Mittwoch, 8. Juni 2011

Elastische Vermählung


Am 25. Juni 2010 wachte ich auf und ein gefallener Engel hatte mir im Traum ins Ohr geflüstert: „elastische Befindlichkeiten“. Ich gab es gleich bei Google ein und in der Tat: Das gibt es. In einer „Analyse längsschnittlicher Veränderungen in Strukturgleichungsmodellen“, die in einer Psychologie-Fachzeitschrift steht, kommen elastische Befindlichkeiten vor.[1]
Das kann Anlaß geben zu tiefschürfenden sprach- und ideologiegeschichtlichen Untersuchungen. Ich überlasse sie einem Berufeneren, nur ein paar Andeutungen möchte ich machen. Nach dem Befinden etwa des werten Herrn Gemahls erkundigte man sich schon vor hundert Jahren. Die Befindlichkeit wurde aber sicher erst vom Jargon der Eigentlichkeit (Adorno) erfunden. In Sätzen wie diesem (aus dem besagten Psychologie-Aufsatz): „Für die Beschreibung längsschnittlicher Veränderung in einem Merkmal werden ein Kovariationsmodell, ein trait/state-Modell, ein autoregressives Modell sowie ein Modell von Startwert und absoluter Merkmalsveränderung dargestellt“ – in Sätzen wie diesem also sahen die Schöpfer und Sprecher jenes Jargons den Untergang des Geistes im Abendland und des Abendlands und des Geistes überhaupt, und sie wehrten sich mit einer Flut von Innerlichkeitsschwulst etwa dieser Art: „Ort der Begegnung“, „echtes Gespräch“,  „Mitmenschlichkeit“, „aufeinander zugehen“ und eben auch „Eigentlichkeit“ und „Befindlichkeit“, am besten „existenzielle“ – halt all die Phrasenbausteine, die einem selbst bei einem Gespräch über Zahnbürstenpreise das Gefühl geben, einem Gottesdienst beizuwohnen.
Und eben dieser Jargon hat sich nun dem anderen, dem vom Geist des Positivismus getränkten der Erforscher längsschnittlicher autoregressiver Stukturgleichungsmodelle, vermählt. Das ist ein Grund zum Feiern. Alle Menschen werden Brüder; ach was, Geschwister. Die feindlichsten aller Welten oder doch Weltanschauungen finden zueinander. Allerdings hat Adorno schon seinerzeit vermutet, daß der Abstand gar nicht so groß ist, wie sie sich selber, auf beiden Seiten, einbilden.



[1] Analyse längsschnittlicher Veränderungen in Strukturgleichungsmodellen. Trierer Psychologische Berichte, 30, Heft 1. (http://www.uni-trier.de/fileadmin/fb1/PSY/tripsyberichte/2003_30_1.pdf).

1 Kommentar:

Jean Stubenzweig hat gesagt…

Das «Anliegen» sollte meines Erachtens innerhalb der Aufzählung zu Adorno Erwähnung finden.