Montag, 28. Februar 2011

BILD dir deine Meinung

Seit Beginn der Neuzeit, spätestens der Moderne ist die alte Einheit des Wahren, Guten und Schönen ebenso wie die gegenteilige unwiderruflich zerbrochen. Darüber sind sich, wenn ich es richtig verstanden habe, die einschlägig spezialisierten Gelehrten einig. Der Teufel war böse und was er sagte, war selbstverständlich nicht wahr, und er war zugleich häßlich und, mehr noch, ekelhaft. Eine Heilige war nicht nur definitionsgemäß gut, sondern aus ihr sprach die Wahrheit und sie ließ sich auf keinen Fall als häßliches altes Weib darstellen wie eine Hexe, sondern war von engelgleicher Schönheit.
Das also ist, sagt man uns, endgültig vorbei. Doch man irrt. In Gestalt der Boulevardpresse und des Unterschichtfernsehens (siehe Umschichtungen) ist die finstere Seite der alten Einheit wieder erstanden. Daß die Wahrheit dort nicht zu finden ist, weiß jeder. Daß diese Unwahrheit nicht ein unschuldiger Irrtum ist, zeigt das sprichwörtliche „Bild lügt“, was, von Dittsche einmal abgesehen, selbst die Meinung eines jeden Bild-Lesers ist.
Daß aber diese Presse zugleich die moderne Gestalt des absolut Bösen ist, ist durch folgenden Befund erwiesen: In einer Unzahl von Kriminalfilmen werden uns Einbrecher, Bankräuber, ja selbst Mafia-Killer als zwar etwas rauhe, doch im Grunde ihres Herzens liebenswerte Burschen vorgestellt. Mit einem Boulevardjournalisten ließe sich das auf keinen Fall machen. Es würde vollkommen unglaubwürdig wirken, ihn anderes zu zeigen denn als eben jenes Geschmeiß, das zu Beginn des Films der Kommissar mit angewidertem Gesicht vom Tatort wegscheucht. Ein guter Kern in einem von denen übersteigt einfach jedes menschliche Vorstellungsvermögen.
Aber ist damit notwendigerweise das Häßliche verbunden? Doch. Mehr noch, das Ekelhafte. Denn kann man sich etwas Scheußlicheres vorstellen als die Wortschöpfungen, die dieser Höllenschlund täglich herauswürgt? Was einem Brueghel nur ganz selten ins Bild zu setzen gelang, Bild schafft’s täglich im Druck. Schwarzrot-glücklich, Jogi-Plosion, Rehakles, Promi, Schweini, Klinsi, Brummi; Katy Perry, was bist du pralli!, gaaanz zahm, Boxen-Luder, Feier-Luder, Twitter-Luder, und das alles geht auch mit -Schlampe (Fitness-Schlampen sind aber keine -Luder, sondern Fußballspieler, die zum Trainieren zu faul sind), Schlampenalarm, Tittistina (Hv. i. Orig.), Baby-Mama (die Mutter des Kindes von Christiano Ronaldo), Nackt-Alarm, Eisbrustlauf (Hv. i. Orig.), hier ludert seine sexy Freundin, Topmodel, Britney Spears modelt, wir sexen den Sommer willkommen (alles bild.de), Courtney macht sich gerne nackt (Gmx.de), Lio-null Messi (SonntagsBlick, Schweiz), Blond-Duell (RTL), Promi Pannen (Promi-Pannen.de), Busenblitzer (prosieben.de), Busen Blitzer (Promi-Pannen.de), hol dir Jenny (prosieben.de), usw. usf.
Es gibt eine Sorte von Intellektuellen, die mögen das. Nicht weil sie es schön fänden, sondern weil sie meinen, es käme dadurch zustande, daß jene Presse dem Volk aufs Maul schaut. Dann jammern sie, wenn „Brummi“ seltener wird und setzen es auf die Liste der vom Aussterben bedrohten Wörter.[1]
Tatsächlich redet man im Volk – d. h. in der Unterschicht im Sinne der Definition von Harald Schmidt (siehe Umschichtungen) – keineswegs so. Es ist im Gegenteil erstaunlich, wie wenig von diesen Aussonderungen der Journalistengehirne, die man da doch täglich liest und hört, in den Sprachgebrauch eingeht. Trotz intensivster und hartnäckigster Bemühungen – Po-Blitzer, Hallöchen Popöchen, Sitten-POlizei (Hv. i. Orig.), Bob-Po, Kirsch-Po, Mandel-Po, Erdbeer-Po, Popo-Wunder, Sechs Toaster für den Popo, Po frißt Badeanzug, Popo-Show, Popo-Parade, Popo-Hosen-Tanz, Popo-Ritzen-Alarm, Promi-Po-Parade und einige hundert mehr – ist es der Bildzeitung nicht gelungen, der sie lesenden Klasse das Wort Arsch abzugewöhnen und diese davon abzubringen, Leute von der Art eines Franz Josef Wagner, Mathias Döpfner oder Kai Diekmann einen solchen zu nennen.

Sonntag, 27. Februar 2011

Freunde der Weisheit

Ich vermute, es begann vor drei oder vier Jahrzehnten. Da mußte ein Mitarbeiter einer amerikanischen Firma einen Brief an eine deutsche schreiben. Heute ist es ja so: Wenn ein Mitarbeiter einer deutschen Firma einen Brief an eine andere deutsche schreibt, dann übersetzt er das, was er an Deutsch noch im Kopf hat, ins Englische; nicht etwa weil er meint, dort könnte keiner einen deutschen Brief lesen, sondern weil es ihm peinlich ist, deutsch zu schreiben. Aber damals konnte unser amerikanischer Briefschreiber nicht damit rechnen, daß der deutsche Adressat Englisch kann. Außerdem galt es als unhöflich, jemanden in einer anderen Sprache anzusprechen als in dessen Muttersprache, zumindest gehörte es sich, sich dafür zu entschuldigen.
Nun hatte er „business philosophy“ zu übersetzen. Er wußte nicht, daß das „Geschäftsgrundsätze“ heißt, aber er wußte, daß sich „philosophy“ mit „Philosophie“ übersetzen läßt. Unbekannt war ihm wiederum, daß das zwar in vielen, aber doch nicht in allen Fällen möglich ist. So ist die „Unternehmensphilosophie“ entstanden und das Unglück nahm seinen Lauf. 173.000 Treffer ergibt das Wort heute (Mai 2010) bei Google.
Philosophie ist das, was Leute wie Platon, Leibniz oder Hegel gemacht haben. Man unterscheidet z. B. Naturphilosophie, Kulturphilosophie, Religionsphilosophie und Technikphilosophie. Unternehmensphilosophie hätte entsprechend Unternehmen zum Gegenstand, sie wäre die Philosophie des Unternehmens ist dem Sinne, wie Religionsphilosophie die Philosophie der Religion ist. Wer Unternehmensphilosophie betreibt, müßte Platon, Leibniz und Hegel und noch viele andere Philosophen gelesen haben, sonst könnte man das Ergebnis nicht Philosophie nennen. Wenn ein Unternehmer Platon, Leibniz und Hegel gelesen hat und auf dieser Basis ein Konzept für seine Firma entwickelt, ist das keine Unternehmensphilosophie. Man könnte es vielleicht philosophisch begründete Geschäftsgrundsätze nennen. Hieße das, was sich heute Unternehmensphilosophie nennt, zu Recht so, dann wäre die unausweichliche Konsequenz, daß man Zehntausende von Firmeninhabern und Managern Philosophen nennen müßte. Da würden sich garantiert sämtliche Philosophen, von Thales von Milet an, im Grab umdrehen. Das müßte eigentlich genügen.
Tut es aber nicht, denn da kommt doch noch ein Schlaumeier, wahrscheinlich ein studierter Betriebswirt, und sagt: Aber „Unternehmensphilosophie“ umfaßt doch mehr als nur Geschäftsgrundsätze. Nun, nach den Definitionen, die ich im Internet gefunden habe, nicht, aber in der Praxis schon: „Unsere Unternehmensphilosophie. Der Kunde im Mittelpunkt. Wenn wir von Unternehmensphilosophie sprechen, ist eigentlich von unseren Kunden die Rede. Denn wir stellen die Erwartungen und den Erfolg unserer Kunden in den Mittelpunkt. Dies haben wir in einer Reihe von grundlegenden Werten definiert: Innovation und Qualitätsbewußtsein bestimmen unsere Produkte und unser Handeln. Fairness, Partnerschaftlichkeit und Seriosität leben wir im Umgang mit Kunden und Mitarbeitern.“[1]
Das sind in der Tat keine Geschäftsgrundsätze. Aber Philosophie ist es auch nicht. Man nennt es Reklame.

Freitag, 25. Februar 2011

Erweiterte Wertlehre

„Ich bin jetzt 43 Jahre, ich will von einem Mann geliebt werden, ich will Sex, befriedigenden Sex mit ihm haben, ich will ICH sein dürfen, ich will auch einen Mann so lieben und begehren – BEDINGUNGSLOSE WERTSCHÄTZUNG!!! Auch deshalb muss ich gehen, ich habe dich nie geliebt oder Wert geschätzt, so geliebt oder Wert geschätzt – wie es für eine BEDINGUNGSLOSE LIEBE sein muss.“ Das steht auf der Buchrückseite von „Die eigene Wahrheit ist schwer zu ertragen... (Taschenbuch) von Anna Kolinsky“.[1]
Sie hat ihn also nie geliebt, und Wert hat sie nie geschätzt. Was hat sie dann geschätzt? Befriedigenden Sex offenbar. Der kann also kein Wert sein, denn Wert hat sie ja gerade nicht geschätzt. Da würden ihr etliche beipflichten, z. B. manch ein katholischer Würdenträger. Sex, wenigstens zum Zwecke der Befriedigung von Gelüsten ausgeübter, im Unterschied zu dem um der Erzeugung von Nachwuchs willen pflichtgemäß vollzogenen, der manchen Menschen notgedrungen erlaubt werden muß – Sex also, würden sie sagen, ist kein Wert, darf für euch keiner sein, gehört insbesondere nicht zu den christlichen Werten, ist Teufelszeug, ist der Unwert schlechthin.
Leichter dürfte es sein, die folgende Frage eines Lebenshilfe-Anbieters (Rubin-Seminare) zu enträtseln: „Haben sie heute schon ihren Partner Wert geschätzt?“[2] Da scheint es sich lediglich um Tippfehler zu handeln. Es sollte „ihres Partners“ heißen. Dessen Wert zu schätzen ist nämlich sehr zu empfehlen, bevor man sich eines der sicher gar nicht so billigen Rubin-Seminare leistet. Vielleicht ist es ja besser, ihm gleich den Laufpaß zu geben, weil man ihn beim besten Willen einfach nicht wertschätzen kann.

„Wertschätzen“ ist übrigens, Detlef Guertler[3] zufolge, im Duden als „veraltend“ gekennzeichnet. Das werden die zitierten Autoren vielleicht gewußt haben, und da sie auf keinen Fall in den Geruch des Veraltendem kommen wollen, haben sie verzweifelt nach Ersatz gesucht.

Donnerstag, 24. Februar 2011

Sei Apokalypse

„Sei Spiel. Sei Gewinn. Sei Berlin.“
Der Touristenstrom in die Hauptstadt ist nach der Erfindung dieses Reklamespruchs keineswegs versiegt. Bedarf es eines weiteren Beweises dafür, daß die Welt unaufhaltsam ihrem Untergang entgegentorkelt?

Praktikanten

„Weltweit zählt der Januar 2010 zum viertwärmsten seit Aufzeichnungsbeginn.“ So lautet eine Unterüberschrift der taz vom 17.2.2010. Man vermutet gleich, daß die Praktikanten, die sich in der taz an den Unterüberschriften versuchen dürfen, nicht gemeint haben, daß der Januar 2010 zu einem Januar zählt – wie sollte das denn gehen? Und sie wollten uns sicher auch nicht sagen, daß er bloß einer unter den viertwärmsten Januaren seit Aufzeichnungsbeginn war. In der Tat: In dem Artikel steht, daß er der viertwärmste Januar seit Aufzeichnungsbeginn war.
Überhaupt möchte man der taz – dringend wie kaum einer anderen Zeitung – raten, ihre Praktikanten nicht nur zum Redaktionsstubenfegen und Zigarettenholen einzusetzen, sondern ihnen auch ein wenig Deutsch beizubringen. Das könnten sie ja im späteren Berufsleben brauchen.

Mittwoch, 23. Februar 2011

Panikattacke

„Für die Abiturienten des G9-Jahrgangs und für alle anderen Hochschulzugangsberechtigten starten wir ein spezielles Studienangebot, das Sie auch als ‚Steilkurs-Studium’ nutzen können: 
Aus dem verlängerten Sommersemester 2011 machen wir zwei Semester, twoinone!“[1]
Da hätte ich dem Werbetexter der Technischen Universität München gerne beim Schreiben zugesehen. Schon zehn Wörter, und kein amerikanisches darunter. Das ist für eine Eliteuniversität ganz unmöglich und der Schreiber beginnt nervös zu werden. Zwanzig Wörter, und immer noch keins. Normalerweise hätte er da mindestens Dual Career, International Office, Mentoring und Coaching untergebracht. Er kommt ins Schwitzen. Er hat einen Hirnkrampf. Er ist regrediert auf seine Kindheit um 1980, als man landauf, landab noch einigermaßen deutsch sprach. Dreißig Wörter, und immer noch nichts. Der Puls beginnt zu rasen. Vor seinem inneren Auge nimmt das Entlassungsschreiben Gestalt an. Doch dann die Erlösung: twoinone. Vollkommen sinnlos zwar, aber er hat seine Seelenruhe wieder.

Dienstag, 22. Februar 2011

Migranten

Für die Auszeichnung „Unwort des Jahrzehnts“ – ich hoffe, es gibt sie – möchte ich „Migrant“ vorschlagen. Es hat sich mit kaum faßlicher Geschwindigkeit in den Teilen der Gesellschaft ausgebreitet, denen politische Korrektheit über alles geht und deren Sprachkompetenz (siehe Sprachkompetenz im Umfeld) sehr der Optimierung bedarf. Das sind vor allem jene Teile der Mittelschicht (s. Umschichtungen) und der Oberschicht (ebd.), die ihre Zugehörigkeit zu diesen Schichten ihrem kulturellen Kapital im Sinne von Pierre Bourdieu verdanken, während man in der Unterschicht im Sinne von Harald Schmidt (ebd.) sich differenzierter auszudrücken versteht. Man sagt da z. B. „Kanaken“ oder „Fidschis“. So wie man jeden Verdacht verwerflicher politischer Gesinnung von sich zu weisen versucht, indem man das Wort Führer – z. B. in „Reiseführer“ – vermeidet und statt dessen Guide sagt oder statt Arbeitslager Arbeitscamp oder Working Camp, so auch hier. Wer Ausländer sagt, macht sich, dessen ist man sich in diesen Kreisen sicher, mit denen gemein, die „Ausländer raus“ rufen, und überhaupt setzt er sich dem Verdacht aus, zu meinen, die Ausländer sollten wieder gehen; es macht ja das Wesen des Ausländers aus, daß er sich normalerweise im Ausland aufhält.
Darum sagt der politisch korrekt sprechende Kulturkapitalist lieber Wanderer, und weil es nicht so ganz unverdächtig ist, deutsch zu sprechen, übersetzt er’s in ein Fremdwort. Aber warum ausgerechnet Wanderer? Auch zum Wesen des Wanderers gehört, nicht zu bleiben. Unser politisch Korrekter wollte eigentlich gar nicht Wanderer sagen, sondern Einwanderer, also Immigrant. Doch dann fällt ihm ein, daß der Immigrant aus der Sicht seines Herkunftslandes ja ein Emigrant ist, und daß mancher Ausländer – er schaudert beim bloßen Gedanken an dieses Wort – ja wirklich wieder geht, dies zumindest vorhat und sich vielleicht nicht gern als Immigranten bezeichnen lassen möchte. So sucht er nach einem Begriff von weiterer Bedeutung, der alle seine Anliegen unter sich faßt und kommt auf Migrant.
Dummerweise ist aber Wanderer keineswegs der Oberbegriff von Ein- und Auswanderer. Von seinem Heimatland aus gesehen ist jemand, der es verläßt, ein Auswanderer, vom Land, in dem er sich niederläßt, aus gesehen ist er ein Einwanderer, zum Wanderer aber wird er dadurch nicht. Nur während der Zeit, in der er unterwegs ist, ist er einer, und er wäre auch einer, wenn sein ganzes Leben in ständigem Aus- und Einwandern bestünde. Auf unseren deutschen Mittel- und Oberkläßler hingegen paßt das Wort schon eher, ist er doch typischerweise einen Großteil seiner Zeit in der Welt unterwegs.  Zumindest ist er wie der migrant (engl.:  Zugvogel) zu bestimmten Jahreszeiten garantiert in einer anderen Gegend als in der, die er vielleicht seine Heimat nennt. Und wenn er gar dem jet set angehört, dann durchwandert er unaufhörlich die Welt, ohne irgendwo Rast noch Ruh zu finden, ein Migrant par excellence, wenn auch kein Wanderer zwischen den Welten, denn er kommt aus seiner nicht raus. Aber wäre je einer in den Zeiten, in denen man noch Deutsch konnte, auf den Gedanken gekommen, jemanden, der aus Hessen stammt und sich in Pennsylvanien als Farmer niedergelassen hat, einen Wanderer zu nennen?


Siehe dazu auch: http://deutsche-sprak.blogspot.com/2011/02/migranten.html


Montag, 21. Februar 2011

Amerikanisierung und Blähwinseln

Was die Amerikanisierung der deutschen Sprache so schwer erträglich macht, ist nicht, daß diese amerikanisiert wird und nicht etwa hispanisiert oder einfach deutsch bleibt. Es ist der winselnde Tonfall: Sieh doch nur, wie weltgewandt ich, den du für einen Provinztrottel hältst, mich ausdrücken kann! Worauf man ihn natürlich erst recht für einen hält. Das Niederdrückende dieser Erlebnisse wird aber dadurch gemildert, daß die Amerikanisierer das wahrhaft sehenswerte Kunststück zustandebringen, mit stolzgeblähter Brust zu winseln.

Umschichtungen

Die Große Verwirrung kommt ja in erster Linie dadurch zustande, daß man sich mit dem Getrennt- und Zusammenschreiben nicht mehr zurechtfindet und wo immer sich eine Chance bietet ein Deppenleerzeichen (http://www.deppenleerzeichen.de/) einfügt. Aber auch der Rückgang der semantischen Sprachkompetenz (siehe Sprachkompetenz im Umfeld) trägt nicht wenig zu ihr bei. Die Kenntnis der Bedeutung von Wörtern schwindet, mit denen man bisher recht treffsicher umzugehen verstand.
Vor ein besonders gewichtiges Problem stellen uns die Schichten, und zwar die sozialen. Einst war da alles klar. Oben war der Adel, in der Mitte die Bürger einschließlich der „Bürgerlichen“, also die Angestellten, die Freiberufler sowie die Beamten außer den ganz kleinen wie Briefträgern und Wachtmeistern. Und die Unterschicht bestand aus den Arbeitern und Bauern sowie an ihrem Rand dem fahrenden Volk und dem übrigen Lumpenproletariat. Mindestens zwei Drittel der Menschen gehörten zur Unterschicht. Später, im Zuge des vor allem in den 70ern in den Druckwerken, wenn auch nicht in der Wirklichkeit allgegenwärtigen Klassenkampfs, wurden die Fronten bereinigt und begradigt. Ihr da oben, wir da unten (Wallraff). Von denen da oben kannte man niemanden, es hieß, sie leben in Villen im Tessin oder in Starnberg, aber leibhaftig begegnet ist noch kaum einem einer. Darum gab es nie ein Problem mit der Zuordnung: Alle, die man im wirklichen Leben traf, waren unten. Man hörte allerdings, daß es in England differenzierter zugeht. Dort weiß, sagte man, jeder, ob er der lower middle class, der upper middle class oder der lower upper class zugehört. Bei uns wurde die klare Zweiteilung nur dadurch ein wenig irritiert, daß es einen Mittelstand gab. Das waren kleinere Selbständige und die waren schon am behäbigen, bodenständigen Habitus leicht als Sonderfall zu erkennen.
Aber vor ein paar Jahren ist das Chaos hereingebrochen. Ein bekanntes Münchener Institut (Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, DIW) hat kürzlich eine Studie herausgebracht, deren Ziel der Nachweis ist, daß die Mittelschicht – die hat sich inzwischen auch bei uns etabliert – schrumpft. Das ließ sich dadurch leicht machen, daß man einen Lehrer oder auch einen Facharbeiter, der eine Verkäuferin zur Frau hat, zum Mitglied der Oberschicht ernennt, sofern beide Eheleute in Lohn und Brot stehen, wobei man nur bedauern kann, daß es in Deutschland kein Oberhaus gibt, in das diese Leute ihre Repräsentanten schicken können. Zur Unterschicht hingegen gehört diesem epochemachenden Werk zufolge ein Student, der von einem Stipendium lebt und dessen Vater Chefarzt oder Konzernchef ist. Auch die typische alleinerziehende Verkäuferin wird hier eingeordnet. Dagegen wehrt sich nun der bekannte Neuköllner Bürgermeister Buschkowsky, der darauf besteht, daß zur Unterschicht nicht etwa all die zählen, die kein Geld haben, sondern nur jene, die keines haben und es versaufen. Harald Schmidt aber hat, als er in überaus verdienstvoller Weise den Begriff Unterschichtfernsehen zwar nicht erfand, aber doch popularisierte, sich weitgehend an der ganz alten Bedeutung von Unterschicht (s. o.) orientiert: Sie umfaßt etwa zwei Drittel der Bevölkerung.

Samstag, 19. Februar 2011

Großverdiener im Zeitfenster

„Doch auch wenn ich politisch zehn Mal anderer Meinung bin als der damalige Bundeskanzler, dieses kurze Zeitfenster für die Wende so zu nutzen bleibt sein historischer Verdienst.“ So der SPD-Politiker Claus Möller, früherer Finanzminister von Schleswig-Holstein.[1]
So hinterhältig sind sie, die SPD-Politiker. Ein Verdienst, den man historisch nennen könnte, jedenfalls für deutsche Verhältnisse, ist der des Bankchefs Ackermann. Das ist einer der des Vertrauens unwürdigsten Deutschen, noch hinter Westerwelle und knapp vor Bischof Zollitsch, dem allerletzten; zumindest meinte das einer Umfrage im Frühjahr 2010 zufolge die Mehrheit der Bevölkerung. Und in diese Ecke möchte Herr Möller unseren verdienten Einheitskanzler stellen – durch den fiesen Trick, ein „r“ zu schreiben, wo ein „s“ hingehört!
Auf den ersten Blick hat Edmund Stoiber das gleiche getan, wenn man der Süddeutschen glauben darf: „Noch weiter geht CSU-Chef Stoiber, der Kohls Politik [wie] folgt bilanziert: ‚Vertrauen und Ansehen gewinnen für Deutschland ist und bleibt sein großer historischer Verdienst. Helmut Kohl hat einen festen Platz in den Herzen der Deutschen.’“[2] Ich vermute aber, da steckt etwas anderes dahinter; es gibt keinen Grund, an der Treue der CSU zur Schwesterpartei zu zweifeln. Sondern es ist so: Seit den Tagen von F. J. Strauß gilt es in Bayern als selbstverständlich, daß einer um so kräftiger hinzuverdient, je verdienstvoller sein Wirken ist, je mehr er sich um Partei und Staat verdient macht, gar, wenn es ein historisches Verdienst ist, das er sich erwirbt. Aber das ist halt Bayern. Kohl ist da anders. Er hat sich seinerzeit, im Zeitfenster, gewiß nicht persönlich bereichert. Er ist und bleibt zu Recht in den Herzen der Deutschen.

Donnerstag, 17. Februar 2011

Bauz Guttenberg

Die Sprachkompetenz (siehe Sprachkompetenz im Umfeld) meines zweijährigen Enkels läßt noch ein wenig zu wünschen übrig. Sein Wortschatz genügt in erster Linie ökonomischen Kriterien: Wörter, die nicht unbedingt nötig sind, schafft er sich erst gar nicht erst an. Nötig sind vor allem Eigennamen wichtiger Persönlichkeiten wie Mama, Pippi (Langstrumpf) und Bob (der Baumeister). Nötig sind auch Wörter mit sehr weitem Anwendungsbereich, denn mit einem jeden von diesen erspart man sich das Lernen vieler anderer. Eines davon ist bauz. Wenn eine Tasse vom Tisch fällt oder er selbst vom Stuhl: bauz. Wenn er über einen Stein stolpert oder einen Holzklotz auf den Boden donnert: bauz. Die sprachlichen Möglichkeiten, diese doch sehr verschiedenartigen Vorgänge differenziert in Worte zu fassen, stehen ihm noch nicht zu Gebote.
Das pflegt mit dem Heranwachsen besser zu werden. Aber dann kommt gewöhnlich ein Rückschlag, nämlich in dem Alter, in dem nach den Masern, den Windpocken und allerlei anderen Kinderkrankheiten die sogenannte Jugendsprache ausbricht. Für eine Unzahl höchst verschiedener Sachverhalte hat sich in dieser vor 10 oder 15 Jahren das Wort cool durchgesetzt. Von dem wußte man, abgesehen von ziemlich engen Kreisen, deren Mitglieder der Zeit weit voraus waren, vorher nur, daß es im Englischen außer kühl auch lässig bedeutet.
Auch bestimmte Berufsgruppen, z. B. Politiker, nähern sich jenem Prinzip frühkindlichen Wortgebrauchs mehr und mehr an. Ob gespart oder ausgegeben wird, ob man vorhat, mittels irgendwelcher Tricks dem Gegner zu schaden oder eine Wahl gewinnt: Immer wird gefahren. Die Ausgaben werden heruntergefahren oder hochgefahren, eine Strategie wird gefahren und am Wahlabend werden die Ergebnisse eingefahren[1].
Ich schlage vor, den Angleichungskurs an die Sprache der Kleinkinder noch viel konsequenter zu fahren. Baron zu Guttenberg steht vor dem Untersuchungsausschuß und wird gefragt: „Was geschah, nachdem Oberst Klein den Befehl gegeben hatte?“ „Bauz!“ „Und was geschieht mit dem Verteidigungsminister, wenn er unsere Fragen nicht richtig beantwortet?“ „Bauz!“

Mittwoch, 16. Februar 2011

Annäherung

„Der ehemalige CSU-Chef Edmund Stoiber rät seiner Partei von einer Annäherung an die Grünen ab.“[1] Das könnte sich zwar als politisch unklug herausstellen, aber sprachlich scheint mir dagegen nichts einzuwenden. „Annäherung an menschliche Leistungen: Revolutionärer Walzenlader ermöglicht autonomen Kohleabbau.“[2] Auch das ist – sieht man einmal von der merkwürdigen Verwendung von autonom (selbstgesetzgebend) ab – in Ordnung.
Die „Annäherung an das ganz Andere“[3] aber sollte man lieber bleiben lassen. Ich glaube, das „ganz Andere“ hat die Eigenheit, daß es, wie weit man sich ihm auch annähern mag, immer gleich weit, nämlich unendlich weit entfernt bleibt. Bei der „Annäherung an die Realität von Traumatisierung in Ostafrika“[4] aber muß man mit E. Henscheid seufzend feststellen, daß sich hier das Nobel-Jargongewäsch ins Schmerzensreiche hochwuchtet.



[1] http://www.welt.de (4.11.2010).
[3] „Die Mystik der Physik. Annäherung an das ganz Andere. Entsprechung zwischen Ergebnissen naturwissenschaftlicher Forschung und Erkenntnissen der Mystik“, von Johannes H. A. Nikel, Ludwig-Verlag, 2010.

Dienstag, 15. Februar 2011

Umsetzen

„Usability praktisch umsetzen“ ist der Titel eines Buches von Sven Heinsen und Petra Vogt.
Das geht leider nicht. Die Polizei kann Autos umsetzen, nämlich abschleppen.[1] Auch der Autohändler kann Autos umsetzen, nämlich verkaufen und so seinen Umsatz steigern. Der Lehrer kann Schüler umsetzen. Er kann auch die Pläne des Bildungsministeriums zur Steigerung der Nutzbarkeit – das oder Ähnliches werden die Autoren wohl mit „Usability“ meinen – der Schüler für die Wirtschaft umsetzen, nämlich realisieren, aber nie und nimmer die Nutzbarkeit selbst.
Meister im Umsetzen sind nach meinem Eindruck die Grünen. Die Hamburger Schulsenatorin, die dieser Partei angehört, brachte es auf einer halben Zeitungsseite (taz, 2.8.2010) fertig, einen Großteil ihrer Vorstellungen, viele Verbesserungen, einen Teil ihrer Schulreform, das längere gemeinsame Lernen sowie eine klare Ansage (siehe Klare Ansage) umsetzen zu wollen. Ganz astrein ist das alles nicht, aber man will ja nicht so sein. Ganz schlechte Aussichten jedoch hat ein anderes Vorhaben der Grünen: „GRÜNE: Neue Schule umsetzen“, berichtet bsozd.com.[2] Vor Jahrzehnten, die Älteren werden sich erinnern, hatten wir einen mit Medaillen überhäuften Kraftsportler, den nannte man den Kran von Schifferstadt. Ihm wäre das vielleicht zuzutrauen gewesen. Aber den Grünen? Eine ganze Schule?
Ziemlich viel, meint die Zeit, hat man in der UN einst einer Kommission zugetraut: „Die UN-Nachhaltigkeitskommission sollte den einst wegweisenden Rio-Gipfel umsetzen helfen.“ Aber nun stellt sich heraus: „Heute droht sie in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.“[3] Sie hat ja nur helfen sollen. Aber dann hat sie es offenbar allein versucht. Einen Gipfel! Das hätte ich ihr gleich sagen können, daß das nicht zu schaffen ist.
Überhaupt scheinen die Dinge, die unsere Politiker umsetzen wollen, vor allem unter dem Gesichtspunkt ausgewählt, daß sie schwer sind, denn nur das beeindruckt. Eben darum sucht die Vorsitzende einer CDU-Fraktion gar nicht lang rum und möchte gleich Schwerpunkte umsetzen: „Trotz der schwierigen Wirtschaftslage können wir in 2010 noch wichtige Schwerpunkte umsetzen“.[4] Schwerpunkte lassen sich aber nie und nimmer umsetzen, nur setzen. Auch „in“ 2010 ist das nicht anders.
Ganz anders als in den zitierten Fällen ist es im folgenden: Wie BR Klassik, der Klassiksender des Bayerischen Rundfunks, am 10.5.2010 meldete, wurde ein Stück einer chinesischen Komponistin „von allen Beteiligten überaus engagiert umgesetzt“. In der Komposition der Komponistin geht es um „albtraumhafte Kindheitserinnerungen“ derselben. Darum ist das Umsetzen des Stücks der Dame nicht nur technisch möglich, sondern auch künstlerisch-dramaturgisch reizvoll. Ob es gelingt, ist eine andere Frage. Zu kritisieren ist an der Meldung die geringe Präzision des Wortes umsetzen. Ist vielleicht eine Organtransplantation gemeint? Oder einfach – und das würde zum Albtraumhaften besser passen – der Transport eines Stückes an einen anderen Ort etwa zum Zwecke der Vertuschung eines Verbrechens, wozu man, wie aus vielen Kriminalfilmen bekannt, gerne einen Kofferraum benutzt?

Klare Ansage

Es muss eine klare Ansage der Thüringer Regierungschefin an die Bundespolitik geben, verantwortliche Entscheidungen gegenüber den ostdeutschen Bundesländern zu treffen, die auf eine selbst tragende Entwicklung Ost zielen". So der Abgeordnete Ramelow von der Linken.[1]
Eine klare Ansage ist eine Ansage, die keine Unklarheiten hinterläßt. Das kann man von diesen Ausführungen des Herrn Abgeordneten nicht behaupten. Na ja, es handelt sich ja auch nicht um eine Ansage, sondern um eine Rede. Eine Ansage ist z. B.: „In wenigen Minuten erreichen wir Leipzig Hauptbahnhof“. Das ist zwar meist nicht richtig, denn es kommt selten vor, daß diese Ansage ertönt, wenn es nur noch wenige, aber eben doch einige Minuten dauert, bis der Zug hält, sondern es dauert in der Regel weniger als eine Minute. Aber eine klare Ansage ist es. Wenn es heißt, „Frau Müller möge sich bitte beim Zugchef melden“, so ist das keine Ansage, sondern eine Durchsage. Bei der Bahn kennt man solche Unterschiede.
Herrn Ramelow aber – und das verbindet ihn mit den meisten Politikern auch der Parteien, die seine Partei gar nicht mögen – ist offenbar nicht klar, daß das, was er von der Thüringer Regierungschefin verlangt, keineswegs eine Ansage ist. Er meint sicher, es müsse eine Forderung der Chefin „an die Bundespolitik“ geben. Die Entscheidungen, die sie fordern soll, sollten zudem, so meint er in Wirklichkeit, nicht gegenüber den ostdeutschen Bundesländern getroffen werden, sondern mittendrin in diesen, in Berlin, und zwar im Hinblick auf die ostdeutschen Bundesländer, oder diese betreffend, und zielen sollten sie nicht auf eine selbst tragende, sondern auf eine selbsttragende Entwicklung, oder eine sich selbst tragende. Das Zielen ist mir aber auch noch ein wenig unklar: Was soll es heißen, daß eine Entscheidung auf eine Entwicklung zielt? Soll dadurch die Entwicklung gefördert oder vielleicht – gezielt – zur Strecke gebracht werden?

Samstag, 12. Februar 2011

Hamburger-Nächte machen dick

„Hamburger Abend. Ihr könnt eure Hamburger so belegen wie Ihr wollt. All you can eat 4,99 Euro ...“.
Das wird einem in einem Café in Freising bei München geboten. Vor wenigen Jahren noch hätte man es für ein Wortspiel gehalten. Aber heute muß man wohl annehmen, daß die den Unterschied zwischen Hamburger Abend und Hamburger-Abend nicht mehr kennen. 

Erhalt und Erhaltung

Erhaltung kommt von erhalten im Sinne von bewahren, das Kunstwort Erhalt von erhalten im Sinne von bekommen. Ich bestätige den Erhalt des Briefes: Ich habe ihn bekommen. Ich bestätige die Erhaltung des Briefes: Es gibt ihn noch.
Prof. W. H. von der Technischen Universität München teilte mir am 4.2.2011 dazu folgendes mit:
„Bei der 40-Jahrfeier des Nationalparks Bayerischer Wald im Oktober saß ich zufällig neben einer Engländerin, welche die British Nature Conservancy vertrat und die Ansprachen auf Englisch übersetzt mitschrieb. Mehrere Redner gebrauchten das Wort ‚Erhalt der Natur’, und ich sah, wie die englische Kollegin schrieb ‚reception of nature’. Ich machte sie hinterher darauf aufmerksam, dass es ‚conservation of nature’ heißen müsse. Darauf zog sie ihr Wörterbuch heraus und zeigte mir darin: ‚Erhalt (Empfang) = reception; Erhaltung = conservation’. “
Der Duden ist da weiter. Erhalt und Erhaltung sind den neueren Ausgaben zufolge gleichbedeutend. Das kommt daher, daß die Duden-Redaktion meint: Wenn eine gewisse Anzahl von Deutschen nicht mehr merkt, daß ein Fehler ein Fehler ist, dann ist der Fehler kein Fehler mehr.
„Ach Ernst, ach Ernst, was du mir alles lernst!“ Hätten wir damals, als diese Schlagerzeile an allen Ecken geträllert wurde, schon die heutige Duden-Redaktion gehabt: Mir und mich, lehren und lernen hielte man heute für Synonyme.


Siehe auchttp://deutsche-sprak.blogspot.com/2011/03/erhalt-und-erhaltung-teil-2.html

Donnerstag, 10. Februar 2011

Eingefahrene Mißernte

Bei der letzten Bundestagswahl haben alle Parteien ein gutes, exzellentes, hervorragendes, denkwürdiges, historisch einmaliges, sensationelles, fulminantes usw. Ergebnis eingefahren, die Konkurrenten dagegen ein katastrophales oder wenigstens ein mageres. Bei der vorletzten Wahl war das nicht so häufig, und noch etwas früher kam es kaum vor, da wurden die Ergebnisse meist erzielt. Die Partei, die ich gewählt hatte, gehörte zu den Verlieren. Aber das hat mich bei weitem nicht so gequält wie der Gedanke, daß die Stundenten demnächst in den Abschlußarbeiten, die ich bewerten muß, „Diskussion der eingefahrenen Forschungsergebnisse“ schreiben werden.

Mittwoch, 9. Februar 2011

Wogen und wallen

„Eine kommunale Institution, bei der eine Vielzahl von Informationen zusammen fließen ..., muss uns Geld wert sein.“[1] Dieser Meinung ist die Fraktion der Grünen im niedersächsischen Landtag.
Ich finde nicht, daß das etwas derart Besonderes ist, daß man dafür gleich Geld ausgeben sollte. In jedem Telefonkabel fließt doch eine Vielzahl, ja eine Unzahl von Informationen, und zwar fließen sie immer schön zusammen, also nebeneinander her, vielleicht sogar ineinander verwoben. So stelle ich mir das als technischer Laie jedenfalls vor.
Aber nicht nur die niedersächsischen Grünen finden, auch die Wunstorfer SPD findet, daß das gemeinsame Fließen etwas Wertvolles ist: „Die Brückenwanderung in Wunstorf führt vom Rathaus an der alten Südaue entlang in Richtung Oststadt/Blumenau zu den letzten Brücken der Wunstorfer Auen, die hier zusammen fließen.“[2]
So richtig gelungen ist das Bild nicht. Daß die Grenzen der Auen verfließen, könnte ich mir vorstellen. Aber wie sollen die Auen denn zusammen fließen, wo eine Aue doch nicht einmal allein fließen kann? Ganz und gar nicht geht aber, was tvo – Fernsehen für Oberfranken behauptet, indem es titelt: „Wo weißer und roter Main zusammen fließen...“.[3]
Ich kenne die Gegend, und darum weiß ich: Genau an der Stelle, wo Weißer und Roter Main zusammenfließen, hören sie auf zu existieren. Da fängt nämlich der Main – ohne jede Farbe – an. Die beiden Flüsse können also nach dem Zusammenfließen nicht zusammen fließen, auch wenn ihr Wasser zusammen und keineswegs getrennt im Main möglicherweise bis Frankfurt und noch weiter fließt, falls es nicht vorher verdunstet. Aber zwischen dem Wasser und dem Fluß muß man strikt unterscheiden. Was das eine kann, ist dem anderen verwehrt.
Nichts einzuwenden ist hingegen, wenn uns die Katzeninfoseite mitteilt: „In etwas weiterer Entfernung scheint das Fell“ – das der Sandkatze, Felis margarita – „buchstäblich mit dem sandigen Hintergrund ihres Lebensraums zusammen zu fließen.“[4]
Denn behauptet wird ja nur, daß das so scheint. Das läßt sich nicht widerlegen durch noch so stures Beharren darauf, daß weder Felle noch sandige Hintergründe fließen können, sie das also auch nicht zusammen tun können. Ich vermute zwar, daß auch aus weiterer Entfernung mir nicht scheinen würde, Fell und Hintergrund flössen zusammen, wie eng und wohin auch immer. Aber ich weiß es ja nicht, denn ich habe noch nie eine Sandkatze vor sandigem Hintergrund gesehen und auch keine glaubwürdigen Berichte von Zeugen eines derartigen Ereignisses gehört oder gelesen.
Richtig schön aber ist, was uns die Esoterikseite Sternenlicht zuhaucht:
„Wenn ich jetzt inkarnieren würden [Fehler i. Orig.], und du befändest dich im Geistigen Reich, dann könntest du mir ohne weiteres sagen, wer meine Dualseele ist. Ich wüsste dieses dann, solange ich auf Erden bin, weil ich keine Möglichkeit habe, mit ihr zusammen zu fließen.“[5]
Bisher meinte man ja, daß die Seele etwas Immaterielles sei. Aber so genau wußte man das nie und mir soll’s recht sein, wenn sie statt dessen eine Flüssigkeit ist. Und wenn meine Dualseele eine schöne Seele (Friedrich Schiller u. v. a.) ist, dann ist mir die Vorstellung recht angenehm, mit ihr zusammen beispielsweise den ganzen Rhein hinunter zu wallen und zu wogen.

Dienstag, 8. Februar 2011

Nordic Walking 2

Ich habe vorgeschlagen, anstatt der englischen Bezeichnung „Nordic Walking“ „Steckeleslauf“ zu verwenden, damit dieses „Walking“ – nicht das Wort, sondern die Tätigkeit – verschwinde. Denn niemand wird sie, einem von Axel Hacke entdeckten Gesetz zufolge, ausüben, wenn sie eine deutsche und zudem streng nach Provinz riechende Bezeichnung hat. Herr M. L. aus Salzburg schreibt nun in seinem Kommentar zu dem Artikelchen „Nordic Walking“, daß ihm bei „Steckeleslauf“ warm ums Herz werde.
Das führt auf eine ganz neue Spur. Natürlich, nicht jeden schreckt der Geruch des Provinziellen. Manchen – wenigen, solchen, denen z. B. die beiden letzten, wohl in der Oberpfalz und angrenzenden Landstrichen spielenden Bände von Henscheids Romantrilogie ein überirdisches Vergnügen bereiten, ein seltener, ein erlesener Menschenschlag – wird’s warm ums Herz werden, wenn sie ein Wort wie Steckeleslauf hören. Aber das wäre doch auch was: Unter den verständnislosen bis verachtenden Blicken des Pöbels, der nichts im Sinn hat als den nächsten Karibikurlaub, wo er sich irgendwelchen sinn- und hirnlosen Tätigkeiten hingibt aus dem einzigen Grund, daß diese einen englischen Namen haben, stellen vier Läufer ihre Stecken in die Wirtshausecke und trinken sich das Kilo wieder an, das sie eben beim Laufen verloren haben, und vielleicht noch eins mehr. So soll die Welt sein, so hat sie der Schöpfer gewollt!

Montag, 7. Februar 2011

Enrichtes Teamteaching für Underachiever

Der baden-württembergische Kultusminister schreibt in einer Stellungnahme zu einer Anfrage im Parlament:
„ ...wird deshalb im Teamteaching (Geistes- und Naturwissenschaftler) unterrichtet“. Das trifft offenbar „auch die sog. Underachiever (Leistungsverweigerer)“. Außerdem gebe es an den Schulen des Landes ein „offenes Enrichment (Science Days)“.[1]
Ich halte diese Stellungnahme für sehr verdienstvoll. Die Abgeordneten bekommen nicht nur eine Antwort auf die Anfrage, sondern werden zugleich in der englischen Sprache unterrichtet. Das aber kann für sie sehr nützlich sein, z. B. dann, wenn sie alt oder parteiintern unbeliebt geworden sind und ins Europaparlament abgeschoben werden (oder „nach Europa“, wie die Politiker und ihre Journalisten sagen, die ja bekanntlich nicht wissen, daß Europa und die EU nicht identisch sind und daher glauben, wenn sie es auch selten so direkt sagen, eine Reise von Basel nach Freiburg sei eine Reise von einem anderen Kontinent nach Europa). Der ehemalige Ministerpräsident Öttinger mußte sich, wie Sie sich sicher erinnern, bittere Vorwürfe gefallen lassen. Angeblich hat er sich mit seinen Englischkenntnissen in Brüssel oder Straßburg blamiert. Er wird wohl öfter mal eingeschlafen sein, wenn sein Kultusminister im Landtag eine Rede hielt.
Blamiert hat er sich allerdings nur vor den anwesenden Deutschen, den anderen war’s egal, und wer aus einem anglophonen Land stammt, faßt sich sowieso an den Kopf, wenn jemand versucht, ein fremdsprachiges Wort anders auszusprechen als ihm der Schnabel gewachsen ist.