieren hat – wird es dieses Mal ernst, nämlich wissenschaftlich.
Sprachwissenschaftler mögen im allgemeinen die Sprachwandelkritiker, die sie gern Sprachnörgler nennen, nicht. Sie bringen folgenden Einwand vor: Wir haben in jahrzehntelanger mühevoller Forschungsarbeit herausgefunden, was jeder sowieso schon weiß, nämlich daß die Sprache sich ständig wandelt. Wenn sie sich aber wandelt, dann liegt das oft, ja meist daran, daß das, was heute als Fehler gilt, morgen als richtig angesehen wird. Ist  das aber so, dann ist doch gar nichts dagegen zu sagen, wenn jemand Fehler macht. Und wenn besonders viele Fehler gemacht werden, dann ist das nur ein Zeichen dafür, daß die Sprache sich gerade ein wenig schneller wandelt, und als fortschrittliche Menschen, die wir sind, ist uns Veränderung als solche ja sympathisch. Die naheliegende Konsequenz, die Abschaffung des Deutschunterrichts zu fordern, haben allerdings meines Wissens bisher nur wenige gezogen.
Andere Wissenschaftler, nämlich Logiker, beginnen die Stirn zu runzeln, wenn sie das hören, aber mit den Logikern haben’s unsere Sprachwissenschaftler nicht besonders. Der logische Fehler ist der sogenannte Sein-Sollens-Fehlschluß. Den machen die Sprachwandelkritiker allerdings meist auch, indem sie nämlich zu der Auffassung neigen, daß das, was jetzt als richtig gilt, auch in Zukunft als richtig zu gelten hat.
Uns scheint es darum an der Zeit, diesen irrigen Auffassungen eine umfassende Theorie des Sprachwandels entgegenzusetzen, von der wir aus Platzgründen in diesem Blog leider nur eine Skizze bieten können.

Die Sprache ändert sich ständig. Das kommt in den meisten Fällen dadurch zustande, daß irgendwer einen Fehler macht, z. B. einen Rechtschreibfehler, einen Grammatikfehler, oder er benutzt Wörter in falscher Bedeutung, ihm mißlingt eine Metapher oder ihm unterläuft irgend ein anderer Stilschnitzer. Der fehlerhaft Sprechende sammelt eine erste Gruppe von Anhängern um sich[1], die nicht merken, daß es sich um einen Fehler handelt, wohl aber von der Neuheit beeindruckt sind, weil sie Neues grundsätzlich für besser halten als Altes, und zwar deshalb, weil sie mit diesem nicht zurechtkommen. Das heißt, daß sie mit dem Alten, also dem richtigen Sprechen, Schwierigkeiten haben und sich darum immerzu verlacht fühlen. Oft haben sie auch Schwierigkeiten anderer Art, vor allem mit sich selbst, und dann greifen  sie nicht nur  nach völlig Neuem, sondern auch nach dem, was ihnen in irgendeinem Sinn aus einer höheren Sphäre zu kommen scheint und dort durchaus schon älter sein kann.
Diese ersten Anhänger sind, eben wegen ihres quälenden Gefühls, so klein zu sein oder so sehr am Rand zu stehen, daß man sie nicht hört, im allgemeinen außergewöhnlich laute Menschen, und darum hat, obwohl es erst nur wenige sind, doch der anfangs weit größere Rest der Sprachgemeinschaft bald den Eindruck, daß man halt so redet und schließt sich an.  
Die Neuerungen sind in den meisten Fällen neue Wörter, oder wie wir Sprachwissenschaftler sagen:  Der Wandel findet vorzugsweise auf der lexikalischen Ebene statt, weniger auf der strukturellen. Vor allem die importierten Neuwörter sind oft weder falsch noch häßlich noch dumm oder in irgendeiner anderen Hinsicht kritikwürdig; nicht selten fügen sie sich auch ganz gut in die deutsche Sprache ein. Aber man merkt ihnen an, daß sie denen, die sie benutzen, helfen, mit dem Gefühl der eigenen Minderwertigkeit fertigzuwerden, und daß das der primäre Daseinszweck dieser Wörter im Deutschen ist. Man riecht ihnen, wie wir anderswo – leider an einer in einem wissenschaftlichen Text wie dem vorliegenden nicht zitierfähigen Ort – ausführlicher dargelegt haben, den Schweiß an, den die Angst vor der Entdeckung ihrer Mickrigkeit ihren Sprechern heraustreibt. Meist handelt es sich um Importe aus Ländern, die man mit der großen Welt in Verbindung bringt – heute Amerika, früher Frankreich –, oder sie stammen, wir deuteten es bereits an, aus dem Jargon von Gesellschaftsschichten oder Berufsgruppen, die man für etwas Besseres hält; so breiteten sich die Fremdwörter griechisch-lateinischen Ursprungs aus, ebenso Wörter aus wissenschaftlichen Fachsprachen und aus der Amtssprache. An sich sind diese Wörter also oft harmlos oder haben gar lobenswerte Eigenschaften. Da sie aber nun unvermeidlich mit dem Subtext „Ich bin gar nicht das Würstchen, der Provinzler, der Banause, für den du mich hältst; hör’ doch nur, welch kraftvolle Superlative ich verwende, wie weltgewandt, wie gebildet ich mich ausdrücken kann“ verknüpft sind, weil sie also den Geruch ihrer Sprecher angenommen haben, sind sie leider ganz unverdient mit dem, was von vornherein mißraten ist, in eine Klasse geraten.
Damit dieser Mechanismus des sprachlichen Fortschritts gut funktioniert, hält sich die Gesellschaft Journalisten. Sie vereinen alle erforderlichen Eigenschaften: Ihre Kenntnisse der deutschen Sprache sind im allgemeinen bescheiden, ihr Ansehen mäßig, ihr Selbstwertgefühl darum niedrig, weshalb sie von den Politikern und Bürokraten, die von ihnen verehrt werden und die noch schlechter Deutsch können, jeden Mist sofort übernehmen (und umgekehrt), und sie sind laut wie keine andere Gruppe.
Der Leser wird fragen, warum wir hier von Fortschritt sprechen, wo dieses Wort doch mit dem Gedanken eines fortwährenden Besserwerdens verbunden ist, während es nach dem bisher Ausgeführten scheinen könnte, also ob die Sprache im Laufe der Zeit immer ungenießbarer werden müßte. Wir könnten es uns leicht machen und sagen, Fortschritt solle hier diese Bedeutung nicht haben, sondern werde ganz wertungsfrei im Sinnes eines Schreitens vom jeweiligen Zustand fort gebraucht[2]. Aber so ist es nicht. Es handelt sich durchaus um einen Fortschritt zum Besseren hin. Fehler sind keine mehr, wenn sie auch von den wenigen, die Deutsch können, ohne Schwierigkeiten eindeutig mit dem gemeinten Sinn verknüpft werden, und das ist der Fall, wenn der nicht gemeinte Sinn, der ihnen anfangs ins Auge sprang und den nur die Sprecher und ihresgleichen nicht bemerkten, verblaßt ist. Und der penetrante Geruch der Neuerungen und der Importwörter verliert sich in dem Maße, wie sie sich ausbreiten, denn wenn alle so reden, kann man sich damit ja nicht mehr herausheben; der Gestank von „Bullshit“ ist schwer zu ertragen, aber der Gebrauch von Wörtern englisch-amerikanischer Herkunft wie „Sport“, „Trainer“ oder „Jeans“ eignet sich heute nicht mehr, seine Weltläufigkeit zu demonstrieren. Im Laufe der Zeit hat sich aber mit der Semantik der Importwörter einiges ereignet. Sie bedeuteten von Anfang an nie ganz genau das, was irgendein deutsches Wort bedeutet, und darum ist auch die hirnrissigste Neuerung zugleich eine Bereicherung. Aber am Anfang liegt die Nuance, um die sich ein der englischen Sprache entnommenes Wort von dem unterscheidet, an dessen Stelle es getreten ist, im allgemeinen nur in jener Zusatzbotschaft: Ich bin gar nicht  das Würstchen usw., und die Bereicherung besteht eben darin, daß genau dies nun auf eine neue und oft anders nur schwer mögliche Art mitgeteilt werden kann. Allmählich jedoch verknüpft sich das neue Wort mit allerlei Gedanken, mit denen weder das deutsche Wort, an dessen Stelle es trat, verknüpft war, noch irgendein angeblich deutsches Ersatzprodukt von der Art der „Anschrift“, das man in der Hoffnung ausklügelte, es könnte das französischstämmige „Adresse“ aus dem Land drängen, je verknüpft werden kann.[3] Das Importwort ist dann unentbehrlich geworden, obwohl es nach wie vor schlecht riecht, und wer die Nuance ausdrücken will, die sich nur mit ihm, ohne es allenfalls durch umständliche Erläuterungen fassen läßt, gerät in einen entnervenden Konflikt. Der endet, wenn der Geruch verflogen ist, und die deutsche Sprache ist nun um neue Ausdrucksmöglichkeiten reicher. Mit Fug und Recht also können wir hier von Fortschritt im vollen Sinn des Wortes sprechen. – Damit ist auch eine Frage beantwortet, die seit 1000, wenn nicht 2000 Jahren einen Teil der Wissenschaft, nämlich die theologische, unter der Bezeichnung Theodizee plagt: Warum hat Gott die Knalltüten überhaupt erschaffen oder wenigstens ihre Erschaffung (durch den Teufel, der wird’s ja dann wohl gewesen sein) zugelassen? Er ist doch allmächtig und hätte das nicht tun müssen, und er kann doch an ihnen keine Freude haben, das widerspräche der Notwendigkeit anzunehmen, daß er absolut vollkommen und also auch in Dingen des Geschmacks vollkommen ist. Wir haben einen Teil der Antwort gefunden: Indirekt tragen sie dazu bei, daß die Sprache reicher wird, und daran wird er schon seine Freude haben. Offen bleibt die Frage, ob es denn keinen anderen Weg zu diesem Ziel gegeben hätte. Nun, ein paar Geheimnisse unenthüllt zu lassen steht auch uns Wissenschaftlern gut an.

Der sprachliche Fortschritt scheint auf dem ersten Blick dem Fortschritt in technischen und künstlerischen (insofern man hier überhaupt von Fortschritt reden kann) Dingen in einem bestimmten Aspekt ähnlich. Auch der Erfinder wird oft zunächst verlacht, man hält seine Ideen für abwegig, und das revolutionäre Kunstwerk geht unter im Buhgewitter. Aber mit dem Sprachfortschritt verhält es sich in einer wichtigen Hinsicht anders, nämlich so wie mit der Mode. Einige skurrile, vom Rest der Gesellschaft zu Recht verlachte Figuren setzen sich als erste den neuen Hut auf und nach einiger Zeit tragen ihn alle. In der Mode wie in der Sprache sind es nicht die kühnen und scharfen Denker und die Kraftgenies, sondern die Dumm- und Knallköpfe, die den Fortschritt vorantreiben. Während man nach einiger Zeit merkt, daß man den Erfinder zu Unrecht verlacht, den Komponisten zu Unrecht ausgebuht hat, sie das also auch im Moment der Neuerung nicht verdient haben und darum rehabilitiert werden, geht es dem Modegecken nicht so. Er wird nicht zum bewunderten Neuerer, wenn alle so herumlaufen wie er es als erster vorgemacht hat, er ist, wenn die etwas paradoxe Formulierung erlaubt ist, damals für alle Zeiten ein Modegeck gewesen. Und ein Sprachfehler bleibt für die Zeit seiner Einführung ein Sprachfehler, er wird nicht im Nachhinein für diese Zeit richtig, auch wenn er nun kein Fehler mehr ist; wer ihn als erster aufgegriffen und verstärkt hat, war damals entweder ahnungslos oder er war ein Sprachmodegeck. Sollte er das inzwischen nicht mehr sein, ist es auch mit seinem segensreichen Wirken im Dienste des sprachlichen Fortschritts vorbei.

Natürlich ist der Gang der Dinge nicht immer so, und wenn Sie, verehrter Leser, in Ihrem Wortschatz „Trainer“ durch „Coach“ ersetzt haben, dann haben Sie sich sicher nicht aufblasen wollen, sondern waren getrieben von ehrenwerten Motiven. Vielleicht haben Sie ja gedacht: Da spare ich zwei Buchstaben ein, und Sparsamkeit ist und bleibt eine Tugend. Und es gibt Neuerungen, an denen vom Augenblick ihres Auftauchens an nicht nur nichts auszusetzen ist, die nicht nur unmittelbar eine Verbesserung darstellen, sondern denen man sogar die Genialität ihrer Schöpfer anmerkt. Man weiß ja, daß die deutsche Sprache von Goethe um neue Worte bereichert worden ist. Andere ähnlicher Größe haben es auch versucht, sind aber gescheitert, z. B. Karl Valentin; sein „zerwutzelt“ hat sich leider nicht halten können. Und schließlich sind manche Neuerungen zwar Fehler oder stilistisch unmöglich, aber sie haben doch einen ganz anderen Ursprung als jenen Drang, größer scheinen zu wollen als man zu wirken glaubt und auch nicht so etwas doch ein bißchen Pedantisches wie das Bemühen um Sprachökonomie: Den Anfang machen oft Jugendliche, Stammtischbesatzungen, vornehmlich Dialekt sprechende, und ähnlich schöpferische und mit Recht um Regeln und Traditionen sich nicht kümmernde Kreise. Ihre Kreationen sind oft genial, funktionieren aber im Hochdeutschen nicht. Manche, die letzteres sprechen, benutzen sie ironisch – so wie sie auch die deppenhaften Erzeugnisse von Bürokraten, Politikern, Journalisten, Werbefuzzis usw. ironisch aufgreifen und damit verstärken – und sorgen so ungewollt dafür, daß sie sich unter denen durchsetzen, die weder die Ironie bemerken noch die Untauglichkeit im Hochdeutschen.
Aber in den meisten Fällen erklärt sich der Sprachwandel auf die oben beschriebene Weise. Die falsche Verwendung von „Erhalt“ z. B. hat sich so durchgesetzt: Das Wort wurde vor Jahrzehnten von einem korrekten Beamten zur Welt gebracht, und der wußte, was er damit sagte. Aber in den sprachkomtepenzdefizitären Schichten – in einem streng wissenschaftlichen Text wie dem vorliegenden darf ich mir dieses streng klingende, ja sogar etwas streng riechende Wort erlauben –, die es aufschnappten und sofort gierig hinunterschlangen und wieder von sich gaben, weil ihnen die Welt der Beamten als eine höhere erschien, hat man es nicht verstanden und mit „Erhaltung“ verwechselt. Über lange Zeit hin fristete der Fehler ein bescheidenes Dasein in Periodika von der Art des Dinkelsbühler Gaststättenboten, in Flugblättern[4] von Naturschützern, die für den Erhalt des Regenwalds stritten, obwohl wir den schon seit Menschengedenken haben, und von Gewerkschaftern; da kämpften seltsamerweise die, die schon im Besitz von Arbeitsplätzen waren, für deren Erhalt, also dafür, welche zu bekommen. Der falsche Gebrauch dieses Wortes war, wie wir Wissenschaftler es ausdrücken, ein negatives soziales Distinktionsmerkmal, ähnlich dem Vornamen Kevin. Vor kurzem aber ist die Gleichsetzung von Erhalt und Erhaltung oben angekommen, nämlich in der Zeit und in der FAZ. Bis es allerdings so weit ist, daß wir von einer Bereicherung sprechen können, ist es noch einige Zeit hin, denn das einzige, wodurch sich dieses Wort, sofern falsch verwendet, in seiner Bedeutung von „Erhaltung“ unterscheidet, ist eben jene Auskunft über die Sprachkompetenzdefizite (siehe oben) der Sprecher, die es uns gibt. Da man aber bei Zeit- und FAZ-Journalisten Sprachkompetenz wenigstens so weit voraussetzen darf, daß sie besagten Unterschied kennen, sie ihn also nur deshalb nicht beachten, weil er ihnen egal ist, ist „Erhalt“ in der Bedeutung von „Erhaltung“ völlig überflüssig geworden.
Das war in aller Kürze die Theorie. Man darf wohl keine großen Hoffnungen hegen, daß sie sich unter den Linguisten bald durchsetzen wird. Von diesen abgesehen scheint sie uns aber schon heute weithin akzeptiert – so sehr, daß wir mitunter an unserer eigenen Urheberschaft zweifeln und zu glauben beginnen, wir hätten sie, wenigstens ihre Kerngedanken, irgendwo auf der Straße oder in einer Kneipe aufgelesen. Wir wollen sie in Anlehnung an Karl Popper, der seine „Scheinwerfertheorie des wissenschaftlichen Fortschritts“ der empiristischen „Kübeltheorie“ gegenübergestellt hat, Knalltüteneffekttheorie des sprachlichen Fortschritts, kurz Knalltütentheorie nennen.



[1] Damit jetzt nicht einer „Guttenberg“ schreit: Das ist von Th. Kuhn.
[2] Auch hier kann ich wieder auf Th. Kuhn verweisen.
[3] Siehe dazu die „Sprachlehre“ von K. Kraus, gleich zu Beginn des Textes.
[4] Für die Jüngeren unter Ihnen: So hieß früher das, was Sie unter dem Namen Flyer kennen.

Montag, 27. Juni 2011

CSU-Minister: Hineinintegration leben

„Diese Menschen“ – er meint die Einwanderer oder im Jargon seiner Kaste: die Migranten, also die Wanderer (siehe Migranten) – „können ihre eigenen Überzeugungen in einem gewissen Rahmen natürlich auch hier weiter leben. Aber klar ist, dass unsere gewachsene Verfassung und Werteordnung gilt. Und in die hinein wird integriert.“ Das sagte Radio Vatikan zufolge der bayerische Minister Herrmann.[2]
Daß ein bayerischer Minister jetzt auch schon so redet wie all diese allerpeinlichsten Figuren, denen es nicht reicht, Frau, christlich, schwul oder sonstwie zu sein, sondern die unbedingt ihr Frausein, ihr Christsein oder ihr Schwulsein leben wollen! Oder die gar, wie der FDP-Vorsitzende Westerwelle, Maßstäbe leben möchten![3] Und da hielt man die CSU immer für eines der letzten Bollwerke gegen diese Flut. Man ist in Bayern so stolz auf die von PISA getesteten Schulen, und in denen sollte man doch gelernt haben, daß „leben“ intransitiv ist und es „diese Menschen können nach ihren eigenen Überzeugungen hier weiter leben“ heißen muß, natürlich nur „in einem gewissen Rahmen“, während Herr Herrmann seine eigenen Überzeugungen selbstverständlich voll und ganz leben darf. Und gelernt müßte man auch haben, daß man nicht in etwas hinein integriert wird, sondern einfach integriert. Aber vielleicht ist das in Ländern ja anders, in denen Verfassungen nicht beschlossen werden, sondern wachsen.




[3] Er halte es für „wichtig, daß wir unsere eigenen Maßstäbe von Toleranz leben“ (taz, 12. August 2010).

Samstag, 25. Juni 2011

Blog-Einbürgerung


Professor L. F.  aus Hamburg, Germanist, hat angeregt, nach einem Ersatz für "Blog" zu suchen (in einer Email am 2.2.2011). In der Tat, das ist dringend nötig. Blog klingt, wie übrigens Job auch, nach verstopfter Nase, ja überhaupt nach Verstopfung. 
Ich habe mich darum in der Welt umgesehen. Zwar scheinen die meisten Völker unter einer ähnlichen Last von Minderwertigkeitskomplexen zu stöhnen wie die Deutschen und trauen sich daher vom Englischen nicht abzuweichen, aber doch nicht alle, und so ist durchaus einiges im Angebot. Die größte Eigenständigkeit beweisen die Litauer; Blog heißt Dienorastis, mit einem Häkchen auf dem s vor dem t. Aber das befriedigt doch nicht alle Anforderungen, es klingt altgriechisch und weckt Assoziationen vornehm-würdiger, heroischer und tiefsinnig-bildungstriefender Art, die zum Begriff des Blogs nicht passen wollen. Gar nicht schlecht sind die Chinesen. Wie sie das Wort schreiben, habe ich mir nicht gemerkt, aber sie sprechen es etwa buöklchö oder büochlkjöl; ein Einbürgerungsversuch dürfte leider aussichtslos sein. Die Holländer schreiben blog, sagen aber bloch, manche Skandinavier schreiben auch blog, sprechen aber blok. Am besten gefallen mir die Finnen. Bei denen heißt es blogi. Das hört sich nach Verkleinerungsform an, und man könnte sich davon bei uns zu einem regional differenzierten Sprachgebrauch anregen lassen: Blöggli (oder Blökchli) in der Schweiz, Blögle oder Blögele in Schwaben, Blöggerl in Bayern und Österreich, Blöggla in einigen, Bleggla in anderen Teilen Frankens, Blöggsche in Teilen des Rheinlandes, Blöggeken in manchen norddeutschen Gegenden usw. So könnte man die Diversity (siehe Perlenfischen im Diversity Management) der Welt um einiges anheben.





Freitag, 24. Juni 2011

Intelligenz

„Intelligenz ist des Menschen edler Vorzug“, meinte Herder vor über 200 Jahren.[1] Kein anderes endliches Wesen, so glaubten die Weisen über die Jahrtausende, hat Gott mit diesem Vorzug ausgestattet. Jetzt aber wissen wir: Er hat sich bloß lange Zeit gelassen, bis er den nächsten Schritt tat. Erst seit ganz wenigen Jahren gibt es nicht nur – womit ja fast zu rechnen war – intelligente Hunderassen, sondern auch intelligente Möbel, Küchen, Schlafzimmer, Autos, Tische, intelligente Rucksäcke mit wearable technology, intelligente Schuhe und Unterwäsche, intelligente Socken für aktive Leute, intelligentes Gemüse und Obst, intelligente Nägel, wobei ich nicht weiß, ob das Finger-, Fuß, Reiß- oder Sargnägel sind, intelligente Kissen und sogar intelligente Steine, und zwar bei Lego, aber auch bei der Pflastererfirma Schaffner-Maierhofer in Kaibing. Nur auf die Erschaffung intelligenten Strohs hat die oberste Intelligenz bisher mit Rücksicht auf unsere Sprachgewohnheiten verzichtet und es so dumm gelassen wie eh und je. Aber die Gentechniker, unter denen es ja auch intelligente, ja geradezu Intelligenzbestien geben soll, werden diese Lücke sicher bald schließen.



[1] Zehnte Sammlung,  Herder-HB Bd. 2, 310


Donnerstag, 23. Juni 2011

Polen und Hexen

Ich hab’ nichts gegen die Aufnahme fremdsprachiger Wörter ins Deutsche, wirklich gar nichts. Wo wären wir heute ohne Fenster und Krokodil, ohne Joghurt und Sauna, Wörter, die aus dem Lateinischen, Griechischen, Türkischen und Finnischen stammen? Wir wüßten ja gar nicht, wie wir zu diesen Dingen sagen sollen. Aber eine Bitte hätte ich doch: Es sollte etwas langsamer gehen, nur so schnell, daß ich mit dem Sprachwandel mitkomme. Das erste Auftreten eines Neuworts müßte ein solches Ereignis sein, daß alle darüber reden und es monatelang keiner benutzt, ohne eine Erklärung beizufügen. Aber so ist es leider nicht.
„Qualifying: Vettel auf der Pole“. Das steht auf der GMX-Eingangsseite.[1]
Bei Qualifying kann ich mir etwas denken: Es wird wohl Qualifizierung heißen oder etwas ähnliches. Aber Vettel auf der Pole? Ist das „auf“ aus Versehen hineingerutscht? Also Vettel der Pole? Nicht abwegig. Ich weiß zufällig, obwohl ich für diese Sportart nicht das geringste Interesse verspüre, daß Vettel ein Autorennfahrer ist; unsere Sporttitanen (Dittsche) sind ja oft polnischer Herkunft. Oder ist’s ein anderer Tippfehler: Vettel auf der Polin? Aber er muß nicht gemeint sein. Vielleicht ist ja nicht nur Qualifying, sondern auch Pole ein englisches Wort. Es bedeutet Pfahl oder Stange, und wenn nun Vettel nicht der Vettel, sondern die Vettel – nach Wikipedia  eine „unzüchtige Frau mit hexenhaftem Aussehen“ – ist und man schließlich bedenkt, daß Hexe nach manchen Autoren von hagazussa kommt, das ist „die, die auf dem Zaun sitzt“,  dann hätten wir eine weitere Deutungsmöglichkeit. Also, bittschön: langsamer, und immer schön erklären, ich komme sonst ganz durcheinander.



[1] 12. Juni 2011

Dienstag, 21. Juni 2011

Yodelling für Sarrazin


„Montee - Ihr Partner für Teambuilding, Outdoor Events, Offroad Incentive, Hovercraft Training in Deutschland - Bayern, Österreich - Salzburg Wien Tirol. Event Agentur für Betriebsausflug, Team Building, Rafting, Skidoo, Snowmobile, Quad Bike, Ritterspiele.“[1]
Immerhin kann man in Bayern, Salzburg, Wien und Tirol im Urlaub noch zwei Dinge tun, die eine deutsche Bezeichnung haben: Ritterspiele und Betriebsausflüge. Was man wohl sagen muß, wenn man bei einem Outdoor Event Hunger und Durst bekommt? Wird die Kellnerin in der Waldschänke (wie man eine solche heute wohl zu nennen hat?) Wörter wie „Bockwurst“ und „Bier“ verstehen?
Ich sag’s ja: Sarrazin hat mehr als recht; nicht nur Deutschland, auch Österreich schafft sich ab. Die Sprache ist schon so gut wie abgeschafft, nur – da irrt er ein kleines bißchen – nicht zugunsten von Türkisch und Arabisch.

Montag, 20. Juni 2011

Kopfwirtschaft

„Knowledge Work, zu deutsch Wissens- oder Kopfarbeit, findet sich vor allem in denjenigen Berufen, welche ein hohes Mass an Know-how und Ausbildung erfordern und durch neuartige, komplexe und nicht routinemässig lösbare Probleme gekennzeichnet sind. ... Derartige Berufe, wie etwa Informatiker, Ingenieur, Manager oder Rechtsanwalt erfordern eine konsequente Bewirtschaftung des eigenen Wissens:“[1]


Es ist ja sehr freundlich vom Autor, uns "Knowledge Work" zu übersetzen. Aber man wundert sich, wieso da nicht erst der deutsche Begriff steht und dahinter in Klammern die englische Übersetzung, wie man es bisher ja immer gehalten hat. Wie das wohl kommt? Die üblichen Minderwertigkeitskomplexe des Provinzlers? Oder erinnert sich da einer daran, daß die Nazis gern die Arbeiter in solche der Faust und solche des Kopfes einteilten, und darum sagt er Knowledge Work, so wie seine Jargongenossen statt Arbeitslager Working-Camp und statt Führer Guide oder, je nach dem, Leader sagen[2], damit sie ja nicht in Verdacht geraten? Denn was man sonst tun könnte, um ihm zu entkommen, dazu fällt ihnen leider wenig ein.
Im Übrigen: Ich sehe nun, daß ich nie ein Arbeiter des Kopfes gewesen bin. Nie ist es mir in denselben gekommen, meine eigene Knowledge konsequent zu bewirtschaften.




[2] Dem Geist der Zeit würde es ja auch entsprechen, Führender (siehe Studierende und Kunstmalende) zu sagen, doch hat man das rätselhafterweise bisher nicht gehört.

Sonntag, 19. Juni 2011

Starkdeutsch


„Obama verstärkt den Druck auf BP weiter.“[1] Das glaube ich. „Neuville verstärkt die Arminia.“[2] Das hat sich inzwischen als Irrglaube herausgestellt, doch sprachlich ist es in Ordnung. Wenn aber die CDU-Abgeordnete Katherina Reiche formuliert: „Potsdam sollte sich verstärkt um Förderungen für UNESCO-Welterbestätten bemühen“,[3] dann, so meine ich, hätte sie lieber „stärker“ oder einfach „mehr“ schreiben sollen. Wenn’s nur sie wäre, könnte man das ja verkraften. Doch leider schreibt der Deutsche als solcher verstärkt so. Vielleicht geht es uns bald wieder schlechter. Geschwächt, wie wir dann sind, schreiben wir hoffentlich wieder besser.

Samstag, 18. Juni 2011

Flucht vor der Angst

„Flucht vor der Angst“ titelt der Tagesspiegel heute (18.6.2011, S. 5). Im Artikel erfährt man aber, daß die Leute in Syrien gar nicht vor ihr fliehen, sondern vor den Truppen des Staatschefs Assad. Sie wären ja auch schön blöd, vor der Angst zu fliehen, noch dazu bis in die Türkei. Die Angst bekommt man auf andere Weise viel leichter und alles in allem auch billiger weg, etwa durch Tabletten oder mit Hilfe eines Psychotherapeuten. 

Wellness Challenge


„Jeder Teilnehmer der Wellness Challenge verpflichtet sich ‚freiwillig’, den Trainingsanweisungen der Coaches nach zu kommen (tägliches Bewegungsprogramm), so das der Erfolg der Challenge sichergestellt ist!“[1]
Jeder verpflichtet sich also, zu kommen, den Trainingsanweisungen der „Coaches“, die das von ihm verlangen, folgend, und zwar nicht freiwillig, sondern im Gegenteil „freiwillig“, also gezwungenermaßen, was offenbar das Wellnessgefühl steigert; in einem benachbarten Industriezweig hat man das unter dem Fachterminus „Bondage“ zur Perfektion entwickelt. Ob er, wenn er mal da ist, auf die „Coaches“ – ich vermute, daß damit Trainer gemeint sind – hört, ist offenbar nicht so wichtig. Daß aber auf diese Weise der Erfolg der „Challenge“ sichergestellt werden kann, scheint mir mehr als fraglich; die sollen zufrieden sein, wenn er etwas wahrscheinlicher wird.

Lesenswert

Die Wahrheit-Seite der taz widmet sich heute (18.6.2011) einer Gefahr, deren Bedeutung bisher sehr unterschätzt wird: Der Menschen-Pest.[1]

Freitag, 17. Juni 2011

Stecken-Weiber

Der Steckeleslauf (siehe Nordic Walking) hat, so erfahre ich eben, Verwandtschaft: http://kompetenzteam.antville.org/stories/1425943/.

Gnade!


„Die Prozessarbeit in Form tiefgreifender Coachingprozesse findet während und im Lern-Event statt und greift schnell, direkt erfahr- und umsetzbar und effektiv.“[1]
Früher, als das ins Überirdische hochgezwirbelte Knalltütentum, das zu einem solchen Satz in der Lage ist, noch nicht an der Macht war, hätte man die mitzuteilende Sache so formuliert: Bei uns können Sie was lernen.

Donnerstag, 16. Juni 2011

Bakkalaureati im Bildungsbürger-Zentralorgan

„Brauchen wir mehr Studenten?“ So lautete die Überschrift eines Artikels in der Online-Ausgabe unseres führenden Bildungsbürgerblattes vom März 2010.[1] Er löste eine Debatte aus, an der sich, wie es sich für Die Zeit gehört, nur Leute mit Hochschulreife, meist Studenten, beteiligten. Jedenfalls war das mein Eindruck. Die folgenden Auszüge[2] lassen Zweifel daran aufkommen, daß der Bildungsbürger von heute in jeder Hinsicht dem Bild entspricht, das man sich von einem solchen immer noch gerne macht:
„Unfair finde ich als Bachelor Student wie dieser Abschluss dargestellt wird. Es stimmt nicht, dass es keinen Bedarf nach BA-Absolventen gibt. Doch muss sich die Wirtschaft erst 100%ig auf diese einstellen (Anfänge sind gegeben)! Es ist die Aufgabe der Wirtschaft auch ihr System an BA-Absolventen anzupassen.“
„Werde halt zu sehen müssen wie ich [mit meinem Bachelor-Abschluß] überlebe.... aber ihr mit Diplom könnt ja mein Hartz-IV finanzieren, denn ihr seit die Leistungsträger!“
„Ich finde es gut die Wahrheit zu sagen/schreiben und ich finde es gut, wenn wir uns damit auseinander setzen. ... Ein Industriebetrieb braucht einen Techniker und einen Ingenieur! und keinen Bucheler oder Bachelor.
Und diese Leute müssen Eisen bearbeitet und eine Lehre gemacht haben.
Nur mit dummen Sprüchen und schönen Folien können sie ihren Job nicht gut machen.“
„Achso und das Wissen sollte natürlich im Internet verfügbar sein, in schön aufbereiteter Form, ein erster Schritt, der fast nichts kosten würde, wäre die Millionen von Skripte die unsere Profs jedes Jahr produzieren (und dann meist wieder löschen) einfach mal in einer zentralen Datenbank zu verlinken.“
„Wenn, wie vorgeschlagen, die Abiturienten betriebliche Ausbildungen anstreben hat dies nur zur folge das die Schulabgänger ‚unterhalb’ Abi verdrängt werden.
Folge: Noch mehr Judendliche ohne Ausbildung und/oder Abi als Mindeststandard und/oder eine Schwemme an Abgängern aus betr.Ausbildung - Wer will das?“
„Ein Diplom Ingenieur was besser ausgebildet, hatte praktisch aber keine/ kaum Erfahrung. Der Bachelor will die Balance zwischen Theorie und Praxis halten. Also verkennt die Möglichkeiten nicht. Es sind nämlich wir (meine Generation und unsere Kinder) die Eure Rente erwirtschaftet!“
„Meiner Meinung anch sollte eine Person, welche es über ein Abitur an die UNI oder FH geschafft und dort einen Bachelor oder Master erworben hat in die Grundlagenforschung eintreten. Es ist Tatsache, dass solche Personen nach ihrem Studium noch lange nicht Arbeitsfähig sind und daher der Teil mit den Innovationen sehr schwach ausfällt.“

Das waren die Zeit-Leser. Nun aber Die Zeit, Kulturteil, selber:
„Lohengrin will nicht der Schützer von Brabant sein. Er will seine Liebe zu Elsa leben, ohne sich für seine Herkunft zu rechtfertigen. Doch eine Liebe jenseits aller Kontexte ist unmöglich.“[3]
Da drang aus meinem Stöhnen / ein Laut so klagevoll / der zu gewalt’gem Tönen / weit in die Lüfte schwoll.




[2] Ich habe die Zitate kopiert, nicht abgeschrieben, auch die Tippfehler sind also nicht von mir. – Es gab nicht besonders viele Debattenbeiträge, die oben wiedergegebenen machen einen sehr großen Teil aus.

Mittwoch, 15. Juni 2011

Das letzte Tabu

„Das Team von VITAL-SUITES wünscht Dir viel Erfolg auf Deinem Weg und möchte Dich mit all seiner Kraft in diesem Portal dabei unterstützen. Keine Taboos ... das ist eines unserer wichtigen Ziele!“ [1]
Ein alltäglicher Vorgang. Sicher werden täglich Dutzende von deutschen Wörtern frisch amerikanisiert und in der Regel ist das der Beginn eines Siegeszugs. Und dennoch, ich weiß nicht warum: „Taboo“ scheint mir etwas Besonderes zu sein. Ein Tabubruch ist geschehen, eine Art von Wörtern, bisher von einem Zauber behütet, ist nun schutzlos geworden. Welche es wohl treffen mag? Wird man bald statt „ich gehe nach Hause“ „ich gehe nach House“ schreiben?



Hierzu gibt es eine ausführliche Diskussion unter http://sprachlog.posterous.com/taboobruche







Dienstag, 14. Juni 2011

Riechen im Raum

„Hier erleben Sie mit Ihren Gästen die ganze Faszination des Weltalls, hautnah und mit allen Sinnen - Raumfahrt als unmittelbares Erlebnis bei HandsOn-Trainingseinheiten und im Gespräch mit erfahrenen Astronauten.“ Das verspricht uns das „European Astronaut Centre / EAC - PRO TOURA Astronautentraining“ in 51143 Köln-Porz.[1]
„Mit allen Sinnen“ schrieb man schon in der Zeit der Romantik recht gern. Die moderne Geschichte dieser Formulierung aber begann nach meiner Erinnerung um 1970. „Mit allen Sinnen“ wurde zum Fahnenwort im Kampf gegen das Denken, welches man damals in weiten, vornehmlich akademischen Kreisen als lästig zu empfinden begann. Die „Kopflastigkeit“, die man auch da wahrzunehmen vermeinte, wo garantiert kein Kopf beteiligt war, z. B. in den Reihen der entschiedenen Kämpfer für oder gegen die Weltrevolution, sollte durch Einsatz der „Bauchgefühle“ niedergerungen werden.
Vor allem aber sollte man halt immerzu „mit allen Sinnen“ „erleben“. Der Glaube gewann an Gläubigen, daß man von einem Sonnenuntergang mehr hat, wenn man ihn nicht nur anschaut, sondern auch hört und riecht und schmeckt und – darauf kommt’s besonders an – fühlt. Deshalb wird er wie alles am besten „hautnah“ erlebt, denn anders kann ja der Tastsinn seine Funktion nicht ausüben, und der gehört nun mal zu „allen Sinnen“.
Nun, der Kampf ist inzwischen gewonnen. Gedacht wird zwar hier und da immer noch, aber das Denken hat seinen guten Ruf verloren und ist nur noch in Gestalt der Denke (siehe Volk der Denke), gesellschaftsfähig, besonders bei Bundes- und Ministerpräsidenten (ebd.), hier und da, z. B. bei Vodafone, in Form der Tätigkeit sogenannter Vorausdenker (siehe Neue Art von Denkern entdeckt).
Doch zurück zu den HandsOn-Trainingseinheiten. Wie mag es dort – nicht in Köln-Porz, sondern im Weltall, wo man hautnah mit allen Sinnen erlebt – wohl riechen? Ob es nicht wenigstens ganz weit oben, wo es keine Luft mehr gibt, angebracht wäre, die Zahl der beim Erleben eingesetzten Sinne etwas zu verkleinern?

Montag, 13. Juni 2011

Marktgötter 2


„Trotz unserer Anstrengungen sind die Märkte skeptisch geblieben“. So gab ein Sprecher in der Tagesschau kürzlich, am 3.6.2011, den griechischen Premierminister wieder. Die Theorien, denen zufolge die Rationalität im Laufe der Menschheitsgeschichte immer mehr zunimmt, haben einen schweren Schlag erhalten. Der Schamane, der meinte, daß trotz all seiner Anstrengungen beim Regentanz der Wettergott immer noch zürne, war da schon weiter. Immerhin behauptete er nicht, daß das Wetter zürnt.

Sonntag, 12. Juni 2011

Deppenleerzeichen

„Damit sprach er den meisten der 2.500 TeilnehmerInnen aus der Seele, die nach Veranstalterangaben zu dem Kongress gekommen waren, den das globalisierungskritische Netzwerk Attac unter anderem mit der Friedrich Ebert, der Heinrich Böll und der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie der Otto Brenner Stiftung der IG Metall organisiert hatte“ (taz, 24.5.2011).
Die meisten Deutschen haben sich ja im Kampf zwischen dem Deutschen und dem sogenannten Deppenleerzeichen auf eine Seite, auf dessen Seite geschlagen. Die taz aber schwankt, wie man sieht. Nun wird sie wohl einwenden: Nein, nein, keineswegs, wir berücksichtigen nur, daß manche Namen, vor allem Firmennamen das Deppenlehrzeichen in sich aufgenommen haben und daß darunter auch solche sind, durch die sich dieses Vorgehen als heiliggesprochen betrachten kann (Suhrkamp Verlag). Ich bleib’ aber dabei. So leicht geht das Depperte nicht weg. Friedrich und Heinrich sind männliche Vornamen, es muß heißen: Mit dem Friedrich Ebert und dem Heinrich Böll hat Attac den Kongreß organisiert. (Man kann, um nicht in den Verdacht süddeutscher Herkunft zu kommen, das „dem“ auch weglassen.) Das stimmt zwar inhaltlich nicht, aber man kann es ohne Bauchschmerzen lesen.



Samstag, 11. Juni 2011

Marktgötter

"Märkte empfangen die Rechtsregierung in Portugal frostig", steht heute über einem Telepolis-Artikel.[1]

Welch ein Schauspiel! Da stehen sie, die Märkte, mit regungslosem Gesicht, und erwarten die neue portugiesische Regierung.

Interessant ist das schon, wozu der neoliberale Zeitgeist in der Lage ist. Jetzt hat er den Telepolis-Autor dazu gebracht, sich den Markt wie einen persönlichen Gott vorzustellen. Vielleicht gab es das ja schon mal, etwa im alten Babylon. Da stand ein Steinkoloß und verzog keine Mine, als man ihm die frischgeschlachteten Opfer vorwarf.

Neue Art von Denkern entdeckt

Die Denker sind ja weitgehend ausgestorben. Vor allem an den Universitäten möchte man von den paar, die es noch geben soll, keinen mehr sehen, das verträgt sich nicht mit dem Exzellenz- und Eliteprinzip. Dafür aber gingen uns jahrelang in der Welt der Politik und der Wirtschaft und daraus hervorquellend die Querdenker und die Vordenker – wie gern hätte ich die letzteren doch gegen Nachdenker getauscht – auf die Nerven. Zumindest mit den Vordenkern scheint es nun aber auch bergab zu gehen. Bei Vodafone suchen sie jetzt[1] statt dessen Vorausdenker.


[1] 17.3.2011, Annonce in der Zeit.

Freitag, 10. Juni 2011

Seefahrt tut not

Als man ihn einst fragte: Ernstl, was willst du werden?, rief er: Tapitän! (Karl Kraus)
Früher, als die Knaben gehobener Schichten Matrosenanzüge trugen, wußte jedes Kind, was eine Flotte ist, weil Kaiser Wilhelm so gerne mit Schiffen spielte und wollte, daß Deutschland eine Seemacht werde. Dieses Wissen ist verlorengegangen.
Begonnen hat das, als Flugzeuge aufkamen, in die eine ganze Gruppe von Leuten hineinpaßte. Da wollte einer einen Scherz machen und begrüßte die anderen mit einem „Willkommen an Bord“. Mit der Privatisierung der Bahn – oder auch schon etwas früher, um die Leute auf diese vorzubereiten, also etwa gleichzeitig mit der Erfindung von „Infopoint“ – sollten die Hochgeschwindigkeitszüge zu Flugzeugen erklärt werden, weil das mehr hermacht, man hat den ICE aber versehentlich zu einem Schiff erklärt: Man wurde nun auch hier mit einem „Willkommen an Bord“ begrüßt. Das war aber damals ausschließlich beim ICE so. Doch vor kurzem, am 4. Januar 2011, schrieb – na wer wohl, bei der sprachlichen Revolution hat natürlich sie die Nase vorn – die taz, daß in Berlin der marode Zustand der Flotte ans Licht gekommen ist, und gemeint ist die S-Bahn.
Das ist der Damm- bzw. Durchbruch. Bald wird jede Familie ihren Fahrradbesitz Flotte nennen. Der Papa (für die Jüngeren: der Dad) ist der Admiral, jeder Vierjährige ist Fahrradkapitän und bekommt einen Matrosenanzug.