Montag, 28. Februar 2011

BILD dir deine Meinung

Seit Beginn der Neuzeit, spätestens der Moderne ist die alte Einheit des Wahren, Guten und Schönen ebenso wie die gegenteilige unwiderruflich zerbrochen. Darüber sind sich, wenn ich es richtig verstanden habe, die einschlägig spezialisierten Gelehrten einig. Der Teufel war böse und was er sagte, war selbstverständlich nicht wahr, und er war zugleich häßlich und, mehr noch, ekelhaft. Eine Heilige war nicht nur definitionsgemäß gut, sondern aus ihr sprach die Wahrheit und sie ließ sich auf keinen Fall als häßliches altes Weib darstellen wie eine Hexe, sondern war von engelgleicher Schönheit.
Das also ist, sagt man uns, endgültig vorbei. Doch man irrt. In Gestalt der Boulevardpresse und des Unterschichtfernsehens (siehe Umschichtungen) ist die finstere Seite der alten Einheit wieder erstanden. Daß die Wahrheit dort nicht zu finden ist, weiß jeder. Daß diese Unwahrheit nicht ein unschuldiger Irrtum ist, zeigt das sprichwörtliche „Bild lügt“, was, von Dittsche einmal abgesehen, selbst die Meinung eines jeden Bild-Lesers ist.
Daß aber diese Presse zugleich die moderne Gestalt des absolut Bösen ist, ist durch folgenden Befund erwiesen: In einer Unzahl von Kriminalfilmen werden uns Einbrecher, Bankräuber, ja selbst Mafia-Killer als zwar etwas rauhe, doch im Grunde ihres Herzens liebenswerte Burschen vorgestellt. Mit einem Boulevardjournalisten ließe sich das auf keinen Fall machen. Es würde vollkommen unglaubwürdig wirken, ihn anderes zu zeigen denn als eben jenes Geschmeiß, das zu Beginn des Films der Kommissar mit angewidertem Gesicht vom Tatort wegscheucht. Ein guter Kern in einem von denen übersteigt einfach jedes menschliche Vorstellungsvermögen.
Aber ist damit notwendigerweise das Häßliche verbunden? Doch. Mehr noch, das Ekelhafte. Denn kann man sich etwas Scheußlicheres vorstellen als die Wortschöpfungen, die dieser Höllenschlund täglich herauswürgt? Was einem Brueghel nur ganz selten ins Bild zu setzen gelang, Bild schafft’s täglich im Druck. Schwarzrot-glücklich, Jogi-Plosion, Rehakles, Promi, Schweini, Klinsi, Brummi; Katy Perry, was bist du pralli!, gaaanz zahm, Boxen-Luder, Feier-Luder, Twitter-Luder, und das alles geht auch mit -Schlampe (Fitness-Schlampen sind aber keine -Luder, sondern Fußballspieler, die zum Trainieren zu faul sind), Schlampenalarm, Tittistina (Hv. i. Orig.), Baby-Mama (die Mutter des Kindes von Christiano Ronaldo), Nackt-Alarm, Eisbrustlauf (Hv. i. Orig.), hier ludert seine sexy Freundin, Topmodel, Britney Spears modelt, wir sexen den Sommer willkommen (alles bild.de), Courtney macht sich gerne nackt (Gmx.de), Lio-null Messi (SonntagsBlick, Schweiz), Blond-Duell (RTL), Promi Pannen (Promi-Pannen.de), Busenblitzer (prosieben.de), Busen Blitzer (Promi-Pannen.de), hol dir Jenny (prosieben.de), usw. usf.
Es gibt eine Sorte von Intellektuellen, die mögen das. Nicht weil sie es schön fänden, sondern weil sie meinen, es käme dadurch zustande, daß jene Presse dem Volk aufs Maul schaut. Dann jammern sie, wenn „Brummi“ seltener wird und setzen es auf die Liste der vom Aussterben bedrohten Wörter.[1]
Tatsächlich redet man im Volk – d. h. in der Unterschicht im Sinne der Definition von Harald Schmidt (siehe Umschichtungen) – keineswegs so. Es ist im Gegenteil erstaunlich, wie wenig von diesen Aussonderungen der Journalistengehirne, die man da doch täglich liest und hört, in den Sprachgebrauch eingeht. Trotz intensivster und hartnäckigster Bemühungen – Po-Blitzer, Hallöchen Popöchen, Sitten-POlizei (Hv. i. Orig.), Bob-Po, Kirsch-Po, Mandel-Po, Erdbeer-Po, Popo-Wunder, Sechs Toaster für den Popo, Po frißt Badeanzug, Popo-Show, Popo-Parade, Popo-Hosen-Tanz, Popo-Ritzen-Alarm, Promi-Po-Parade und einige hundert mehr – ist es der Bildzeitung nicht gelungen, der sie lesenden Klasse das Wort Arsch abzugewöhnen und diese davon abzubringen, Leute von der Art eines Franz Josef Wagner, Mathias Döpfner oder Kai Diekmann einen solchen zu nennen.

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