Freitag, 4. Februar 2011

Challenge zwischen den Herausforderungen

Seit unvordenklichen Zeiten gibt es das ebenso unschuldige wie unverzichtbare Wörtchen „zwischen“, und nun hat es der zwischen Irr- und Schwachsinn wie ein Veitstänzer hin und her hüpfende und rasende Zeitgeist erwischt. In Henscheids Dummdeutsch-Lexikon von 1993 taucht es nicht nur naturgemäß ganz weit hinten, sondern auch nur ganz am Rande auf in Form des „Zwischengipfels“, der sich seit dieser Zeit immerzu zwischen die richtigen Gipfel, insbesondere die Weltwirtschaftsgipfel schiebt. Am Trauern, dem man sich damals ganz besonders an der Evangelischen Akademie Tutzing hingab, interessierte in jenem Lexikon nicht dessen Lage „zwischen Sinnverlust und Sinnlichkeit“, sondern seine Nobilitierung vom ordinären Trauern und Wehklagen zur Trauerarbeit. Aber was für eine Karriere hat das „Zwischen“ seitdem hingelegt!
„Humankapital zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer“, „Neue Identität zwischen Kühler und Küche“, „Kollektive Identität zwischen Nation und Psyche“, „Eine eigentlich fundamentale Kritik zwischen Persönlichkeit und Individualismus, Mensch und Masse“ erscheinen uns als Höhepunkte, aber wahrscheinlich sind’s nur Zwischengipfel. Wie zwischen Individualismus und Persönlichkeit eine Kritik hineinpaßt oder eine Identität zwischen Küche und Kühler: Vor diesen Fragen wäre selbst Erda, der Welt weisestes Weib (R. Wagner), stumm verharrt, und all die anderen Weisen von Platon bis Schopenhauer hätte die Verzweiflung gepackt. Nietzsche hat’s wohl geahnt und ist vorsichtshalber wahnsinnig geworden.
Besonders schlimm wird es, wenn sich das „Zwischen“ mit der „Herausforderung“ verbündet und verbindet. Das war einst ebenfalls ein respektables Wort; Mohammed Ali hat sich der Herausforderung durch Sonny Liston gestellt und sie bestanden. Aber neuerdings hat die Herausforderung die legitime Beziehung mit dem „Durch“ mehr oder weniger abgebrochen und sich auf eine sittenwidrige mit dem „Zwischen“ eingelassen. Abertausende von Treffern gibt es bei Google. „Perspektive Patentanwalt, Herausforderung zwischen Technologie und Recht“. Der Autor dieses Buches ist auf der Amazon-Seite nicht zu ermitteln, wahrscheinlich schämt er sich noch ein bißchen. Aber zu „Optimierung der Gewerbeabfallaufbereitung – Herausforderung zwischen Wertstoffsortierung, Brennstoffkonfektionierung und Resteminimierung“ bekennt sich ask, d. h. „access to sustainable knowlegde“, sichtlich stolz.[1]
Auch in den Kreisen der Gesellschaftstheoretiker scheint man bald dem Drang nachzugeben, sich dieser Unzucht hinzugeben. Jedenfalls sind die beiden Wörter bereits bedenklich nahe aneinandergerückt: „Zwischen Tourismus und Raum scheint ein Zusammenhang zu bestehen“ steht in dem Buch „Tourismus und Raum als gesellschaftstheoretische Herausforderung“. Frühere Gesellschaftstheoretiker hätten wohl kritisch eingewendet, daß „Zusammenhang zwischen Tourismus und Raum“ ein ähnlicher Kategoriensalat ist wie „Nachts ist’s kälter als draußen“, aber inzwischen ist man in der Branche halt weiter. Ökolandbau.de zufolge steht heute die „Herausforderung zwischen Verlässlichkeit und Haushaltskonsolidierung“ auf der Tagesordnung[2], und die Jusos von Straubing in Niederbayern sorgen sich um „Frauen, die die Herausforderung zwischen Familie und Beruf meistern müssen“.[3]
Woher das alles kommt, kann man bei Adorno im Jargon der Eigentlichkeit nachlesen. Der weht und west und heideggert hier nach. Wodurch die Frauen herausgefordert werden, z. B. durch die Anforderungen, die der Beruf oder richtiger der Chef stellt, erfährt man nicht. Der Mensch als solcher hat sein Wesen darin, daß er ein Herausgeforderter ist, wodurch auch immer,  wahrscheinlich durch das Sein, oder meinetwegen auch durch das Nichts. Und weil er nun einmal gar nicht anders kann, als immer irgendwo zu sein, ist er immer auch zwischen etwas, und folglich ist auch die ihn stets begleitende Herausforderung immer zwischen etwas, zwischen der Familie und der Haushaltskonsolidierung und dem Raum und dem Tourismus und dem Sinnverlust und der Sinnlichkeit. Aber wahrscheinlich hat es damit bald ein Ende, denn die Herausforderung steht zwar auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, jedoch gleichzeitig kurz vor dem Aussterben. Verdrängt wird sie vom Challenge.
Noch findet man Übergangsphänomene: „Grüne Politik ist gefragter denn je. Um die geballte Offensive der Atomlobby zu parieren und unsere Gesellschaft auf den Weg der ökologischen Nachhaltigkeit zu bringen, stehen wir vor einer grossen Herausforderung. Wir Grünen sind in bester Verfassung, um diese Challenge zu meistern – und daran zu wachsen.“[4] Aber das wird bald nicht mehr nötig sein. Manchmal ist die Amerikanisierung der deutschen Sprache ein Segen. Dachte ich. Doch nun stellte sich heraus, daß es „Challenge zwischen“ bei Google auch schon gibt.

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