Freitag, 30. Dezember 2011

Einnahmengenerator

Der Abgeordnete Dietmar Bartsch von den Linken sagt im Bundestag: „Die Linke sagt: Wir müssen über die Erbschaftsteuer mehr Einnahmen generieren.“ Der Abgeordnete Otto Fricke von der FDP blökt dazwischen: „Sie wollen den Leuten mehr Geld wegnehmen!“[1]
Ob das stimmt, sei dahingestellt, aber der Abgeordnete von der Schreihalspartei hat doch insofern recht, als er uns dazu bringt, über die Vergeblichkeit des Ansinnens des Herrn Bartsch nachzudenken. Einnahmen kann man haben, man kann sie, wenn man sie hat, in die Sparbüchse tun oder gleich wieder ausgeben. Aber generieren kann man sie nicht, auch wenn gerade die Partei des Herrn Fricke das den Leuten weismachen will und Herr Bartsch ihr auf den Leim gegangen ist.
Generieren heißt erzeugen. Ein Betrieb kann z. B. Essiggurken oder Autoreifen erzeugen, also generieren, und dann verkaufen; dann hat er Einnahmen. Wenn man das Erzeugen von Autoreifen und das Erzielen von Einnahmen dadurch, daß man andere übers Ohr haut, mit dem gleichen Wort „generieren“ belegt, dann vernebelt man die gesellschaftlichen Ausbeutungsverhältnisse. Das hat die Partei des Herrn Bartsch ganz, ganz früher, als sie noch anders hieß, schon mal gewußt und hat sich darum beim Vernebeln auf andere Gebiete verlegt. Dabei sollte sie bleiben. Sie sollte es der Partei des Herrn Fricke überlassen, Leute, die Einnahmen durch das Herstellen von Autoreifen und Essiggurken erzielen, und Leute, die Einnahmen dadurch erzielen, daß sie andere übers Ohr hauen, gleichermaßen „Leistungsträger“ zu nennen. Daran hält sich, wie mir scheint, die Partei des Herrn Bartsch bisher auch. Aber wenn man einmal Einnahmen für etwas hält, das man generieren kann, dann ist man nicht mehr weit davon entfernt, „Leistungsträger“ in der Bedeutung zu verwenden, die das Wort im Jargon der Partei der Besserverdienenden hat.

Donnerstag, 29. Dezember 2011

Gefahrenpotential im Verzuge

„Gefahrenpotential durch die Produktion von Nanotubes“ ist eine Anfrage der Grünen im Düsseldorfer Landtag überschrieben.[1]
So reden sie alle. Wer nur vor einer Gefahr warnt, dem könnte man vorwerfen, daß er sie nicht ernst nimmt. Darum muß es wenigstens ein Gefahrenpotential sein. Mir kommt das inzwischen etwas abgenutzt vor, man muß es abermals steigern. Ich würde zu „totales Gefahrenpotential“, „absolutes Gefahrenpotential“ oder, damit man gleich sieht, daß der Warner nicht im defätistischen Geist warnt, sondern im rechten positiven die Bewältigung gleich mit denkt, „Gefahrenpotentialherausforderung“ raten.

Mittwoch, 28. Dezember 2011

Blaues vom Himmel

„Entdeckten die Verantwortlichen ein viel versprechendes Berufsbild, stampften sie binnen weniger Monate einen passenden Studiengang aus dem Boden und ‚filialisierten’ ihn an den sechs Hochschulen des Konzerns.“[1]
Die Schreiber der Zeit kennen natürlich den Spott, den jene Kollegen auszuhalten hatten, die nach Einführung der Rechtschreibreform glaubten, statt „vielversprechender Politiker“ dürften sie nun „viel versprechender Politiker“ schreiben. Hier wird uns also mitgeteilt, daß jene „Berufsbilder“ viel versprechen, aber wenig halten.

Dienstag, 27. Dezember 2011

Cyborg oder Roboter?

„Verständigungsprobleme zwischen Verkäufern und Menschen? Nicht mit ihm!“ steht auf einer Schaufensterscheibe des Apple-Händlers Gravis in Berlin neben dem Bild eines Verkäufers.
Den Verdacht hatte ich schon lange, daß die nicht echt sind. 

Montag, 26. Dezember 2011

Kulturkonservativismus

„Internationaler Event für Green Fashion, Kultur und Lifestyle in Berlin“, schreibt lohas trendwatch. [1]
Da man „Berlin“ sicher amerikanisch auszusprechen hat, frage ich mich, warum ausgerechnet die Kultur deutsch bleiben darf.

Freitag, 23. Dezember 2011

Sprachkompetenz-Nullsummenspiel

„An native speakers wird die rasch zunehmende Sprachkompetenz mit viel Freude erprobt, und auch der außerunterrichtliche Kontakt mit dem English teacher erfolgt gern in der Fremdsprache. E-mail Projekte, Telefonate mit den Austauschpartnern und Austauschbesuche sind das ideale Testgelände für die erworbene Sprachkompetenz.“[1] 
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß unter der rasch zunehmenden Kompetenz auf dem Gebiet der englischen Sprache die auf dem der deutschen etwas leidet. „E-mail Projekte“ zeigt das deutlich; ein Sinn ist in dem damit beginnenden Satz nicht zu erkennen. Man könnte sowohl durch ein Komma als auch durch einen Bindestrich einen herstellen, allerdings jeweils einen anderen.
Der genannte Eindruck wird dadurch bestätigt, daß Telefonate ein Gelände sein sollen, zudem ein ideales, obwohl es doch mit Sicherheit noch bessere gibt, was der Begriff des Idealen aber ausschließt. Das ungute Gefühl, das sich einstellen möchte, wird jedoch einigermaßen wettgemacht durch die überaus gelungene, preiswürdige Wortschöpfung „außerunterrichtlich“.

Donnerstag, 22. Dezember 2011

Kommunikationsprobleme

„Wir kommunizieren per Email, via Newsletter, über die Internetseite www.forum-ds.de miteinander und manchmal, wie heute Abend, auch bei einem Glas Bier.“ Das schreibt der Politiker Stefan Liebich von der Partei Die Linke.[1] In diesem Satz wird kommunizieren, scheint mir, richtig verwendet.
Im folgenden ist mit kommunizieren zwar etwas anderes gemeint als das Schreiben von Emails unter Parteimitgliedern, aber richtig verwendet wird der Begriff ebenfalls: „Wenn wir kommunizieren, d. h. Seinen Leib und Sein Blut empfangen, werden wir selbst – als Glieder Seiner Kirche – ein Teil Seines Leibes.“[2]
Wiederum etwas anderes bedeutet  kommunizieren bei patent.de, und auch hier ist nichts zu beanstanden: „Gegenstand des Gebrauchsmusters ist eine Filteranlage, die sich das Prinzip der kommunizierenden Röhren zu Nutze macht.“[3] Nicht nur Politiker und Glieder Seiner Kirche, sondern auch Röhren können kommunizieren.
Falsch machen es dagegen die Genossen des Herrn Liebich aus dem Kyffhäuserkreis: „Wir kommunizieren unsere Politik zu wenig in der Öffentlichkeit“.[4] Das wird auch dadurch nicht richtig, daß Friedrich Schiller „kommunizieren“ einst ähnlich verwendet hat („so communicieren Sie mirs“). Höchstens dann könnte das etwas helfen – denn er ist ja ein Klassiker und hat schon etwas zu sagen –, wenn die Kyffhäusergenossen es von ihm übernommen hätten. Aber das darf man getrost ausschließen. Sie haben es von Politikern aller anderen Parteien übernommen, deren Lieblingssatz nach einer Niederlage ja ebenfalls so oder so ähnlich lautet.

Mittwoch, 21. Dezember 2011

Wulffident

Welch eine Meisterleistung auf dem Gebiet der Sprachkunst! Der Spiegel scheint es erfunden zu haben. Näheres siehe http://kompetenzteam.antville.org/stories/2098836/#2099200

Thomas Düffert

Eine mir bisher unbekannte Knalltüte der Sonderklasse, die die deutsche Sprache oder besser: die Versuche, sie zu sprechen zu bisher ganz ungeahnten Höhen führen wird, hat Thomas Jarchow heute entdeckt:
http://www.stilstand.de/


Er heißt Thomas Düffert und ist irgendwas Wichtiges bei der "Mediengruppe Madsack".



Nachwuchs für bessere Kreise

„Die IB-Studenten besuchen für gewöhnlich dieselben Veranstaltungen wie die reinen Fachstudenten, und das oft in jüngeren Semestern.“[1]
„IB“ steht für „Internationale Beziehungen“. Die IB-Studenten wollen in den diplomatischen Dienst, also etwas Besseres werden, und deshalb ist es gut, wenn man ihnen beibringt, nicht wie die gewöhnlichen Leute gewöhnlich zu sagen, sondern für gewöhnlich. Vom Gewöhnlichen weichen sie auch insofern ab, als sie anfangs nicht jüngere Semester, sondern in jüngeren Semestern sind.

Dienstag, 20. Dezember 2011

CDU-Kraftprotz beim Stemmen

Nicht nur darin, daß sie Dinge von ungeheurem Gewicht, z. B. Schulen[1] oder Gipfel[2], umsetzen[4] - oder gar, was noch viel schwieriger scheint, das Klima[3]  -, zeigt sich die Ähnlichkeit heutiger Politiker mit Kraftsportlern wie dem legendären Kran von Schifferstadt[5]: Sie sind auch immerzu am Stemmen: „MARL. Die CDU-Fraktion im Rat der Stadt setzt sich für die Gründung einer Stadtmarketing Gesellschaft ein. .... In der Gesellschaft könnten Interessen- und Akteursgruppen vereint werden, um mit einer Stimme zu sprechen und gemeinsam auch komplexere Projekte zu stemmen.“[6] Wenn die Regeln des Getrennt- und Zusammenschreibens und der Verwendung von Bindestrichen nicht so leicht wären, wenn es da also etwas zu stemmen gäbe, hätten sie sie bestimmt schon gelernt und würden nicht „Stadtmarketing Gesellschaft“ schreiben.

Montag, 19. Dezember 2011

Kolorado


Da sagte eben einer im Radio „Kolorado“. „Kolorado“, nicht „Kolorëiidou“, wie die Deutschen doch seit einigen Jahren das spanische Wort Colorado meinen aussprechen zu müssen, jedenfalls die typischen Deutschen.
Man vermutet einen letzten Funken des Widerstands gegen die Amerikanisierung des Deutschen, einen Funken, aus dem vielleicht ein Feuer, ja der berühmte Flächenbrand entstehen könnte. Aber in Wirklichkeit ist es nur weiterer Schritt auf dem Weg der Amerikanisierung: Die Amerikaner sprechen fremdsprachige Wörter ja immer so aus, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Das hat man, nach langen Jahren des Irrens, begriffen und will es ihnen nun gleichtun.
Es gibt kein richtiges Leben im falschen.

Samstag, 17. Dezember 2011

Gesetzeshüter


„Beauftragte für Frauen oder Behinderte an Hochschulen agieren vor dem gesetzlichen Hintergrund und werden daher als Interessenvertretung wahrgenommen, als LobbyistInnen, die den optimalen Ablauf der Bestenauslese stören.“ Das schreibt jemand auf den Seiten der Heinrich-Böll-Stiftung.[1]
Bei den Strafverfolgungsbehörden ist es, sagt man, grad andersrum. Da soll es welche geben, die nicht „vor dem gesetzlichen Hintergrund agieren“, sondern lieber gesetzwidrig die Großen laufen lassen, und eben darum werden sie als Interessenvertretung wahrgenommen.

Freitag, 16. Dezember 2011

Pietät bitte!

„Der Kundenlebenszyklus (Customer Lifetime Value) beschreibt die Zeitspanne der gesamten Geschäftsbeziehung zwischen Kunde und Unternehmen. Beginnend mit dem ersten Kundenkontakt und abschließend mit dem Beenden der Geschäftsbeziehung.“[1]
Die sprachlichen Eigenheiten dieser Zeilen in ihrer Gänze zu würdigen, überlasse ich auch dieses Mal dem Leser. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß für die Wissenschaft von den Geschäftsbeziehungen mein, des Kunden, Leben, ja sogar mein Lebenszyklus mit dem Beenden der Geschäftsbeziehung ebenfalls an sein Ende gekommen ist, ich für sie also mausetot bin. Dann sollten sie aber konsequent sein und mich künftig in Ruhe lassen.

Donnerstag, 15. Dezember 2011

Wanderndes Menschenmaterial

Zuwanderer sind wegen ihren kulturellen und sprachlichen Kompetenzen eine gesellschaftlich wertvolle Ressource.“ Das möge der bayerische Landtag – sicher nachdem „ihren“ durch „ihrer“ ersetzt worden ist – beschließen, so die Fraktion der Grünen.[1]
Ich dagegen meine: In einer Kultur, in der man die Meinung, daß Ausländer erwünscht sind, so ausdrücken muß oder meint, sie so ausdrücken zu dürfen, ist sowieso Hopfen und Malz verloren. Da helfen auch die kulturellen Kompetenzen der zuwandernden Ressourcen nicht mehr.
Loben muß man aber, daß sie „Zuwanderer“ geschrieben haben und nicht, wie sonst üblich, „Wanderer“ (bzw. das Fremdwort, „Migranten“[2]). In Bayern weiß man halt, daß die Wanderer gewöhnlich aus Preußen kommen und keine Zuwanderer sind, sondern nach dem Urlaub wieder verschwinden.

Mittwoch, 14. Dezember 2011

Küchenmoses


Es gibt offenbar eine mir nicht zugängliche Welt, in der es ähnlich zugeht wie in der, der sich diese Kommentare widmen und von der ich nicht so recht glauben mag, daß sie tatsächlich die beste aller möglichen (Leibniz) ist: die Welt der Gastronomiekritik. Rudolf Walther hat sich ihr auf der heutigen Wahrheit-Seite der taz gewidmet: http://taz.de/die-wahrheit/!83649/

Gebetsbetrieb 2

„Jeder kann sich für die Online-Andacht seine Umgebung selbst gestalten. Einige stellen eine Kerze neben den PC, bei anderen läuft Musik im Hintergrund. Egal wo sie sitzen, im Chat sind sie beisammen und bilden eine Gemeinschaft auf Zeit. Für die Chat-Andachten hat sich eine eigene Liturgie herausgebildet. Die Andacht beginnt mit einem kurzen liturgischen Gruß, dann folgt in der Regel ein Psalmgebet, das im Wechsel getippt wird.“[1]
Mit Sprache hat es nichts zu tun, daß ich das kommentiere, aber doch mit einem tiefsitzenden Konservativismus, von dem manche meinen, daß sich daraus all meine Kommentare in diesem Blog speisen: Bevor ich im Wechsel die Noten des Kyrie eintippe, möchte ich doch lieber zu den ganz alten Formen der Kommunikation mit dem Jenseits zurückkehren: Der Opferpriester wetzt das Messer, Rauch steigt auf, die Gemeinde tanzt und kreischt drei Tage ohne Pause und dann sind die Götter wieder versöhnt und schicken endlich Urlaubswetter.

Dienstag, 13. Dezember 2011

Gebetsbetrieb 1

Seit einem Jahrzehnt tönt’s aus allen Medien von der Wiederkehr des Religiösen und Jubel ist ausgebrochen von Mekka über Rom bis Hannover-Herrenhausen. Aber Vorsicht, die Jahrhunderte der Säkularisation sind nicht spurlos vorübergegangen, das Religiöse kehrt nicht in vertrauter Gestalt wieder. Im Klassikradio (schreibt sich wahrscheinlich KlassikRadio, oder Klassik Radio) teilte ein Sprecher den Hörern mit, daß die Dresdener Frauenkirche im Jahre 2005 „den Betrieb wieder aufgenommen“ hat.[1]




[1] Am 8.12.2011

Montag, 12. Dezember 2011

Triumphzug der Gerechten

Jahrtausendelang ging’s auf der Welt ungerecht zu. In der Zeit der Aufklärung war man damit nicht mehr zufrieden. Die Liberalen zwar, die damals aufkamen, hatten, wie die heutigen, wenig Einwände. Sie meinten, wer nichts dagegen ausrichten kann, daß das, was er erarbeitet hat, ein anderer einstreicht, ist selber schuld. Aber die demokratischen, vom Rationalismus und dessen Überzeugung, daß die Vernunft uns Einsicht in höhere Wahrheiten gewährt und daß man unter diesen Wahrheiten Prinzipien wie eben und allem voran Gerechtigkeit findet – also die von dieser Überzeugung geprägten Aufklärer, die würden jauchzen und frohlocken, wenn sie den Siegeszug sehen könnten, mit dem ihr Fahnenwort heutzutage die deutsche Sprache überrollt:
Umweltgerecht, behindertengerecht, urlaubsgerecht, saunagerecht, schlafgerecht, wellnessgerecht, fitnessgerecht, sozialgerecht, familiengerecht, kindgerecht und kindergerecht, hundegerecht, arbeitsgerecht, arbeitsplatzgerecht und jobgerecht, landschaftsgerecht, frauengerecht, das mit seinen 6.400 Treffern bei Google allerdings bereits weit überholt ist vom vermutlich nichts anderes bedeutenden gendergerecht (21.700), bildungsgerecht, teamgerecht, selbstverständlich partner- und dynamikgerecht, nachhaltigkeitsgerecht, aber zu meiner großen Überraschung kein sustainabilitygerecht, wohl aber ökologiegerecht, zukunftsgerecht, ideengerecht, integrationsgerecht, mehrweggerecht wiederbefüllt, gefühlsgerecht, noch nicht aber feelinggerecht, wohl allerdings wohlfühlgerecht, ganzheitsgerecht, erlebnisgerecht, spaßgerecht und fungerecht, eventgerecht, projektgerecht, aber noch nicht projektvorhabensgerecht[1], bedarfsgerecht und verkehrsgerecht, aber noch nicht bedarfegerecht[2] und verkehregerecht[3], was aber bald kommt. Auch auf centergerecht, trauergerecht, trauerarbeitgerecht und herausforderungs- bzw. challengegerecht[4] warten wir noch, doch sicher nicht mehr lange.
Leistungsgerecht ergab 41.000 Treffer, aber keinen einzigen erbrachte leistungsträgergerecht, und nur einen einzigen gab es für elitegerecht. Daran kann man sehen, daß die alte mit dem Gerechtigkeitsbegriff verbundene Menschheitshoffnung in der Tat diese Wortinflation beflügelt und befeuert. Denn trotz allerheftigster Bemühungen z. B. der FDP, den Leuten klarzumachen, daß es gerecht sei, wenn ein Leistungsträger[5], also z. B. ein Aktienbesitzer, fünfzig oder hundert mal so viel verdient, d. h. einstreicht wie einer, der die Leistung erbringt, an der jener Träger verdient bzw. die er einfährt[6] – fünfzig oder hundert mal so viel also wie einer, der ihren Ertrag verdient, aber nicht an ihm verdient: Sprachlich will die Ehe von Leistungsträger und Gerechtigkeit einfach nicht zustande kommen.
Außer dem Nachwirken jener Menschheitshoffnung hat die Gerechtigkeitskonjunktur noch einen weiteren Grund: Faulheit. Statt sich um einen Satz zu bemühen, in dem der Gedanke sprachgerecht formuliert wird, daß etwas der Integration von Migranten[7] dienlich sei, rotzt man „integrationsgerecht“ hin. Paul Lafarge, Ehemann der Tochter des bekannten Arbeitstheoretikers und Arbeiterführers Karl Marx, Lafarge also, der im Banne seines Schwiegervater- oder Schwiegersohnkomplexes das Loblied der Faulheit gesungen und das Recht auf dieselbe proklamiert hat, kannte das Wort faulheitsgerecht nicht. Hätte er es gekannt, er hätte es nicht verwendet. Denn ihm wäre daran ein Mangel an Ästhetikgerechtigkeit aufgefallen. Und auch wenn er in der Sache zugestimmt hätte, wäre ihm wohl aus dem selben Grund die Formulierung suspekt gewesen, daß es hier eine Ästhetikgerechtigkeitslücke zu schließen gelte oder man ein Ästhetikgerechtigkeitsdefizit herunterfahren[8] müsse.
Einen dritten Grund gibt es – selbstverständlich – noch: Es hört sich doch ganz anders an und man ist gleich jemand, wenn man nicht einfach schreibt, dies oder jenes tue dem Hund gut oder erfreue ihn, sondern es sei hundegerecht. Dem Wort Gerechtigkeit kann man ein gewisses Blähpotential[9] nicht absprechen, welchen Begriff aus der Ernährungslehre, wo er nach Wikipedia z. B. eine dem Rosenkohl zugesprochene Eigenschaft  bezeichnet, mit einer leichten Bedeutungsverschiebung in die Sprachwissenschaft zu übertragen bzw. zu transferieren ich hiermit vorschlage bzw. beantrage.

Sonntag, 11. Dezember 2011

Glückliches Österreich

Ein genderpolitisches Ereignis ersten Ranges hat sich im deutschsprachigen Ausland zugetragen. Die demokratisch-feministische Fraktion der Sprachbürokraten wird jubeln.[1] Helmut Schürmann hat es im Tagesspiegel kommentiert:



[1] Die Feier findet voraussichtlich im Sprachlog statt.

Samstag, 10. Dezember 2011

Deutscher Kabarettpreis 2011

Daß das deutsche Kabarett neuen Höhen entgegenstrebt, hört man seit einiger Zeit immer wieder. Nun scheint es den Gipfel erklommen zu haben:
Gestern wollte ich mir nach der Niederlage von Hertha gegen Schalke die Sportberichterstattung nicht antun und geriet in die „Heuteshow“ des ZDF. Es ging erst um den Wahlbetrug in Rußland und ein durch die Sendung führender Oberhanswurst erfand für Putin den Titel „Genosse Beschisski“. Schallendes Gelächter im Publikum. Anschließend faßte er Angela Merkel und Nicolas Sarkozy als „das Merkozy“ zusammen und zeigte ein Bild, auf dem die rechte Hälfte von Merkel mit der linken von Sarkozy zusammengenäht war. Das Publikum raste vor Begeisterung. 

Freitag, 9. Dezember 2011

Umsetzen, Nachtrag

Gestern, am 8. Dezember 2011, berichtete die Tageschau über ein gescheitertes Briefbombenattentat auf den Super-Banker J. Ackermann. Ein Zuständiger von einem Kriminalamt wurde interviewt, und er sagte, daß etwas ganz Schlimmes hätte passieren können, wenn die Bombe – nein, nicht, wie Sie, liebe Leser, wohl vermuten, explodiert wäre, sondern – „wenn sich diese Bombe umgesetzt[1] hätte“.


Erwartungshaltung bewahren!

„Die Arbeitsgruppen werden von erfahrenen Moderatoren geleitet, die den Jugendlichen zugleich beratend zur Seite stehen. Am Ende der Diskussion wird ein Papier entstehen, in dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer jeder Arbeitsgruppe ihre Erwartungshaltung an Deutschlands Zukunft in drei bis vier Thesen formulieren.“[1]
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, denen die Moderatoren zugleich damit, daß sie erfahren sind, beratend zur Seite stehen, sind Gymnasiastinnen und Gymnasiasten aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Ich gehe jede Wette ein, daß die Moderatoren es nicht schaffen werden, sie dazu zu bringen, ihre Erwartungshaltung zu formulieren, sondern daß die Knaben und Mädchen etwas völlig anderes tun werden: Sie formulieren ihre Erwartungen.
Nebenbei: Ein Problem, das die Anhänger des politisch korrekten Sprechens bald in eine tiefe Krise stürzen wird, ist, daß sich „Gymnasiastinnen und Gymnasiasten“ nicht nach dem Muster der „Studierenden“[2] in einem Wort zusammenfassen läßt. Oder hat jemand eine Idee? Es muß ja nicht richtig sein. „Studierende“ ist ja auch falsch.

Donnerstag, 8. Dezember 2011

Regulierung zur Sicherheit des Söldnerwesens

„Sicherheit. Die Union schweigt, doch die Liberalen erinnern sich an ihre Forderung zur Regulierung“. Das war vor einiger Zeit eine Unter-Überschrift in der taz[1].
Reguliert soll das „Söldnerwesen“ werden. Eine deutsche Firma, die zum „Sicherheitsgewerbe“ gehört, will mit einem der Bandenführer im Bürgerkrieg von Somalia Geschäfte machen, indem sie ihm gegen Bezahlung Söldner schickt.
Die Liberalen haben sicher nicht eine Forderung zur Regulierung erhoben. Forderung zur Regulierung könnte z. B. heißen, zu verlangen, die bestehende Regulierung oder die Regulierung überhaupt abzuschaffen. Das würde zwar zu den Liberalen passen, aber in diesem Fall vermutet man gewiß zu Recht, daß sie die Forderung der Regulierung erhoben haben, daß sie also gefordert haben, in das „Söldnerwesen“ regulierend einzugreifen dergestalt, daß solche Banden nur manches, aber nicht alles machen dürfen, was sie möchten. Auch das würde zu den Liberalen passen. Jeder Mensch, der nicht deren oder einer ähnlichen Ideologie anhängt, würde ja nicht die Regulierung des „Söldnerwesens“ fordern, so wie er auch nicht fordern würde, das Morden anderer Art zu regulieren, sondern es zu verbieten.
Daß die PraktikantInnen, die bei der taz die Unter-Überschriften formulieren dürfen, Söldnerwesen und nicht Söldnerunwesen schreiben, zeigt, daß junge Leute, die von sich aus so denken, wie es die taz-Leser erwarten, heute nicht mehr so leicht zu haben sind. Falls es sie doch geben sollte, machen sie ihr Praktikum nicht bei der taz. Bemerkenswert ist aber vor allem, daß der Bericht unter der Überschrift „Sicherheit“ steht. Da ist keineswegs die Sicherheit der Einwohner von Somalia vor den Söldnern gemeint, sondern die Art von Sicherheit, die die Söldner schaffen, also bezahlte Banden, die von einer zum deutschen Sicherheitsgewerbe gezählten Firma geschickt werden, um die Sicherheit der Auftraggeber zu erhöhen. Die Gründer der taz haben das alles noch ein wenig anders gesehen.




[1] 28. Mai 2010, S. 7.

Mittwoch, 7. Dezember 2011

Weltengenerator


„Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten und Potenziale des Event-Marketing ermöglichen es, entsprechend dem momentanen Zeitgeist relevante Zielgruppen zu erreichen, markenrelevante Wirklichkeiten und Erlebniswelten zu generieren, Emotionen und Sympathiewerte zu erzeugen und auf diese Weise insbesondere durch den Einsatz im Sport eine Bindung zwischen Marke bzw. Unternehmen und Rezipienten herzustellen“, schreibt ein Professor von der „ESB – Business School, Reutlingen University“.[1]
Den Satz in seiner ganzen Schönheit zu würdigen überlassen wir dem Leser und sehen uns nur ein ganz kleines Stückchen näher an: „Wirklichkeiten“ und „Welten“ werden „generiert“. Es hört sich nach Gewaltigem an. Man stellt sich einen Eventmarketingmanager in seiner ganzen Herrlichkeit vor, wie er, so wie seinerzeit der Schöpfer aller Dinge, die Welt Wirklichkeit werden läßt – ach was, nicht nur die eine Welt wie dieser Stümper, sondern Welten, ja Welten über Welten, und zwar Erlebniswelten, was immer das sein mag.
Aber vielleicht ist es ja viel schlichter gemeint. Wenn ich einen Punkt aufs Papier setze, dann generiere ich zwar keine markenrelevante, aber doch eine Wirklichkeit. Denn ganz wirklich ist der Punkt nun da, vorher gab es ihn nicht,  und an mir liegt’s, daß es ihn gibt. Man kommt nur nicht so leicht auf die Idee, es derart prunkvoll auszudrücken, und so entgeht einem, welch weltenbewegende Leistung man da vollbracht hat.

Dienstag, 6. Dezember 2011

Ruhig stellen

Ohne Kundenqualifizierung sieht sich ein Verkaufsteam dazu genötigt, sich bevorzugt den ‚unangenehmen’ laut schreienden Kunden zuzuwenden, um diese ruhig zu stellen.“[1]
Warum das ganz unbescholtene Wort unangenehmen in Anführungszeichen steht, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Sich den angenehmen laut schreienden Kunden zuzuwenden – die es ja auch geben muß, sonst hätte man nicht betonen müssen, daß sich das Verkaufsteam den unangenehmen unter den laut schreienden zuwendet –, dazu sieht das Team sich offenbar nicht genötigt. Was aber soll „um diese ruhig zu stellen“ heißen? Ich sehe mehrere Möglichkeiten: Vielleicht möchte man sie in aller Ruhe stellen, d. h. erwischen, fassen, so ruhig, wie ein routinierter Polizeihund den Dieb stellt. Oder man will die Kunden in aller Ruhe stellen, d. h. hinstellen und nicht etwa legen oder setzen. Oder ruhig ist im Sinne von „Das kannst du ruhig machen“ gemeint, d. h. du kannst sie stellen, ich hab nichts dagegen. Ausgeschlossen ist aber die Bedeutung: den Kunden so behandeln, daß er aufhört, im Laden herumzukrakeelen. Denn dann müßte es ruhigstellen heißen, nicht ruhig stellen.

Damit man nicht denkt, solche Konfusion sei nur in den bildungsfernen Schichten möglich, die Beiträge zur Kundenbewertung in Vertriebslexika verfassen: Auch in unserem Bildungsbürger-Zentralorgan geht es neuerdings so zu:
„Es gäbe ja durchaus einiges zur Rolle Albert Speers im Dritten Reich und zu Hitlers letztem Tag richtig zu stellen“.[2]

Montag, 5. Dezember 2011

Nonfoodsilvermarket

„Auf den Jugendkult folgen somit die «Silver Markets»: dynamische und zugleich lukrative Märkte für die Konsumgüterindustrie aus dem Food- und dem Nonfood-Bereich ...“.[1]
Ganz so neu, wie die Trendforscher[2] tun, ist das nicht. Schon mein Großvater hat im Nonfoodbereich der Konsumgüterindustrie die Silver Markets beliefert. Man hat das damals nur etwas weniger geschwollen ausgedrückt. Er war Tischler und hat Särge hergestellt.

Samstag, 3. Dezember 2011

Neusprech auf lutherisch

Dr. Michael J. Inacker ist „Vorsitzender der Internationalen Luther-Stiftung und Bereichsleiter Unternehmenskommunikation der Metro AG.“ Er erklärt in der christlichen Zeitschrift Chrismon[1], warum „das System der sozialen Marktwirtschaft“, das ihm zufolge vor allem den USA ihr Gepräge gibt, nicht schuld ist an der Bankenkrise und überhaupt an allem, was es nach allgemeiner Meinung anrichtet: Diese Krise „hat ihre Ursachen vor allem in einer falsch verstandenen Sozialpolitik. Viele Menschen, die es mit ihrem Einkommen nicht konnten, sollten sich ein Haus kaufen können. Die Marktwirtschaft hat aber letztlich funktioniert, indem sie diese Fehlentwicklungen an den Immobilienmärkten aufgedeckt hat.“
Ich wollte, nebenbei bemerkt, immer schon wissen, was der Unterschied zwischen einer falschen und einer falsch verstandenen Sozialpolitik ist. Es gibt wohl einen; eine richtige Sozialpolitik kann ja durchaus falsch verstanden werden, ohne daß sie dadurch zu einer falschen wird. Auch unser Vorsitzender scheint mir - wie alle, die von „falsch verstandener“ Sozialpolitik, Umweltpolitik, Kulturpolitik oder was auch immer reden - zu meinen, es gebe einen, denn sonst würde er sich das "verstanden" ja sparen. Aber andererseits kann ich beim besten Willen nicht erkennen, daß er etwas anderes meint als eine falsche Politik.
Aber zur Hauptsache: Ist das nicht eine ungeheure Verschwendung? Hätte man zum Aufdecken nicht einen Ermittler, einen Hauptkommissar z. B. wie im Tatort, einsetzen können? Das wäre doch viel billiger gekommen als eine ganze Marktwirtschaft! Abgesehen davon, ob sie dafür überhaupt zuständig ist; ich habe immer gedacht, sie sei zu etwas anderem da. Und schließlich: Wie macht sie es denn, wenn sie etwas aufdeckt? Sie beschert uns eine Krise, dann wissen wir alle, was los war und uns bisher entgangen ist. Manchmal beschert sie uns auch einen Krieg, daran kann man ebenfalls sehen, daß sie letztlich funktioniert,  denn was deckt sie damit nicht alles auf an Fehlentwicklungen! Man mag sich gar nicht vorstellen, wohin diese noch geführt hätten, wenn die Marktwirtschaft nicht rechtzeitig mit einem enthüllenden Krieg dazwischengefahren wäre!




[1] 11/2011