Montag, 31. Januar 2011

Studierende und Kunstmalende

Die schlimmsten Fehler sind derart blöd, daß sie kaum einer bemerkt, weshalb sie sich rasend schnell verbreiten.
Die Studenten sind innerhalb ganz kurzer Zeit so gut wie ausgestorben und mit ihnen die Studentinnen. Studenten traut sich keiner mehr zu sagen, wenn Studentinnen ebenfalls gemeint sind, und diejenigen, die sich Jahre, oft Jahrzehnte mit „Studentinnen und Studenten“ gequält haben, atmeten auf, als jemand – es muß ein Genie sondergleichen gewesen sein – den Einfall hatte, statt dessen Studierende zu benutzen.
Man wundert sich aber über den Mangel an Konsequenz. Warum spricht man immer noch vom Führer und nicht vom Führenden? Warum nicht statt Malerinnen und Maler Malende, statt Schwimmerinnen und Schwimmer Schwimmende, statt Sängerinnen und Sänger Singende, statt Fußballerinnen und Fußballer Fußballspielende oder Fußballende?
Allein, so sehr es den unter dem Zwang zu politisch korrektem Sprechen bitter leidenden zu gönnen wäre: Es wäre falsch, so wie Studierende falsch ist. Studierender bedeutet etwas ganz anderes als Student.
Das Partizip 1 ist eine Verlaufsform, man drückt mit ihm aus, daß etwas gerade jetzt geschieht. Man kann mit ihm nicht einen Dauerzustand bezeichnen und auch nicht z. B. einen durch eine typische Tätigkeit charakterisierten Beruf.
So wie ein Marathonläufer dann, wenn er sitzt, kein Laufender, sondern ein Sitzender ist, und zwar ein sitzender Läufer, so ist ein Student nur dann ein Studierender, wenn er studiert, nicht aber, wenn er schläft oder sich auf einer Party vergnügt, es sei denn, sein Vergnügen wäre mehr kontemplativer Art und bestünde beispielsweise darin, das Wesen der anwesenden Studentinnen zu studieren. Ein Professor war einst ein Student und ist jetzt keiner mehr, aber ein Studierender ist er immer noch, nämlich dann, wenn er sich einer seiner Dienstaufgaben, der Forschung, widmet. Im Englischen nennt man jemanden, der die Klimaerwärmung erforscht, einen „student of climatic warming“. Da wird unser Genie seinen Einfall herhaben: Der letzte Grund der Sprachrevolution ist ein Übersetzungsfehler. Allerdings  gab es einen Vorlauf im deutschen Universitätswesen, der wohl eine gewisse Aufnahmebereitschaft erzeugt hat: die „Lehrenden“.
Doch zweifellos reagiert man mit den Studierenden auf ein schwerwiegendes genderpolitisches, sprachästhetisches und -logisches Problem. Man hat nun einen Vorschlag gemacht – den Urheber konnte ich leider nicht herausfinden –, der zu allseitiger Zufriedenheit führen könnte: das Studi. Damit scheint mir auch der sozialpsychologische Habitus der derzeitigen Studentinnen und Studenten recht gut getroffen.


Ernennungs-Urkunden



„Nun erkoren ihn [Che Guevara] selbsternannte Revolutionäre in allen Teilen der westlichen Welt zu ihrem Vorbild – darunter auch Rudi Dutschke“, schreibt die Berliner Morgenpost.[1]
Das ist so eine Art schwerstes Geschütz der Journalisten aller Zeitungen der westlichen Welt, nicht nur der Schreiberlinge von der Springerpresse. Immer, wenn sie einen Revolutionär ganz besonders nicht mögen, dann nennen sie ihn einen selbsternannten. Wenn er dagegen bei einer ordentlichen Revolutionärswahl vom Volk gewählt worden ist, aber auch dann, wenn ihn die Regierung zum staatlich anerkannten Revolutionär ernannt hat, bleibt ihnen nichts übrig, als ihn, wenn auch widerstrebend, ein wenig sympathisch zu finden. Weil aber beides nicht vorkommt, können sie doch allen Revolutionären ein Höchstmaß an Abneigung entgegenbringen.

Ich wende mich im Wesentlichen gegen die Heilserwartung, die Internetapologeten oder selbst ernannte Evangelisten an das Internet stellen.“ So ein Journalist, der irgend etwas gegen das Internet hat, in der Zeit.[2]
Evangelisten haben also nicht Erwartungen an das Internet, sondern stellen sie. Wie aber stellt man eine Heilserwartung? Mit Marx vom Kopf auf die Füße? Oder am besten möglichst weit weg, damit sie einen nicht dauernd belästigt, weil sie nicht in Erfüllung gehen mag?
Und will der Herr Journalist uns etwa sagen, daß die Internetapologeten oder selbst, d. h. sogar ernannte Evangelisten eine Erwartung stellen? Nicht unwahrscheinlich, denn daß ausgerechnet Evangelisten das Heil vom Internet erwarten, erwartet man ja nicht, da scheint uns das „selbst“ schon angebracht. Aber was sind ernannte Evangelisten? Kriegen die eine Ernennungsurkunde, und wer ernennt sie? Gab es damals vielleicht einen Herausgeber des Neuen Testaments, der nicht nur Apostel und Epistelschreiber, sondern selbst, d. h. sogar Evangelisten ernannt hat? Kein abwegiger Gedanke; so könnte es gewesen sein. 
Oder hat der Journalist nicht selbst ernannt, sondern selbsternannt sagen wollen? Wollte er, wie es all die anderen seiner Zunft mit den Revolutionären machen, die Evangelisten schlechthin schmähen, indem er sie durch die Bank zu selbsternannten erklärt? Denn ernannte gibt es nicht; Mathäus, Markus, Lukas und Johannes haben einfach ganz von selbst, von sich aus angefangen zu schreiben. So stelle ich mir das jedenfalls vor. Oder ist der Journalist ein gläubiger Christ, der meint, Gott habe sie ernannt? Auch nicht ausgeschlossen. Wie viele Rätsel doch in einem so einfachen Wort stecken!

Kapitulation

„Jedes Segel Teambuilding hat allein durch die wunderbare Umgebung einen Incentive Charakter; und auch reine Events werden selten gewünscht.“[1]
Kann jemand in diesem Sprachneuschöpfungsinferno die Nerven behalten? Ich nicht. Soll den Satz doch ein anderer kommentieren.

Unternehmenshochkultur

„Dabei sind der Entwurf und die Durchsetzung der Marketing-Strategien und Marketing-Maßnahmen in einer Marketing-Konzeption nicht nur institutionell in der Marketing-Organisation als Teil der Unternehmensorganisation zu verankern; vielmehr müssen effiziente Systeme des Marketing-Controlling und eine adäquate Marketingkultur die marktorientierte Ausrichtung des Unternehmens sicherstellen (Unternehmenskultur)." (Stichwort „Marketing“, Hermann Diller (Hrsg.): „Vahlens Großes Marketing Lexikon“ München 1994, Stichwort „Strategisches Marketing“, S. 649 f.)
Was will uns der Unternehmens-Kulturphilosoph hier sagen? Uns wohl gar nichts, aber vermutlich den Mitarbeitern des Unternehmens: Leute, tut alles, damit die Kasse klingelt! Oder so ähnlich.

Optimalstes Hinter-Grundwasser


„Interpellation betreffend Hochwassersicherheit in Graubünden   
Session: 26.08.2002
Das Projekt Hochwasserschutz Samedan zur Verlegung des Flusses Flaz kann dabei als besonders gelungen bezeichnet werden, weil neben einer erhöhten Sicherheit die ökologisch optimalste Variante mit einer grosszügigen Renaturierung der Flüsse gewählt wurde.“[1]
Es wäre sicher übertrieben zu behaupten, daß die Schweiz das Land ist, in dem man es bei der Kultivierung der deutschen Sprache am weitesten gebracht hat. Aber was die Pflege des Amtsdeutschen angeht, so scheint man dort doch einige Erfolge vorweisen zu können; geradezu optimalste, wenn nicht gar alleroptimalste Ergebnisse hat man offenbar erzielt.

Nicht schlecht sind auch die Österreicher: „Das Ergebnis ist nach der Reißbrett-Theorie zwar keine optimale Reform – das keineswegs! –, aber es ist das Optimalste, was unter den derzeitigen politischen und sozialen Bedingungen durchsetzbar war. Daher ist es in Summe ein Erfolg. (Beifall bei der SPÖ.)“ [2]

Demgegenüber nehmen sich die Reichsdeutschen in puncto Amtsdeutsch zwar nicht optimalst aus, aber irgendwie sogar noch besser:
„Die potentielle Möglichkeit einer Belastung des Landschaftsschutzgebietes Saale-Aue über in die Saale-Aue entlastendes Grundwasser ist gegeben, besonders unter dem Hintergrund der Möglichkeit des Übertritts kontaminierter Grundwässer aus dem Festgesteinsgrundwasserleiter über Störungszonen in die Grundwässer der quartären Saaleschotter.“[3]
Da sind wir aber froh, daß diese Möglichkeit nur potentiell, also nur möglich ist. Nicht auszudenken, wenn es eine richtige Möglichkeit wäre. Dann wäre es ja nicht nur möglicherweise möglich, daß eine Belastung über entlastendes Grundwasser, ja über Grundwässer auf uns zukommt, sondern sogar möglich. Und dies noch dazu vor dem Hintergrund, daß das Grundwasser dort nicht im Untergrund, sondern unter dem Hintergrund fließt – oder hab’ ich da etwas nicht ganz auf die Reihe bekommen? Leicht ist es ja nicht, in diesem Satz die Orientierung zu behalten.

Menschseinwürde

„Das Geld hat das Menschsein verändert. Frieda Nembaya (l. o.) wurde Bäckerin, es gibt mehrere Fernseher (l. u.) und die Menschen in Otijvero haben wieder Motivation und Würde (r. u.)“. So lautet eine Bildunterschrift in der taz vom 31.3.2010. Frau Nembaya sieht man also l. o., l. u. ein Ehepaar mit einem Fernseher, r. u. einen Platz in einer Wellblechhüttensiedlung mit einigen Menschen und einer Nähmaschine.
Die Leute wären vermutlich schon zufrieden gewesen, wenn das Geld gereicht hätte, ihr Leben zu verändern, es hätte nicht gleich ihr Menschsein sein müssen. Nicht ganz leicht zu erkennen ist, was die taz mit Würde meint. Klar ist: Man hat nicht automatisch eine Würde, wenn man Bäckerin wird, einen oder mehrere Fernseher hat und eine Motivation, denn sonst wäre die Würde nicht zusätzlich zu all dem erwähnt worden. In welchem Verhältnis stehen Geld und Würde? Jedenfalls haben die Menschen die Würde wieder, seit sie Geld haben. Sie hatten sie also schon einmal, das steht da ausdrücklich. Haben sie sie vielleicht zurück gekauft? Nun schreibt bekanntlich Kant, daß alles entweder einen Preis hat oder eine Würde, und daß das, was über allen Preis erhaben ist, eine Würde hat. Was Würde hat, ist also für Geld nicht zu haben. Damit ist aber noch nicht geklärt, ob die Würde selbst einen Preis hat und käuflich erworben werden kann.
Vielleicht löst sich das Rätsel ja so: Weil in der Bildunterschrift von Menschen und Menschsein die Rede ist, glaubt man, es müsse sich um die Menschenwürde handeln, und von der kann man sich nicht so recht vorstellen, daß sie gegen Bezahlung erhältlich ist. Aber vielleicht irrt man sich. Es gibt ja auch andere Sorten von Würde, z. B. die Amtswürde, und die kann man sicher in dem einen oder anderen Fall für Geld erwerben. Zwar machen die Menschen auf dem Bild nicht den Eindruck, als hätten sie sich eben den Titel eines Kommerzienrats oder einer Kammergerichtspräsidentin gekauft. Aber vielleicht bekam die Frau, als sie die Nähmaschine erstand, nicht etwa Rabattmarken oder Treueherzen dazu wie bei Tengelmann, sondern die Würde einer verdienten Näherin des Volkes, oder etwas Ähnliches. Das könnte man sich schon vorstellen.


Prozeßhansel

„Wir feiern Weihnachten. Für Christen und Christinnen ein Fest, das etwas Unglaubliches behauptet: Gott ist Mensch geworden! Gott hat Fleisch und Blut angenommen. Es ist ein prozesshaftes Geschehen: Gott wird. Gott entsteht.“ Das verkünden uns die Oberzeller Franziskanerinnen.[1]
So wirklich revolutionär kommt mir das nicht vor. Auch die Göttin Venus ist ja – aus Schaum – geboren, also entstanden. Für einen Gott macht es sich aber meines Erachtens besser, nicht zu werden, sondern von Ewigkeit zu Ewigkeit zu sein. Doch in die theologische Debatte will ich mich nicht einmischen, da kennen sich die Franziskanerinnen sicher besser aus. Um so mehr bewegt mich die Frage, was sie bewogen haben mag, statt „Geschehen“ oder „Prozeß“ „prozeßhaftes Geschehen“ zu schreiben. Wogegen wollten sie diese Art von Geschehen bzw. Prozessen abgrenzen? Gegen Arten des Geschehens, bei denen keine Prozesse ablaufen? Gegen Prozesse, bei denen nichts geschieht?
Eher könnte man schon die Deutsche Hochschule der Polizei verstehen, die bezüglich der Aufarbeitung eines Ereignisses im Bereich der zuständigen Polizeiinspektion 1 in Köln schreibt: „Mehrfach verwies der Vortragende darauf, dass die Aufarbeitung ein prozesshaftes Geschehen ist und bleibt.“[2] Denn da scheint es immerhin möglich, daß „Prozeß“ in der Bedeutung „Gerichtsverfahren“ verwendet wird und nicht in der Bedeutung „Geschehen“.

Massive Löcher

Eine „massive Gesetzeslücke“, nämlich beim „Gesetz zur Kinderpornografie“, stellt Die Welt empört fest.[1]
Da muß sich Ungeheures ereignet haben. So weit das Gedächtnis der Menschheit in die Geschichte und Vorgeschichte zurückreicht: Noch nie ist eine Lücke massiv gewesen. Schon der Neandertaler wußte, daß man problemlos den Kopf durch die Lücke zwischen den Felsblöcken stecken kann, um nach dem Höhlenbären zu spähen; Widerstand der Materie, gar massiver, war nicht zu erwarten. Wenn er auch sonst noch wenig wußte, das wußte er: Eben dies ist das Wesen der Lücke.
Wieso ist das plötzlich nicht mehr so? Man liest ja viel von negativer Materie, bei der irgendwie alles andersrum ist, und diese Materie hat etwas mit den schwarzen Löchern zu tun, die ganze Welten verschlingen können. Da hat die Welt schon recht, empört aufzuschreien. Nicht auszudenken, was alles passieren könnte, wenn keiner aufpaßt!

Der Outdoorcoach im Wortsoundrausch



Manche Wörter preschen mit solch unwiderstehlicher Wucht durch die Sprache wie einst die Hunnen durchs römische Reich. Dazu gehört Challenge. Nichts kann es aufhalten. Ein Herausforderungsmanager ist mit Google gar nicht zu finden, aber der Challenge Manager mußte trotzdem erfunden werden.
Derartige Wörter verbinden sich besonders gern mit ähnlich siegreichen. So haben wir neuerdings sowohl „Challenge Event“ als auch „Event Challenge“. Ob beide dasselbe bedeuten oder das eine gerade das Gegenteil des anderen und ob sie überhaupt irgend etwas bedeuten, weiß ich nicht. Es ist aber auch wurscht. Wichtig ist nur, daß sich nach diesem Prinzip Wortklangwelten von nie geahnter Schönheit erschaffen lassen:
„dataTec wurde von Agilent Technologies ausgezeichnet mit einem speziellen Award als der schnellst wachsende Distributor in Europa für das Basic Instrument Geschäft.[1]
Oder :
„City Challenge ist unser Oberbegriff für Outdoor Teambuilding im Großstadtdschungel.“[2]
Oder:
„Unter dem Label 'Outdoor Challenge' bietet das Trainingsunternehmen Process One seit 15 Jahren Outdoortrainings, Outdoorevents und Outdoorprojekte an. Diese können als Stand-alone-Maßnahme realisiert oder in ein vorgegebenes Programm integriert werden.“[3]
Oder:
„Wir bieten als mobiler Eventveranstalter für Firmen und Vereine ab 15 Personen ein vielfältiges Angebot an Eventideen für Rahmenprogramme wie beispielsweise:
Fun Olympiaden, Mittelalterliche Ritterspiele, Teamtrainings, Offroad Events mit Quad Bikes, Hovercraft, Geländewagen, Jeeps, Segway, Snowmobile / Skidoo, Raupen Quadbikes, Bagger, Traktor, Offroad Gokarts, Cross Carts etc. Abendprogramme wie Ritteressen, rustikaler Hütten Abend, interaktive Dinner Shows. Themenevents: GPS Trophys, Orientierungstouren, Stadtrallye, Geocaching, Seifenkisten Rennen und Bau, Alpen Games und Bauern Olympiaden, James Bond Trophy, Piraten Event, Country und Western Spiele, Keltische Salztour, Salzburg City Rallye, Nature Explorer, Mondsee Schnitzeljagd, Husky Touren, Flossbau, Foto Shooting, Bilder malen, Work Life Balance uvm.“[4]


Und bei einer Firma, die gegen tüchtige Bezahlung mit Managern in den Ferien irgendwelche seltsamen Dinge treibt, was denen dazu verhelfen soll, nachher noch besser (siehe noch besser) managen zu können, hat man im Angebot:
Und so geht’s bei denen zu:
„JensRichter-Trainings offeriert exzellente Konzepte für Ihren gemeinsamen Weg zum ressourcevollen Teamworker und Teamplayer: Von z.B. Kletterevents, Floßbaumodulen, Tipicamps oder Orientierungs-Events in Deutschland und Europa bis hin zu exklusiven Outdoorcoaching-Veranstaltungen in Marokko oder in Südafrika.“

„Isch fahr nach Türkei“ ist verglichen mit all dem reinstes Hochdeutsch.
Deutschland schafft sich ab, richtig. Das findet aber an ganz anderen Stellen statt, als das Gesindel glaubt, dessen Aggressionen sich grundsätzlich nach unten richten und das diesen Satz zur Zeit im Land herumtrompetet.






P.S.: Eine Vielzahl noch viel schönerer Satzgebilde findet man auf http://www.facebook.com/beratersprech

Noch besser

Der Untergang der DDR hatte sicher nicht nur eine Ursache. Aber eine war bestimmt, daß die SED partout nichts besser machen wollte. Das gab es einfach nicht, vermutlich in keinem einzigen Fall. Immer sollte es noch besser gemacht werden. Das mußte so sein, denn sonst hätte einer ja auf den Gedanken verfallen können, es sei jetzt noch nicht gut.
„Wir alle haben Potenzial, noch besser zu werden“, sagt CDU-Generalsekretär Gröhe.[1]Die Politik der Regierung sei gut, die Kommunikation nach außen müsse aber noch besser werden, meint Ministerpräsident McAllister.“[2] Und die CDU von Erbach verspricht: „Wir wollen Sie hier in Zukunft noch besser und aktueller über unsere Erbacher CDU - sicherlich einem der aktivsten Stadtverbände im Kreis - informieren.“[3]
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob die CDU nun da angelangt wäre, wo die SED vor ihr schon war. Aber wie so oft trügt der erste Blick. Einen zumindest haben sie noch, der „noch besser“ richtig verwenden kann, Herrn Bosbach: „Eigentlich kann es nur noch besser werden.“[4]

Tribal Travellers

Auf event-incentive-training.de erfährt man:
„Tribal-Travel. Unsere expeditionsartigen Abenteuerreisen zu den letzten Naturvölkern sind gerade in Vorbereitung.“[1]
Wenn die vorbei ist, geht’s z. B. zu den Korowai:
„Ein Großteil der Korowai gilt aufgrund ihres schwer zugänglichen Siedlungsgebietes, den dort offensichtlich nicht vorhandenen Bodenschätzen und dem somit verbundenen ökonomischen Desinteresses, als unkontaktiert. Infolge dieser Isolation zur Außenwelt ist die materielle Kultur dieses Volkes noch in der Steinzeit verwurzelt. Sie kennen weder Töpferei, weder Metall noch Schrift. Wie alle übrigen Wanderfeldbauern mit stark ausgeprägter Jagd- und Sammelorientierung leben sie von einer aneignenden Wirtschaftsform.“
Was sagen die tribal travellers den Korowai aber, wenn diese wissen wollen, welche Sprache man bei ihnen, den travellers,  zuhause spricht? Und wie die geht?
Doch vielleicht kommt es ja gar nicht dazu:
„Da die Korowai buchstäblich mit ihrem Territorium verwachsen sind, würde ein unangemeldetes Betreten gleichsam einen direkten Angriff bedeuten und eine sofortige Tötung der Eindringlinge fordern.“
Die in dem Satz enthaltene Schlußfolgerung ist mir nicht ganz verständlich. Die Bewohner der Alpen sind, hört man immer,  mit ihrem Territorium auch ziemlich verwachsen, und doch kommen die Touristen in der Regel unbeschädigt wieder im Flachland an. Davon abgesehen: Ich bin sonst nicht so, in diesem Fall aber doch; ich wäre nicht traurig, wenn die Event-Incentive-Trainings-Abenteurer vergäßen, sich anzumelden.

Erstaunlich finde ich wie in zahllosen anderen Fällen auch hier: Wörter werden verwendet, die darauf hindeuten, daß der Schreiber ein Hochschulstudium hinter sich hat (ökonomisches Desinteresse, unkontaktiert, materielle Kultur, Aneignung, Wirtschaftsform). Diese Wörter aber werden in Sätze eingebaut, wie sie vor fünfzig Jahren einem typischen Volksschulabsolventen nie und nimmer unterlaufen wären.
Früher war alles besser? Nein nein, das aber schon.


Rennpanther

Bei der taz gibt es einen Panther Preis. Viele Haustiere haben arttypische Namen: Papageien (Lore), große Hunde (Hasso), kleine Hunde (Fiffi), Kühe (Liese). Preis will allerdings weder zu einem Panther noch überhaupt zu einem Raubtier so recht passen. Da denkt man eher an ein Rennpferd. So verdienstvoll es also ist, wenn die taz beginnt, diese Lücke zu schließen, denn Panther haben, soweit mir bekannt, bisher überhaupt keine Namen: Einen Preis, z. B. den Goethepreis oder den Pantherpreis, hat sie sich damit noch nicht verdient.

Sinnmacher


Im Fernsehen hörte ich vor geraumer Zeit einen Berliner Bildungssenator sagen, daß man irgend etwas im Bildungswesen nicht mehr tun sollte, dafür etwas anderes, denn „das macht Sinn“. Nun wußte der Senator natürlich – er war ja ein Bildungssenator –, daß „das macht Sinn“ falsch ist. Es ist nicht deutsch, sondern wörtlich übersetztes Englisch. Wörtlich übersetzen darf man nur, wenn das, was herauskommt, deutsch ist. „It doesn’t make sense“ heißt auf deutsch nicht „es tut nicht machen Sinn“ und auch nicht „es macht keinen Sinn“, sondern „es hat keinen Sinn“ oder „es ergibt keinen Sinn“ oder auch „es ist unvernünftig“ oder „sinnlos“. Unsinn kann man machen, Sinn aber nicht; es sei denn, man hätte sogenannte Sinnproduzenten im Sinn, die „machen“ – wenn das auch etwas ungeschickt ausgedrückt ist – definitionsgemäß Sinn.
Was also hatte der Bildungssenator im Sinn? Ich vermute, folgendes: Ihm machte das schlechte Abschneiden Deutschlands beim PISA-Test Kummer, gerade was die sprachlichen Fähigkeiten angeht, und das liegt ja bekanntlich auch daran, daß viele Einwandererkinder große Mühe mit dem Deutschen haben. Nun dürfte „isch fahr nach Türkei“ daher kommen, daß im Türkischen an der entsprechenden Stelle kein Artikel steht und man halt wörtlich übersetzt. Auch das beliebte „Isch schlag disch Urban“ (Urban heißt ein Krankenhaus im Berliner Bezirk Kreuzberg) kommt wohl auf ähnliche Weise zustande. Und nun hat sich der Herr Bildungssenator gedacht: Wenn wir einfach beschließen, „isch fahr nach Türkei“ usw. sei korrektes Deutsch, dann müßte doch der nächste PISA-Test weniger blamabel ausfallen.
Und da hat er halt mit „das macht Sinn“ schon mal angefangen, die deutschstämmigen Berliner, deren Mehrheit das seit etwa 20 Jahren nicht mehr falsch vorkommt, behutsam auf die Maßnahme vorzubereiten. Dieser Senator ist inzwischen durch einen anderen ersetzt worden. Eigentlich schade, das hätte etwas werden können.


Sonntag, 30. Januar 2011

Stelleneinsteller

„Wir alle kennen doch den großen Bedarf an mehr richterlichem und staatsanwaltlichem Personal. Deshalb stellen wir Grünen zehn zusätzliche Stellen in den Haushalt ein, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden.“[1]
„An mehr Richtern und Staatsanwälten“ hätte es auch getan, aber welche Partei hat den Mut zu derart einfachen Formulierungen? Interessant ist aber vor allem: Die Grünen stellen Stellen, und zwar nicht hierhin oder dahin, sondern ein. Deutsch ist das nicht, sondern irgendein Jargon, der in Kreisen gesprochen wird, die mit der deutschen Sprache nur eine sehr lockere Beziehung pflegen. Vielleicht ist es der, in dem sich Verwaltungsbeamte unterhalten, wenn sie ganz, ganz unter sich sind. Sollte es ein ranking der verschiedenen Jargons geben, dann hätte er meines Erachtens noch unter dem zu stehen, in dem Sätze möglich sind wie diese: Die meisten upper spreaden ihre uploads auf mehreren seiten, sodass sie dabei sehrwohl was von haben.“ „Das bringt auch mehr Leecher, wenn es mehr Erweiterungen gibt im LaderBereich. Aus Leechern werden vllt auch mal aktivere Member. Bin dafür.“

Idealismus im Schweinesystem

„Ideale Bedingungen für Bioferkel“ gibt es in der Landeslehranstalt Rotholz. Man hat dort „300.000 Euro in modernen Schweinestall“ investiert.[1]
Ich möchte wetten, daß den Bioferkeln die Bedingungen in der Lehranstalt gar nicht ideal vorkommen. Immerhin ist ihr Schicksal auch dort letztlich der Metzger, und das werden sie nicht mögen. Sie würden sicher viel lieber gemeinsam mit den vielen wilden Ferkeln, also den Frischlingen durch die Berliner Straßen toben, statt sich in einem noch so modernen Schweinestall auf eine Zukunft als Bio-Hackfleisch vorzubereiten.
Gemeint ist aber sicher etwas anderes: Ideale Bedingungen nicht für die Ferkel, sondern für die Produktion von Schweinefleisch, sofern das in Bioferkeln besteht, oder für diejenigen, die an dieser Produktion Geld verdienen. Doch auch da sind Zweifel angebracht. Ideal bedeutet vollkommen, der Idee der Sache völlig entsprechend, also nicht mehr verbesserungsfähig. Und ich glaube einfach nicht, daß es in Rotholz oder irgendwo anders in diesem irdischen Jammertal so ist. Nicht einmal für die Lebensmittelindustriellen, von denen einige sicher dem Himmel bereits auf Erden recht nahe sind, ist das so.

Rotationsprinzip

„Die Jobrotation stellt somit eine Arbeitsorganisation dar, welche aus den Arbeitsstrukturierungen Tätigkeitserweiterung und Arbeitsbereicherung entsteht.“[1]
Vorschlag:
Die Arbeitsrotation stellt somit eine Joborganisation dar, welche aus den Jobstrukturierungen Joberweiterung (wahlweise Arbeitserweiterung) und Jobbereicherung entsteht.

Wer arbeitet, darf auch feiern

„Nokia und Sesamstraße wollen zusammen arbeiten“, meldete am 31.01.2010 netz­welt.[1]
Sie wollen also nicht zusammen in den Urlaub fahren, singen oder spazierengehen und auch nicht zusammen feiern, sondern eben zusammen arbeiten. Wahrschein­lich hat netzwelt aber sagen wollen, daß sie zusammenarbeiten möchten, was zumindest kurz vor Weihnachten und bei einigen anderen Gelegenheiten zusammen feiern gar nicht ausschließt.

Der Zukunft zugewandt

Das Wort hat nach meiner Erinnerung Helmut Kohl erfunden. Ich höre ihn noch: „pfupfmdsfäch“, und sofort haben es alle nachgeplappert.
Sie trog, er hat nicht erfunden, nur popularisiert. Einer Recherche mittels Google Bücher zufolge kam es gelegentlich auch schon vor seiner Zeit vor, aber zu seiner gab es eine regelrechte Explosion.[1] Doch was bedeutet es eigentlich? Bedeutet es überhaupt irgendwas? „Eure Politik ist nicht zukunftsfähig“ – ist sie vielleicht statt dessen vergangenheitsfähig? Was kann eine Politik überhaupt beeinflussen, verändern, verbessern als das, was sich noch beeinflussen, verändern, verbessern läßt, d. h. noch nicht vergangen ist, sondern in der Zukunft liegt? Könnte man nicht einfach, wie in der Vor-Kohl-Ära, sagen: „Eure Politik taugt nichts“?



[1] 1970-1980: 41, 1980-1990: 212; 1990-2000: 1290; 2000-2010: 6160.


Schlägertyp

„Beim Blättern in dem 80-seitigen Konvolut des Ökoministeriums, erinnert sich ein Teilnehmer, ‚lief der Staatssekretär Adamowitsch binnen Minuten rot an und stürmte dann Türen schlagend aus dem Raum’“. Das schrieb der Spiegel am 15.3. 2004.[1]
Was für ein Anblick: Ein gestandener Staatssekretär, der beim Stürmen auf Türen eindrischt! Aber wahrscheinlich hat der Schreiber „türenschlagend“ schreiben wollen, doch dann hat ihn die Rechtschreibreform durcheinandergebracht. Er hat sie aber nur nicht richtig gelesen: Selbst die ist in diesem Fall für das Richtige.

Vorstoßwaffen

„Die Burka sei keine religiöse Frage, sondern ‚eine Macho-Symbolik‘. Einen Vorstoß für ein Vermummungsverbot in öffentlichen Gebäuden, bei Amtshandlungen und in öffentlichen Verkehrsmitteln hat unterdessen auch SVP-Nationalrat Oskar Freysinger eingereicht. Ein Bürger müsse in der Schweiz in bestimmten Situationen mit offenem Gesicht auftreten, zitierte die Zeitung den Politiker. Unterstützt wird ein Verbot der Vollverschleierung laut der Zeitung von CVP-Präsident Christophe Darbellay. Die Burka sei ein ‚Symbol für den Fundamentalismus und nicht kompatibel mit der Integration‘. Damit habe sie in der Schweiz ‚keinen Platz‘.“ Das berichtet Radio Vaticana, die Stimme des Papstes und der Weltkirche.[1]
Gut, daß nach „Burka“ der Konjunktiv 1 steht, so daß klar ist: Hier spricht nicht die Stimme des Papstes und der Weltkirche, sondern hier wird die Äußerung eines anderen wiedergegeben. Sonst hätte man denken können, die Stimme weiß nicht, daß eine Burka keine Frage ist, weder eine religiöse noch eine andere, sondern ein Kleidungsstück, und daß sie gewiß ein Symbol ist, aber keine Symbolik, und zwar ein Macho-Symbol, so wie die Priestergewänder, welche Frauen nicht tragen dürfen, auch. Da diese Stimme unfehlbar ist, dies alles aber ohne Frage Fehler wären, wäre man ganz durcheinandergeraten und hätte Zweifel bekommen an der Logik des Weltganzen.
Daß Präsident Christophe Darbellay den Satz zustande bekommt, die Burka sei ein „Symbol für den Fundamentalismus und nicht kompatibel mit der Integration“, liegt vielleicht daran, daß seine Muttersprache nicht Deutsch ist. Aber möglicherweise hat er ihn gar nicht gesagt, er hat ihn ja nur „laut der Zeitung“ gesagt. Wäre die schuld, dann müßte man die Sache schon ernster nehmen.
Interessant ist, daß man in der Schweiz offenbar nicht, wie anderswo, Anträge, Petitionen usw. einreicht, sondern Vorstöße. Vielleicht hat das etwas mit der kriegerischen Vergangenheit der Bürger dieses Landes zu tun, die ja überall in Europa mit ihren Vorstoßwaffen Söldnerdienste leisteten und das im Vatikan heute noch tun.