Samstag, 24. Mai 2014

Entwicklungswunder


„Mario Götze und Marco Reus sind Deutschlands Hoffnungsträger für die Offensive. Die beiden Freunde haben sich sportlich auseinander entwickelt“, schreibt der Spiegel heute (24.5.14) in seiner Online-Ausgabe.

Etwas rätselhaft ist das schon. Aus dem Samen entwickelt sich der Keimling, das versteht man, und aus einer befruchteten Eizelle entwickeln sich manchmal sogar zwei erwachsene Menschen, sogenannte eineiige Zwillinge. Die sind einander meist recht ähnlich, so wie im Falle der Brüder Bender (Leverkusen, Dortmund). Manchmal aber kommt es vor, daß die Zwillinge sich auseinanderentwickeln und immer unähnlicher werden. Aber Reus und Götze sollen sich auseinander entwickelt haben. Wie ist das zugegangen? Reus hat sich, wenn auch nur sportlich, aus Götze entwickelt, so wie umgekehrt Götze aus Reus? Das kann sich der Fußballfreund, auch wenn er sich noch so sehr bemüht, gar nicht vorstellen.


Donnerstag, 22. Mai 2014

Breites Forum


„Forum will Planungen breiter und viel demokratischer aufstellen“, schreibt die taz[1]
Man stelle sich vor, das hätte einer vor 50 oder 100 Jahren lesen müssen. Kein Anglizismus drin – jedenfalls nicht auf den ersten Blick –, und doch wäre ihm kein Sinn aufgegangen. Das Wort Forum hätte er wohl gekannt. Ein Forum ist etwas, auf dem man sich versammeln kann, besonders wenn man Römer ist. Aber daß ein Forum etwas wollen kann, hätte er nicht glauben mögen. Was eine Planung ist, wäre ihm auch bekannt gewesen. Kaum hätte er sich aber vorstellen können, daß man Planungen aufstellen kann, und wenn ihm einer gesagt hätte, daß man sie breit und sogar noch breiter aufstellen kann, und sogar viel demokratischer, hätte er sich an den Kopf getippt. – Nein, liebe Linguisten, ich habe nichts dagegen, daß sich die Sprache wandelt. Und wenn sie sich mitunter so schnell wandelt, daß die ältere Generation nicht mehr versteht, was die jüngere sagt, ist das zwar für die ältere nicht angenehm – doch was ist für die schon angenehm? Aber muß sie sich denn so wandeln?


[1] 31.1.13

Dienstag, 13. Mai 2014

Populationsdynamik

„Untersucht werden solche Zusammenhänge heute vermehrt mit dem Ansatz der ‚sozialen Milieus’“.[1] 
Die Taliban sollen vermehrt Kinder einsetzen, Hitzewellen werden vermehrt zum Gesundheitsrisiko, und in einem „Terror-Ausbildungslager“ sind vermehrt deutsche Islamisten anzutreffen. Hunderttausende von Treffern ergibt „vermehrt“ in dieser Verwendungsweise bei Google. Wer hat dieses Monstrum erdacht? Ist das schon verjährt? Hoffentlich nicht, denn wenn es auch nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist – keiner merkt ja mehr, daß da etwas gewaltig knarrt und quietscht –, so wäre doch der Gedanke tröstlich, daß jemand dafür belangt werden könnte.






[1] http://www.diezeitschrift.de/42007/bremer0701.pdf.

Mittwoch, 7. Mai 2014

Neue Armut entdeckt


Bildungsarme und Bildungsreiche gibt es schon seit einiger Zeit. Die haben nun Gesellschaft bekommen. Ein Vorsitzender eines hochwichtigen Auschusses der Regierung oder des Parlaments hat sie entdeckt, heute schreibt er in der taz darüber: Zukunftsarme und Zukunftsreiche. Wie bei den Bildungsarmen bleibt aber auch hier einiges im Dunklen. Sind die letzteren arm, weil es ihnen an Bildung mangelt? Oder sind sie arm an Bildung? Oder arm durch Bildung, handelt es sich also beispielsweise um Leute, die sich derart gebildet haben, daß sie keiner mehr anstellen will und die darum jetzt als arme Poeten in Dachstuben hausen? 
In dem Artikel des Vorsitzenden geht es darum, daß Massen von Wissenschaftlern aus Südeuropa in den Norden ziehen (für die jüngeren: migrieren), weil sie zuhause keine Arbeit bekommen. Aber ob nun diese Wissenschaftler die Zukunftsarmen sind? Möglich, aber unwahrscheinlich, denn sie sind ja jetzt arm, also Gegenwartsarme, während sie in Zukunft als Institutsleiter in Cambridge oder Stockholm vielleicht recht wohlhabend sein werden. Oder ob vielleicht die Länder, aus denen sie kommen, als zukunftsarm zu bezeichnen sind? Man erfährt es nicht. Auch bleibt unklar, ob die südeuropäischen Länder zukunftsarm sein werden, also zukünftig arm sind, weil sie infolge des Mangels an Wissenschaftlern zukünftig weniger Steuern einnehmen, oder aber deshalb, weil sie, ganz unabhängig von Fragen des pekuniären Reichtums, einfach arm an Wissenschaftlern sein werden. Sicher gibt es noch einige weitere Möglichkeiten. 
Das Wichtigste ist, daß man das Wort "Zukunft" untergebracht hat. Um dessen Bedeutung wußte schon Helmut Kohl, der darum "zukunftsfähig" erfunden hat und in keiner Rede ausließ. "Pfupfmdsfäch" oder so ähnlich klang es bei ihm.

Jedenfalls: "Zukunftsarme und Zukunftsreiche" ist preiswürdig. Man sollte es bei der Wahl zum Wort des Jahres berücksichtigen.

Samstag, 3. Mai 2014

Das Wesen des Journalismus


„Die wohl überraschendste These des Medienwissenschaftlers Hans-Jürgen Arlt und des Publizisten Wolfgang Storz ist, dass es sich bei der Bild gar nicht um ein journalistisches Produkt handelt. Um journalistischen Mindeststandards zu genügen, müsste die Bild nicht nur journalistisch arbeiten, sondern zunächst einmal überhaupt den Vorsatz haben, den Leser zu informieren. Das ist bei der Bild aber gerade nicht der Fall.“[1]
In der Tat, das überrascht. Ist doch, seit vor hundert Jahren Karl Kraus das Wesen des Journalismus aufgedeckt hat, kein einigermaßen ernstzunehmender Mensch mehr auf den Gedanken gekommen, es könnte darin liegen, den Leser informieren zu wollen.