Dienstag, 31. Januar 2012

Grüne Sprachkompetenz

Der Landtag fordert deshalb die Staatsregierung auf, ein umfassendes Konzept zur Entwicklung und Förderung der Sprachkompetenz von Migrantinnen und Migranten unter Berücksichtigung der neuesten Erkenntnisse der Spracherwerbs- und Integrationsforschung zu erarbeiten und nach einer entsprechenden Evaluierungsphase flächendeckend in Bayern zu implementieren.“ Das wünscht sich die Fraktion der Grünen.[1]
Ob die Entwicklung und Förderung der Sprachkompetenz der Wanderinnen und Wanderer nicht am Ende dazu führt, daß diese die Grünen nicht mehr wählen mögen? Denn dann würden sie ja merken, daß jemand, der in der deutschen Sprache einigermaßen zuhause ist, zu solchen Sätzen nicht in der Lage ist und auch nicht zu solchen:
Halten Sie die im KiBiz vorgegebenen Gütesiegelkriterien, bzw. das Gütesiegel für offen genug, neue Impulse z.B. für generationenübergreifende Projekte oder im Hinblick auf spezifische Bedarfe im Sozialraum zu ermöglichen?“[2]
Oder zu solchen:
„In NRW besteht zur Anpassung an den veränderten Raumbedarf ein dringender Bedarf für ein Ausbauprogramm, da noch viele alte Einrichtungen nicht über das heute erforderlich differenzierte Raumangebot verfügen, viele Einrichtungen nicht die Rahmenbedingungen für die Förderung von Kindern unter 3 Jahren geschaffen haben, zumal auch die Mittel des Sonderprogramms Frühe Förderung weder im Jahr 2006 ausreichten noch im Jahr 2007 überhaupt zur Verfügung gestellt wurden.“[3]
Oder zu solchen:
„Wir Grünen in NRW treten für das gegenwärtig bestehende Mehrsäulenprinzip in der deutschen Fernsehlandschaft weiterhin ein.“ [4]
oder gar zu dem da:
„Zukunft geht anders“.[5]

Montag, 30. Januar 2012

Driveraddriver

„Fahrrad-Driver“ lautet eine Überschrift der taz.[1].
Es wird wohl so weitergehen: Der nächste Schritt ist „Drive-Rad-Driver“. Dann wird man in den Kreisen der taz-Journalisten fühlen, daß da etwas überflüssig ist. Manche werden sich dunkel erinnern, daß man früher statt Fahrradfahrer lieber Radfahrer sagte. So kommt es zum Rad-Driver. Damit hat man aber den Deutschanteil im Vergleich zu Drive-Rad-Driver (oder, der taz traut man das zu, DriveRadDriver) prozentual erhöht, und das empfindet der typische taz-Journalist als peinlich; er möchte ja nicht nur zur Zeit, wo man besser verdient und höher angesehen ist, sondern auch mit der Zeit gehen. Also schreibt er Wheel-Driver. Und schon hat man, ähnlich wie seinerzeit beim Handy, die englische Sprache um ein Wort bereichert, das diese zwar schon kennt, aber in einer ganz anderen Bedeutung.



[1] 13. April 2010

Freitag, 27. Januar 2012

Preiswürdig

„REGAL-TEST. Mit diesem Tool kann Ihr Produkt sowohl im Wettbewerbsumfeld als auch innerhalb der eigenen Produktrange getestet werden. EARSandEYES setzt den Regaltest bereits seit mehreren Jahren ein, da er die Marktzahlen realitätsnah abbildet und innerhalb weniger Tage auch bei großen Fallzahlen und schwierigen Zielgruppen valide Ergebnisse hinsichtlich der optimalen Packungs- und Preisgestaltung sowie Absatzmengen und Kundenmigrationen liefert.“[1]


Welch prachtvolles Satzgebäude, gefügt aus köstlichen Wörtern! Wir wollen es nicht kommentieren, sondern einfach still auf uns wirken lassen.

Donnerstag, 26. Januar 2012

Korrespondenten

„Korrespondieren“ gehört in das von E. Henscheid „Nobel-Jargongewäsch“ genannte Fach. Wer’s nötig hat, sollte allerdings aufpassen. Sie korrespondieren einander heißt etwa: Sie entsprechen einander. Sie korrespondieren miteinander heißt: Sie schreiben einander Briefe. Ziemlich ratlos steht man aber vor der Frage, wie es zugehen mag, wenn einer mit einer Geschichte korrespondiert. Die taz[1] jedenfalls meint, daß das vorkommt:
Ein Klub mit einer in Jahren gerecht verteilten Ost-West-Geschichte ... Turbine Potsdam hat immer mit dieser Geschichte korrespondiert, sie als Kraftquelle benutzt und daraus ihre Identität gewonnen.“




[1] 3.3.2011

Mittwoch, 25. Januar 2012

Ganz doll

„Ich möchte der Arbeitsgruppe noch einmal Dank sagen, die sich ganz doll bemüht hat, Dinge in die Konzeption hineinzuschreiben, die für uns sehr, sehr wichtig sind.“ Das gab die Abgeordnete Angelika Voland, SPD, zu Protokoll.[1]
Hat sich die kleine Angelika weh getan? Hat Aua-Aua gemacht? Nicht weinen, Gelilein, Mami und Papi[2] haben dich ganz, ganz doll lieb.



[2] Für die ganz Jungen unter Euch: So nannte man bis vor kurzem die, zu denen Ihr Mom und Dad sagt.

Montag, 23. Januar 2012

Verfassungsrang für dogpatrol in 2012?

„Union und FDP wollen das Grundgesetz ändern. Die für Kultur zuständige Arbeitsgruppe der künftigen Koalition hat sich Berichten zufolge dafür ausgesprochen, die deutsche Sprache und Kultur in die Verfassung aufzunehmen“, schrieb der Spiegel.[1]
Ob das nicht ein Eigentor wird? Jedenfalls müssen sich diese Parteien einige Mühe geben, wenn sie dem neuen Verfassungsgebot gerecht werden wollen. „Die Nettokreditaufnahme in 2010 wurde im Ergebnis um 5,9 Mrd. € auf 80,2 Mrd. € gesenkt,“ schreibt „cducsu.de“.[2] „In 2010“ ist englisch[3] und heißt auf deutsch „2010“. „They don’t understand me“ heißt auf deutsch nicht „sie tun nicht verstehen mich“.
Noch schöner:
„Die FDP-Fraktion legte gestern ein Sechs-Punkte-Paket vor, um den Hundedreck ein für allemal aus dem Stadtbild zu verdrängen. ... So sollen künftig mehr Abfallbehälter und Mülleimer in Parks und Grünflächen stehen; es wird ein Pilotprojekt ‚dogstations’ vorgeschlagen, das Mülltüten für Hundekot anbietet; die Bußgelder für nicht weggeräumten Hundedreck sollen erhöht werden auf 50 (für Kot in Grünanlagen) bis 250 Euro (Kot auf Kinderspielplätzen); ein ‚dogpatrol’-Außendienst mit 150 Mitarbeitern soll die Hundehalter überwachen.“[4] Man fragt sich, warum diese Fraktion – es gibt sie inzwischen nicht mehr – Hundedreck nicht ins Amerikanische übersetzt hat. Ich weiß nicht, wie das heißt, aber vielleicht klingt es ja für deutsche Ohren hinreichend appetitlich und man könnte sich das aufwendige „Paket“ sparen. Zwar unappetitlich, aber doch irgendwie reizvoll ist die Vorstellung, daß der Hundedreck nicht etwa beseitigt wird, sondern verdrängt. Wie die Polizei die Teilnehmer einer Demonstration von der Straße, so drängen die dogpatrol-Mitarbeiter die heftig widerstrebenden Hundehaufen aus der Grünanlage.

Samstag, 21. Januar 2012

Schon geurlaubt?

Die Wulff-Affäre zieht sich in die Länge und wie es dann oft so geht, gibt’s Kollateralschäden, in diesem Fall sprachliche. „Urlaube“ gibt es ja schon seit einiger Zeit, auch wenn sie erst jetzt so richtig auffällig werden, aber vorgestern (19.1.12) sagte ein Sprecher in der Tagesschau, daß einer aus dem engeren Kreis um den Präsidenten gesetzwidrig „urlaubte“. Noch nie hatte ich das gehört; ich fragte einige Leute, es ging allen ebenso. Aber mit Google kam ich auf über 200.000 Treffer für „urlaubt“. Es waren fast nur Meldungen aus der Boulevardpresse, und diejenigen, die urlaubten, waren dementsprechend fast nur „Promis“, von Boris Becker und Sepp Blatter bis zu Letizia von Spanien. Wo es um normalere Menschen geht, z. B. solche, die in einem Vier-Sterne-Hotel übernachten, kommt „urlaubt“ allenfalls in Anführungszeichen vor.[1] Jetzt aber hat es den Aufstieg aus der schmuddeligen Welt in die seriöse der Bundespräsidenten und ihrer Mitarbeiter geschafft.
Ich höre schon den Aufschrei der Linguisten: was ich denn gegen eine neue Wortform hätte, die bereichert doch die Sprache und überhaupt ist Sprache dynamisch und wie diese Leier halt so geht. Sie begreifen es einfach nicht: Es ist die Herkunft, die man dem Wort anriecht, und dieser Geruch geht sicher so schnell nicht weg.

Freitag, 20. Januar 2012

Badische Bestückung

Die Badische Zeitung schreibt: „Die Personalbestückung der Feuerwehr Utzenfeld ist komfortabel, an eine Auflösung ist daher laut Bürgermeister Harald Lais nicht zu denken. Andererseits besteht aus Kostengründen vermutlich keine Möglichkeit, eine andere Variante als die Aufbereitung des jetzigen Standortes zu erwägen.“[1]
Welche Fülle an Geheimnissen! Was eine Personalbestückung ist, wußte ich bisher nicht. Ich habe im Duden nachgesehen und erfahren, daß bestücken ausrüsten heißt, nicht überall, aber doch in irgendeinem entlegenen Jargon. Aber das löst das Rätsel nicht ganz. Soll die Feuerwehr mit Personal ausgerüstet werden? Das scheint mir unwahrscheinlich, denn da will das Wort ausrüsten gar nicht so recht passen. Man rüstet die Soldaten der Kompanie mit Waffen aus, aber nicht die Kompanie mit Soldaten. Und das „Stück“ in „bestücken“ klingt auch nicht so, als ob dieses Ausrüsten mit Menschen damit besser ausgedrückt wäre als mit ausrüsten. Redet man in Utzenfeld von einem Stück Feuerwehrmann, so wie man von einem Stück Vieh redet? Politisch korrekt scheint mir das nicht zu sein, heutzutage wenigstens. Da glaube ich schon eher, daß mit „Personalbestückung“ die Ausrüstung des Personals gemeint ist, z. B. mit Polsterstühlen auf der Wache, was aber nicht nötig ist, weil die Ausrüstung jetzt schon komfortabel ist, derart komfortabel, daß an eine Auflösung der Feuerwehr nicht zu denken ist, so entschlossen würde das Personal sein gemütliches Plätzchen verteidigen. Was Aufbereitung heißt, weiß man. Essen kann man aufbereiten, Uran sogar wiederaufbereiten. Was aber ist eine Aufbereitung eines Standorts? Was auch immer das sein mag, man soll sie, erfahren wir, erwägen. Daß es aber keine Möglichkeit gibt, eine andere Variante als die Aufbereitung des Standorts zu erwägen, das glaube ich dem Herrn Bürgermeister nicht. Erwägen könnte man praktisch alles, auch wenn man sich aus Kostengründen vielleicht zur Aufbereitung gezwungen sieht.
Die Lektüre der Badischen Zeitung hat es jedenfalls in sich. Wie sagt man im Südwesten? Wir können alles außer Hochdeutsch. Nicht nur diverse alemannische, schwäbische und fränkische Dialekte, sondern auch einen Fachjargon, der seinesgleichen sucht. Aber halt nicht Hochdeutsch.

Donnerstag, 19. Januar 2012

Endlich aufgedeckt: Kinderarbeit in evangelischer Kirche

„Scharfer kirchlicher Protest gegen ausbeuterische Kinderarbeit“, meldet die EKD.[1] Aber nicht nur gegen ausbeuterische Kinderarbeit scheint die evangelische Kirche etwas zu haben, sondern gegen Kinderarbeit überhaupt: „Zur Fairness gehört, dass Produkte ohne Kinderarbeit hergestellt werden.“[2]
Dann aber erfährt man, daß es in der Kirche selbst Kinderarbeit gibt, und daß man das nicht einmal zu verbergen versucht. Auf zahllosen Internetseiten kündigen Kirchengemeinden sie an, und sie versuchen, Eltern dazu zu bewegen, ihre Kinder dafür herzugeben. Bald kommt man allerdings dahinter, daß das Wort Kinderarbeit in der evangelischen Kirche in einer Weise verwendet wird, die mir in der ganzen übrigen Gesellschaft – die ich allerdings nicht bis in alle Ecken und Winkel kenne – noch nicht begegnet ist. Kinderarbeit ist nicht Arbeit von Kindern, sondern Arbeit, wie es heißt, mit Kindern. Das darf man nun wiederum nicht so verstehen, daß die Kinder das Material sind, so wie man sagt, daß ein Tischler mit Holz arbeitet. In der Praxis scheint es vielmehr die Regel zu sein, daß nur Erwachsene arbeiten und Kinder unter ihrer Aufsicht spielen, z. B. Theater. Der Sprachgebrauch ist seltsam, denn da läge es doch viel näher, das, was in der Schule geschieht, Kinderarbeit zu nennen, und sicher ist das auch die Meinung der Kinder. Allerdings will ich nicht ausschließen, daß es doch mitunter wirklich Arbeit mit Kindern gibt, d. h. daß die Kinder bearbeitet werden, ja daß das der eigentliche Sinn dieser Kinderarbeit ist. Aber wie auch immer: Die Kinder selbst müssen nicht arbeiten, und das ist doch beruhigend.
In der evangelischen Kirche gibt es aber nicht nur Kinder-, sondern auch Männer-, Frauen- und Altenarbeit. Auf den ersten Blick unterscheidet das die Kirche nicht von jedem traditionellen Bauernhof. Die Wörter haben einen seit unvordenklichen Zeiten feststehenden Sinn. Männerarbeit ist z. B. Pflügen und Holzfällen, Frauenarbeit Kochen, Waschen und Spinnen, und Altenarbeit allerlei, was die Alten halt noch können. Die Kirche widersetzt sich aber hartnäckig dem, was die Sprache gebietet und versündigt sich an ihr. Es kommt vielleicht noch ab und zu vor, daß die Frauen bei der kirchlichen Frauenarbeit stricken, aber normalerweise diskutieren sie, z. B. über die „Bibel in gerechter Sprache“. Das wäre, als Arbeit betrachtet, natürlich nicht Frauenarbeit, sondern ganz geschlechtsunspezifische. Aber das ist auch gar nicht gemeint. Nicht was die Frauen tun, ist die Frauenarbeit, sondern, wenn ich es richtig begriffen habe, das, was der die ganze Sache organisierende kirchliche Mitarbeiter, z. B. der Herr Pfarrer, dabei tut.

Mittwoch, 18. Januar 2012

Das große Zukunftswerkzeugbusiness

Unter „24-Top-Trends“ erfährt man bei www.trendletter.de etwas über „Future Tools, die Ihr Business entscheidend verändern“, weshalb man diesen letter lesen und dafür zahlen soll. Top-Trends ist groß und mit Bindestrich geschrieben – seltsamerweise steht auch einer zwischen 24 und Top – und Future sowie Tools und Business auch groß, man betrachtet also all diese Wörter als deutsche. (Daß der Bindestrich zwischen Future und Tools fehlt, widerspricht dem zwar, ist aber wohl ein Versehen.)
Ohne Wörterbuch bin ich nicht mehr in der Lage, einen, wie mir scheint, doch sicher recht einfachen deutschen Text zu lesen, das wurde mir hier klar. Ich grub also nicht nur meine ziemlich verschütteten Englischkenntnisse aus, sondern nahm auch den Langenscheidt zu Hilfe, aber bis zu meiner völligen Befriedigung konnte ich die Geheimnisse nicht aufklären.
Was Top-Trends sind, hatte ich vorher schon mitgekommen. Es bedeutet ungefähr oder genau das, wozu man früher „besonders wichtige Tendenzen“ sagte. (Die Freunde der Amerikanisierung behaupten allen Ernstes, der Grund, weswegen sie sich von letzterem abgewandt haben, sei ein ökonomischer, nämlich daß es um einige Buchstaben länger ist.) Future heißt Zukunft, Tools Werkzeuge. Zukunftswerkzeuge? Was mag das sein? Werkzeuge, die einem die Zukunft voraussagen, also z. B. Kristallkugeln oder Spielkarten? Vielleicht aber auch Werkzeuge, die es heute noch nicht gibt, wohl aber in Zukunft geben wird? Möglicherweise ein Hammer, mit dem man garantiert immer den Nagel trifft und nie den Daumen? Oder ist, analog zu „Tischlerwerkzeug,“ ein Future-Tool ein Werkzeug, mit dem die Zukunft ihr Werk verrichtet? Die Zukunft ist ja etwas Ähnliches wie das Schicksal, das einen erwartet, und „Future-Tool“ wäre entsprechend dem bekannten Lied von Ferdinand Raimund zu verstehen: „Da ist der allerärmste Mann / dem andern viel zu reich / Die Future setzt das Tool an / und hobelt alle gleich“. Man sieht: Ich habe mehr Fragen als Antworten.
Fragen warf auch „Business“ auf. Ich wollte immer schon wissen und nie ist es mir gelungen: Bedeutet „Business“ dasselbe wie „Geschäft“ in dem Sinne, in dem wir von einem Geschäftsmann sprechen? Ein selbständiger Bratwurstverkäufer ist einer, ein angestellter nicht und ein Lehrer oder ein Arzt auch nicht. Oder ist „Geschäft“ in dem Sinn gemeint, den das Wort in dem Satz des Wilhelm Tell hat: „Sie alle ziehen ihres Weges fort / An ihr Geschäft – und meines ist der Mord!“? Ein Future-Tool, geeignet für ein Business dieser Art, wäre z. B. eine Pistole, deren Kugeln sich nach der Tat sofort in Luft auflösen, so daß der Kommissar im Dunkeln stochert.
Ich stehe also vor höchstwahrscheinlich überaus einfachen Mitteilungen in, wie es scheint, deutscher Sprache wie der Ochs vorm neuen Scheunentor. Gewiß, es hat etwas Egoistisches, über die Amerikanisierung deshalb klagen, weil man selbst nicht mehr mitkommt; ich hätte ja genug Zeit gehabt, um Englisch zu lernen. Aber gute Klagegründe gibt’s ja auch davon abgesehen genug.[1] Allerdings habe ich den Verdacht, daß es nicht allzu viel genützt hätte, wenn ich fleißiger gewesen wäre, weil beim Transfer ins Deutsche die englischen resp. amerikanischen Wörter ihren Sinn gern verändern, und zwar sehr häufig in einer Weise, daß sie überhaupt keinen mehr erkennen lassen.[2]

Dienstag, 17. Januar 2012

Endlich: Keine Armut mehr in Berlin!

Früher, etwa in den 20er Jahren, aber auch noch in den Nachkriegsjahren, soll die Armut in Berlin groß gewesen sein, vor allem in den Arbeitervierteln. Heute ist es anders:
„Jeder Siebente in Berlin ist von Armut bedroht“, lautete vor Kurzem eine Überschrift im Tagesspiegel (13.1.12).
Im Artikel erfahren wir allerlei Genaueres, etwa, daß jeder dritte Berliner mit niedrigem Schulabschluß von Armut bedroht ist. Auch von Armutsrisiko ist öfter die Rede; „von Armut bedroht sein“ scheint das gleiche zu bedeuten wie „ein Armutsrisiko haben“. Ganz unerwartet war für mich, daß es trotz dieser großen Zahl von Menschen, die von Armut bedroht sind, offenbar keinen einzigen gibt, der arm ist, denn sonst hätte das in dem ziemlich langen und ins Detail gehenden Artikel doch wenigstens einmal erwähnt werden müssen. Wenn jeder Siebente von 3,4 Millionen Menschen vom Herzinfarkt bedroht ist, dann müßte es, sollte man denken, doch wenigstens ein paar geben, denen tatsächlich einer zugestoßen ist.
Oder meinen die mit Armutsrisiko vielleicht etwas anderes als ich dachte? Nicht das Risiko, arm zu werden, sondern allerlei Ungemach, das einem zustoßen kann, wenn man arm ist? Gemeint sind also möglicherweise aufgrund der Armut drohende Gefahren. Nicht Armut droht jemandem zuzustoßen, sondern die Armut bedroht ihn damit, ihm etwas zustoßen zu lassen, beispielsweise, daß ihm das Telefon abgestellt wird oder die Wohnung gekündigt. Das wird’s wohl sein. Der Tagesspiegel ist eine Zeitung für die gebildete obere Mittelschicht und wird von gebildeten Menschen geschrieben. Die machen nicht solche Fehler, wie ich zunächst vermutet hatte. Irritierend ist nur, warum man dann „von Armut bedroht“ geschrieben hat; „durch die Armut bedroht“ wäre doch weniger mißverständlich gewesen.



Montag, 16. Januar 2012

Deutschland weit abgeschlagen

„Dass AAR aber inzwischen Deutschland weit ein wichtiges Anschubsprojekt war, hat sich Anfang Juni auf dem Bibliothekartag in Mannheim wieder einmal gezeigt.“ Das steht in den „Informationen aus dem Freiburger Bibliothekssystem“.[1]
Das Anschubs-Projekt sollte der deutschen Sprache unbedingt erhalten bleiben. Leider wird sich wohl nicht das Freiburger Bibliothekssystem dieser Schöpfung rühmen können, sondern der Druckfehlerteufel.
Davon abgesehen: Mich wundert, daß man in einem Bibliothekssystem, wo man doch Zugang zu zahllosen einschlägigen Werken hat, nicht merkt, daß da etwas nicht stimmt. Diese Aneinanderreihung von Wörtern hat nicht etwa den Mangel, daß sie einen Sinn ergibt, den sie nicht ergeben soll, sondern sie ergibt einfach gar keinen und sie ist kein Satz. Bis „weit“ hat man zwar den Eindruck, es könnte einer werden, und ab „ein wichtiges“ liest es sich so, als wäre das das Ende eines Satzes. Blickt man aber aufs Ganze, ist keiner zu erkennen.

Freitag, 13. Januar 2012

Neuroplastische Lebensbeschreibungen

„Angesichts längerer Erwerbsbiographien spielt die ‚Neuroplastizität’, also der Erneuerungs- und Anpassungsprozess im Hirn eine wichtige Rolle.“ Das haben die PraktikantInnen[1] in einen taz-Artikel eingefügt (6.1.12)

Geht’s noch geschraubter? Früher hätte man wohl gesagt: Weil die Leute länger arbeiten.
Aber ist das überhaupt gemeint? „Die Biografie ist die mündliche oder schriftliche Präsentation des Lebenslaufes eines anderen Menschen; ein Sonderfall der Biografie ist die Autobiografie“, belehrt uns Wikipedia. Warum jene Hirnprozesse eine wichtige Rolle spielen sollen, wenn die Lebensbeschreibungen länger werden, das fragt man sich schon. Kann man ohne Neuroplastizität nur kürzere Bücher schreiben? Aber wieso soll das speziell bei Erwerbslebensbeschreibungen so sein? Wenn man das sonstige Leben beschreibt, kommt's auf die Neuroplastizität nicht an? Was im Artikel steht, spricht nicht für diese Interpretation. Da hat man eher den Eindruck, als sei die Neuroplastizität wichtig für alle möglichen Denktätigkeiten, ob man die nun im Erwerbsleben ausführen muß oder weil man gezwungen ist, ohne Erwerbstätigkeit durchs Leben zu kommen oder weil man z. B. wegen einer Erbschaft Erwerbstätigkeit nicht nötig hat und sich sein Leben lang mit Hochgeistigem vergnügt. Rätsel über Rätsel. Man hat den Eindruck: Je hochgezwirbelter und zugleich debiler die Ausdrucksweise unserer Journalisten wird, um so mehr Erneuerungs- und Anpassungsprozesse im Hirn sind erforderlich, um auch nur die einfachsten Zeitungsmeldungen zu verstehen.


[1] Denen mußten wir uns in diesem Blog schon häufiger widmen, siehe z. B. http://deutsche-sprak.blogspot.com/2011/02/praktikanten.html.

Donnerstag, 12. Januar 2012

And the winner is

"Persönlich bin ich auch dafür, dass wir uns so eine Steuer vorstellen könnten", hörte ich unsere Kanzlerin kürzlich im Fernseher sagen. 

Verlust in den Wulff der Welt

„Der Vertrauensverlust in die von ihr [Angela Merkel] geführte Regierung ist nämlich so groß, dass er durch keinen Wulff der Welt ausgeglichen werden kann.“ Das schrieb, als es um Wulff noch besser stand, der weithin und auch von mir geschätzte Journalist Heribert Prantl in der Süddeutschen (1.7.10). Daß ein Verlust durch keinen Wulff der Welt ausgeglichen werden kann, ist ja nicht sonderlich erstaunlich; man muß es nicht gleich in die Zeitung setzen. Eher sollte man auf Verluste aufmerksam machen, die durch einen Wulff ausgeglichen werden können. Aber was wohl ein Verlust in die Regierung ist?

Mittwoch, 11. Januar 2012

Handlungsbedarf

„Vertritt die Landesregierung die Auffassung, dass ein Schulversuch aufgrund einer mündlichen Anordnung durchgeführt werden kann, wenn Schulleiter dazu einen Handlungsbedarf anmelden?“ So lautet eine Anfrage der Abgeordneten Claudia Willger-Lambert (B90/Grüne) im Landtag des Saarlandes.[1]
In der guten alten Zeit, als Minderwertigkeitsgefühle unter Politikern noch nicht ganz so verbreitet waren, hätte man wohl etwas weniger gedrechselt formuliert: wenn Schulleiter sagen, er sei nötig.

Dienstag, 10. Januar 2012

Probleme des Calvinismus

Max Weber zufolge hat es ja mit dem Kapitalismus nicht zuletzt deshalb angefangen, weil man im Calvinismus glaubte, wirtschaftlicher Erfolg auf Erden sei ein Zeichen dafür, daß man auserwählt ist fürs Himmelreich. Das habe ich zwar nie so richtig begriffen. Wenn man, dachte ich, auserwählt ist und darum wirtschaftlichen Erfolg hat, dann hat man den eben, ob man sich nun anstrengt oder nicht  – man ist ja auserwählt. Und wenn man nicht auserwählt ist, dann braucht man sich gar nicht erst anzustrengen. Die calvinistische Lehre erklärt also höchstens die Mentalität derjenigen Kapitalisten, die sich am Pool aalen und sich die Aktiengewinne in den Mund wachsen lassen, aber nicht, was im Kopf derer vorgeht, die sich Tag für Tag abstrampeln, damit möglichst viel von dem, was die Höllenkandidaten erarbeiten, in ihre Taschen umgelenkt wird. Und außerdem kam es mir ungerecht vor: Die hier absahnen, werden dort noch einmal belohnt. Aber der Calvin wird sich schon etwas gedacht haben, jedenfalls war die Lehre erfolgreich und hat uns die Kapitalisten beschert.
Jetzt aber merke ich, daß die Sache auch etwas Tröstliches hat: Wir anderen haben in der Hölle unsere Ruhe und müssen uns nicht mehr anhören, wenn der eine jauchzt: „Aufgaben: Als unternehmerisch denkende und handelnde Persönlichkeit mit fundiertem Wissen aus dem alternativen Anlagebereich und langjähriger Erfahrung im Umgang mit institutionellen Kunden treten Sie kompetent im Markt auf. Sie agieren konsequent erfolgsorientiert und erreichen mit Dynamik und hohem Engagement Ihre Ziele.“[1] Und der andere von seiner Wolke zurückjubiliert: „Mit mir gewinnt Ihr Unternehmen einen kompetenten, dynamischen Mitarbeiter mit neuen Ideen und mit großem Interesse an beruflicher Weiterentwicklung. Einen Mitarbeiter der sich jeden Tag mit hoher Flexibilität neuen Herausforderungen stellen möchte.“[2]


Montag, 9. Januar 2012

Freiheitskämpfer

„Die Freiheit von Information und Wissensarchitekturen, billige oder kostenfreie öffentliche Daseinsvorsorge sowie die gezielte Förderung sozialer Infrastrukturen befördern eine gesellschaftliche Produktivität in Formen freier Kooperation, deren Rückfluss in gemeinschaftlich freie Nutzung garantiert ist.“ Das meint jemand vom „Infoladen Moskito“; so nämlich sehe die „Alternative zum Ökoimperialismus“ aus.[1]
Nun weiß ich leider nicht, was Wissensarchitekturen sind. Es hört sich aber nicht gut an und es wäre vielleicht gut, wenn wir von ihnen frei blieben. Aber die Freiheit von Information zu fordern scheint mir doch sehr bedenklich. Der Moskitoladen oder wenigstens der Autor jenes Artikels hofft auf eine rot-rot-grüne Koalition. Er scheint also dem politischen Lager anzugehören, das sich in der Tradition der demokratischen Aufklärung sieht, und in dieser ist man doch eher dafür gewesen, daß die Informationen frei zu jedem fließen dürfen und keiner von ihnen frei bleibt.
Allerdings gibt es unter den politischen Kräften, die man in der rot-rot-grünen Koalition vereinigen möchte, auch manche, die damals – die Älteren unter Ihnen werden sich erinnern – für die schöne Institution des „Tals der Ahnungslosen“ gesorgt haben. Das war die Gegend um Dresden, in der konnte man kein Westfernsehen empfangen. Die Forderung nach Freiheit von Information war damit weitgehend erfüllt.
In diesem Fall scheint das zunächst etwas erstaunlich anmutende Anliegen also eine einleuchtende Erklärung zu finden. Anders ist es in dem folgenden: Die „Arbeitsgemeinschaft Zukunft e.V.“ fordert in ihrer Stellungnahme zur "Verordnung zum Schutz von zu Sicherheitszwecken verwendeten Empfangs- oder Sendefunkgeräten (VSiFunk)" des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit: „Die Freiheit von Information und wissenschaftlicher Betätigung muss gewährleistet bleiben.“ Und das begründet sie „mit dem besonderen Schutz durch Artikel 5 GG, unter dem der Amateurfunkdienst steht.“[2] Ich glaube ja gern, daß der Amateurfunkdienst unter dem besonderen Schutz eines Artikels des Grundgesetzes steht. Aber daß das Grundgesetz uns von Informationen freihalten, uns vor ihnen schützen möchte, mag ich nicht glauben. Und die Freiheit von wissenschaftlicher Betätigung scheint mir ohnehin nicht bedroht. Seit der Einführung der Bachelor-Studiengänge ist der Genuß dieser Freiheit den meisten Studenten garantiert.

Samstag, 7. Januar 2012

Zu empfehlen

Eine lesenswerte Reportage aus dem Abort der Hölle[1] (von Gerhard Henschel) steht heute auf der Wahrheit-Seite der taz:

Freitag, 6. Januar 2012

Befüller

„Diese Betriebe sind bei der Befüllung und Rückholung ihrer Flaschen auf das Mehrwegsystem angewiesen.“ „Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU“. Geredet hat der Bundestagsabgeordnete Michael Brand.[1]
Warum er wohl Beifall bekam? Vermutlich, weil er nicht einfach Füllung, sondern Befüllung gesagt hat. Ich bin mir sicher, die Abgeordneten der anderen Fraktionen wollten auch applaudieren und haben sich nur mühsam beherrscht. So würden sie auch gern reden können! Welch ein Politiker! Welche Kraft zeigt sich in seinen Worten! Zwar ist die Vorsilbe vollkommen sinnlos, verleiht dem Gesagten aber doch gleich ganz anderes Gewicht, ja Wucht. Nur schade, daß er in der falschen Partei ist.
Vielleicht erklärt sich’s aber ganz anders. Vielleicht sind die Parteifreunde ja gerade dabei, den Herrn Brand abzuschießen, und der bereitet sich vorsichtshalber bereits  auf eine Auffangstellung im öffentlichen Dienst vor. Und da übt er halt schon mal Amtsdeutsch. Da kommt die Befüllung ja her.

Donnerstag, 5. Januar 2012

Keinster Sinn

„Inhaltlich bekam Westerwelle von den CDU-Ministern Wolfgang Schäuble (Finanzen) und Thomas de Maizière (Inneres) Zustimmung. Doch nicht alle Unionspolitiker stellen sich hinter den FDP-Chef. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, erklärte Fordern und Fördern gehöre zwar immer zusammen. Doch gehöre Solidarität zu den Grundpfeilern der sozialen Marktwirtschaft. ‚Das ist in keinster Weise sozialistisch’, sagte Dobrindt.“ So der Focus.[1]
Die Zeitschrift mit dem unappetitlichen Chef[2] kennt zwar nach eigenem Bekunden die Fakten wie keine andere, aber bei den Kommaregeln hapert es ein bißchen, wie man sieht. – Wenn Herr Dobrindt „Das ist in keiner Weise sozialistisch“ gesagt hätte, hätte er schon nicht recht gehabt, denn Solidarität ist durchaus sozialistisch, wenn auch nicht nur. Vielleicht wird er widersprechen und sagen, die sozialistische Solidarität sei keine wahre, sondern eine Scheinsolidarität. Die wahre ist unsere, die der CSU. Darüber ließe sich diskutieren. Mit „in keinster Weise“ aber hat er das Gebiet möglicher Diskussion verlassen und sich ins Reich des Irr- und Wirrsinns begeben. In keiner Weise: Da ist nichts, rein gar nichts, das läßt sich nicht unterbieten, so wenig wie sich optimal und ideal überbieten lassen.

Jetzt kommt sicher gleich einer und sagt mir, daß „in keinster Weise“ zu fast neun Millionen Treffern bei Google führt und man doch bitteschön zu akzeptieren habe, daß es nun einmal eine feststehende Redewendung ist und daß es vielleicht schon im Duden steht oder doch bald stehen wird. Da frag’ ich mich aber: In welchen Kreisen ist es denn eine feststehende Redewendung? Und ist es denn wichtig, wie groß diese Kreise sind? Das Argument hat die Qualität der Bild-Reklame „Millionen Leser können sich nicht irren“. Man klebte damals Plakate daneben: „Millionen Fliegen können sich nicht irren.“



[2] Böswillige werden behaupten, das schreibe ich nur, weil der immer auf den VIP-Plätzen bei dem Münchner Fußballklub sitzt, dessen Namen fromme Menschen nicht nennen, ohne sich zu bekreuzigen. Zugegeben, das läßt mich nicht unberührt. Im Übrigen haben sie bei Focus jetzt einen Neuen, der scheint aber von ähnlicher Qualität zu sein: http://blogs.taz.de/wortistik/2011/01/19/denkwert/.

Mittwoch, 4. Januar 2012

Schlüsselinkompetenz

„Kürzlich hat die EU-Kommission einen europäischen Referenzrahmen für lebenslanges Lernen vorgeschlagen, der sowohl die Schlüsselkompetenzen festlegt, über die jeder Europäer verfügen sollte (...) Am Ende ihrer Grund(aus)bildung sollten junge Menschen danach über acht Schlüsselkompetenzen verfügen:
muttersprachliche Kompetenz,
fremdsprachliche Kompetenz,
mathematische Kompetenz und grundlegende naturwissenschaftlich-technische Kompetenz,
Computerkompetenz,
Lernkompetenz,
interpersonelle, interkulturelle und soziale Kompetenz und Bürgerkompetenz,
unternehmerische Kompetenz,
kulturelle Kompetenz.“
Das steht in einer Kleinen Anfrage des rheinland-pfälzischen Landtagsabgeordneten Jürgen Creutzmann (FDP).[1]

Ich ahne schon lange, daß mir nicht alle Schlüsselkompetenzen, über die jeder Europäer verfügen sollte, zu Gebote stehen. Jetzt hab’ ich's schriftlich und man wird mich wohl bald nach Übersee ausbürgern. Aber ein paar Fragen hätte ich vorher noch: Wozu brauche ich eine kulturelle Kompetenz, wenn ich schon eine interkulturelle habe? Oder anderes gefragt: Ist die interkulturelle nicht bereits eine kulturelle und habe ich nicht eine kulturelle immer dann, wenn ich eine interkulturelle habe? So wie ich Deutscher bin, wenn ich Hesse bin? Und: Ist Bürgerkompetenz nicht eine soziale Kompetenz? Und: Wozu brauche ich unternehmerische Kompetenz, wenn ich weder Unternehmer bin noch werden will? Sollte man nicht stattdessen Kompetenzen in den Katalog aufnehmen, die sowohl Unternehmer als auch Angestellte, Arbeiter, Beamte, Rentner, Bauern, Hausfrauen, Arbeitslose und was es sonst noch alles gibt brauchen können? Beispielsweise Zähneputzkompetenz? Und: Wird man mir muttersprachliche Kompetenz bescheinigen, wenn mir der modische Jargon gar nicht so recht über die Lippen will und ich statt „ich verfüge über muttersprachliche Kompetenz“ lieber „ich kann deutsch“ sage?

Dienstag, 3. Januar 2012

In 2012

„Auch in 2012 darf man ‚in 2012’ sagen“, schreibt der Hamburger Linguistik-Professor A. Stefanowitsch in seinem Blog[1] und er bringt auch gleich den Beweis dafür: Es ist gar kein Anglizismus, denn, das hat er bei seinen Forschungen herausgefunden, man hat es gelegentlich auch schon vor zwei- oder dreihundert Jahren und noch früher verwendet, und sogar „In Anno Domini“ ist vorgekommen. Eigentlich macht es ja nichts, wenn ein Wort ein Anglizismus ist, denn „die Entlehnung von Wörtern ist ein natürlicher Prozess, der in jeder Sprache stattfindet“[2], und deshalb soll er stattfinden, wie man in diesen Kreisen, hinter David Hume zurückplumpsend, denkt. Aber wenn es sich herausstellt, daß es doch kein Anglizismus ist, ist's noch viel schöner. Das ist die Grundüberzeugung der Anglisierungsnazis.
Das ist übrigens kein „Nazi-Vergleich“.  In den Kreisen der Anglizismenfreunde redet man halt so.  Stefan Sasse nennt Bastian Sick „die Heilsfigur der Sprachschützer und Grammatiknazis“, aber eben: „Das ist übrigens kein ‚Nazi-Vergleich’“. Es ist vielmehr so: „Ein Nazi-Vergleich wäre ‚Bastian Sicks Positionen sind wie die der Nazis’. 
’Grammatiknazi’ ist vielmehr eine Eindeutschung eines Phänomens, das im Englischen seit vielen Jahren bekannt ist, nämlich ‚nazi’ an eine beliebige Zuschreibung anzuhängen, um eine radikale Position anzudeuten.“[3] Da sieht man, wie segensreich die Anglizismen sind. (Herr Stefanowitsch wird aufschreien: Die Linguistik hat doch nachgewiesen, daß „Nazi“ aus dem Deutschen stammt; aber für Herrn Sasse ist es nun einmal nur deshalb akzeptabel, weil es aus dem Englischen stammt.) Jetzt haben wir endlich ein passendes Wort für Herrn Brüderle: Er ist ein Wirtschaftsnazi, die Engländer und Amerikaner reden ja so und also müssen wir es auch. Eine gewisse Entdifferenzierung, zugegeben. Aber ein passendes Wort für die Nazis selbst wird uns schon noch einfallen.
Zurück zu A. Stefanowitsch. Sein Artikel zu „in 2012“ hat eine rege Diskussion ausgelöst. Das eine wichtige Argument bringt gleich eine der ersten Kommentatorinnen: „Die schleichende Einführung der Präposition ‚in’ begann Ende der 70er Jahre und ist ein eindeutiger Anglizismus, egal was die Römer sagten“ (Eva Tanner). Ein derart komplizierter Gedanke aber ist in die Köpfe der gelehrten Linguisten offenbar nicht hineinzubringen. Das zweite wichtige Argument bringt die Kommentatorin Sabine: „Ob es nun ein Anglizismus ist oder nicht, ist doch egal. In jedem Fall handelt es sich um eine sprachliche Wichtigtuerei ...“. Das verstehen die Linguisten noch weniger. Sie glauben immer, bei der Schlacht für und wider Anglizismen ginge es darum, ob die deutsche Sprache rein zu bleiben hat, vielleicht, weil es einige Chauvinisten gibt, denen das in der Tat ein Anliegen ist. Und dann freuen sich die Anglizismenfreunde, wenn es ihnen nachzuweisen gelingt, daß ein Wort angloamerikanischer Herkunft im Deutschen schon früher benutzt wurde und damals gar nicht aus England oder Amerika kam. Das freut sie selbst dann, wenn es auf der Hand liegt, daß es jetzt nicht deshalb benutzt wird, weil es früher einmal im Deutschen vorkam, sondern einzig und allein deshalb, weil es sich englisch oder richtiger amerikanisch anhört. Wer heute „in 2012“ sagt, täte das ja nicht, wenn er wüßte, daß 1783 nicht in New York, sondern in Bielefeld jemand so geredet hat. Es wäre ihm peinlich, denn altmodisch und provinziell will er ja gerade nicht wirken.
Die Anglisierungsnazis (noch einmal: keine politische Anschuldigung, nur ein unschuldiger Anglizismus) können sich gar nicht vorstellen, daß einem die Reinheit der deutschen Sprache völlig egal sein kann oder daß man „Reinheit“ in diesem Zusammenhang ohnehin für einen unsinnigen Begriff hält, und daß einem die Anglizismen trotzdem auf die Nerven gehen. Oder richtiger: nicht die Anglizismen, sondern die, die sie verwenden. Denn manchem ist es schwer erträglich, sich ständig von Leuten umwinselt[4] zu sehen, deren Wortwahl immerzu den Subtext offenbart: Halte mich doch bittebitte nicht für den Provinzler, für den ich mich selber halte.

Ich bin mir ziemlich sicher, daß bei den meisten, die etwas gegen die Anglisierung haben, das der Grund ist und nicht irgendein Kulturnationalismus.
Daß Anglizismen eine solche Verbreitung haben, ist in der Tat nichts per se Schlechtes. Es war auch nichts per se Schlechtes, daß sich Latinismen und schließlich das Lateinische selbst im römischen Reich ausgebreitet haben und auf diese Weise Sprachen wie Französisch, Spanisch und Rumänisch entstanden, die wir ja nicht missen wollen, auch wenn es bedauerlich sein mag, daß dadurch die iberischen, die gallischen und einige duzend oder hundert andere Sprachen verschwunden sind. Aber auch wenn es nichts per se Schlechtes ist – die Gründe, warum sich Anglizismen heute ausbreiten, sind leider fast immer schlecht. Natürlich, es gibt auch ein paar gute, aber eben nur ein paar. Weitaus häufiger ist, daß man glaubt, für einen Hinterwäldler gehalten zu werden und deshalb einen Schutzwall aus weltmännisch und modern klingenden Wörtern um sich errichtet. Man will sich aufblasen, weil man's nötig hat.
Also nichts gegen die Anglizismen, aber den Importeuren der Anglizismen kann ich nicht viel Liebe entgegenbringen. Gewiß, aufblasen kann man sich mit originaldeutschen Wörtern oder mit Fremdwörtern lateinischer und griechischer Herkunft auch, das macht aber diejenigen nicht sympathischer, die es mit englischen versuchen.

Montag, 2. Januar 2012

Gegenüber der Umwelt

Der Schutz gegenüber Blitzen wird unter dem Begriff Blitzschutz behandelt.“[1]
Daß man sich gegenüber von Blitzen befindet, kommt eigentlich kaum vor. Die kommen so gut wie immer von oben. Und wenn es doch einmal der Fall sein sollte: Wovor soll man denn geschützt werden, wenn man einem Blitz gegenübersteht? Vor dem Regen? Vor Erkältung? Vielleicht sogar vor dem Blitz selber? Wikipedia sollte sich etwas deutlicher ausdrücken.
Aber beim Blitz ist es ja immerhin möglich, daß man ihn sich gegenüber hat. Immer wieder hört man Geschichten von Leuten, die plötzlich einem Kugelblitz vor sich sahen, auch wenn andere behaupten, das seien nichts als Märchen. Ganz unmöglich ist aber, was uns der bekannte Umweltaktivist und -journalist Franz Alt weismachen will: „Wir leben verantwortungslos gegenüber der Umwelt“.[2] Verehrter Herr Alt: Wenn es etwas gibt, dem man auf gar keinen Fall gegenüberstehen oder -leben kann, dann ist es die Umwelt. Was immer man tut, wohin man auch fliehen mag: Man ist immer mitten in ihr drin. 
Doch nicht nur gegenüber der Umwelt, auch gegenüber der künftigen Generation und gegenüber uns selbst sollen wir nicht leben, meint Herr Alt. Gegenüber der künftigen Generation ginge das schon. Auf dem Bauernhof war das früher üblich: Die Alten wohnten der aus ihrer Perspektive künftigen Generation gegenüber in einem Austragshäusl, wie man das in Bayern nannte. Uns selbst gegenüber zu leben ist zumindest im Zustand der Schizophrenie nicht ausgeschlossen. Man soll halt dort, d. h. gegenüber, also da drüben nicht verantwortungslos leben, wird Herr Alt meinen. Nur: wofür hat man Verantwortung, und vor wem? Das verrät er uns nicht. Jedenfalls hat man Verantwortung z. B. für seine Familie und vor Gott und dem König, aber nicht gegenüber diesen.


[2] Kundenmagazin der Stadtwerke Freising 1/2010.