Freitag, 29. Juni 2012

Kein Erhalt des Bollwerks

„In einer aufsehenerregenden Predigt protestiert der Münchener Kardinal Michael von Faulhaber gegen die von den Nationalsozialisten geförderte Einheitsschule. Er setzt sich für den Erhalt der konfessionell gebundenen Schulen ein.“ (chroniknet.de)[1]
Das hat der Kardinal bestimmt nicht getan, sondern das hat chroniknet verbrochen. In den 30er Jahren kannte bestimmt jeder den Unterschied zwischen Erhalt und Erhaltung – falls das amtsdeutsche „Erhalt“ überhaupt schon erfunden war. Aber selbst wenn Herr von Faulhaber das gesagt haben sollte: Er war halt katholisch, und bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein hatten die Katholiken bekanntlich ein erhebliches Bildungsdefizit. Nicht zuletzt deshalb hat man in 60er Jahren den heute noch anhaltenden Bildungsnotstand ausgerufen, der auch daran zu erkennen war, daß man Wörter wie „Bildungsnotstand“ und „Bildungsdefizit“ dafür erfand. Es wäre jedenfalls nicht besonders verwunderlich, wenn sich gewisse Schwächen da gezeigt haben sollten, wo ohnehin nicht viel zu erwarten ist. Hauptsache, die Bollwerke deutschen Geisteslebens stehen noch festgefügt.
Zu denen gehören in allererster Linie die evangelischen Pfarrhäuser. Wen haben die nicht alles hervorgebracht! Hölderlin und Jean Paul, Nietzsche und Hegel, Claudius und Lessing und viele, viele andere. Doch was muß man lesen? Der damalige Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Manfred Kock, teilte uns in einer Predigt folgendes mit: „Vieles wird heute aufgeboten, um Behinderten und Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen plausibel zu machen, dass ihre Anspruchshaltung im Blick auf den Erhalt von hohen Pflegestandards unbezahlbar ist.“[2] Vielleicht ist's ja richtig und er meint wirklich Erhalt und nicht Erhaltung, aber ich glaube das nicht; er meint, daß die Behinderten die hohen Standards bereits haben, daß diese also erhalten werden sollen und nicht, daß die Behinderten sie erst erhalten sollen. Wie aber soll man eine Haltung bezahlen? Heißt das, daß man der Haltung Geld gibt, damit sie einem irgend etwas gibt, so wie man dem Wirt Geld gibt, damit er einem ein Bier gibt? Und was gibt sie einem dann? Oder heißt das, daß man irgendwem Geld gibt, damit man die Haltung bekommt? Es kracht im Gebälk des Bollwerks.

Mittwoch, 27. Juni 2012

Konfliktforscher machen sensationelle Entdeckung

Bisher kannte man autoritäre Väter und Vorgesetze. Dadurch entstanden viele Autoritätskonflikte. Jetzt sind die Konflikte selber autoritär geworden:
„Durch die Arbeiten von Robert Borgmann mäandern Fragen der Nationalidentität und Analysen autoritärer Konflikte.“[1]



[1] Unterüberschrift in der taz, 12.4.11

Montag, 25. Juni 2012

Ziemlich breit

"Ich wäre lieber breit aufgestellt worden", sagte J. Gauck im "ARD-Gespräch" vor seiner ersten Kandidatur.
Da hätte ich gern zugesehen.
Die Profis der Parteien sind aber immer noch besser. Claudia Roth liebt das Breite auch, und sie kann es viel schöner ausdrücken:
"Genau hier liegt mein Grüner Anspruch: Teil immer breiter getragener Bündnisse zu sein".[1]

Mittwoch, 20. Juni 2012

Umsetzer beim Draufsetzen

Henryk Broder hat Menschen, die „eins zu eins umsetzen“ und was noch von dieser Art ist von sich geben, damit gedroht, unverzüglich die Kommunikation abzubrechen. Dafür ist er in diesem Blog hoch gelobt worden.[1] Nun gibt es aber, man mag’s nicht glauben, auch welche, die wollen noch eins draufsetzen und „bestehende Funktionalitäten eins zu eins umsetzen“[2]. Was er wohl mit denen täte?

Montag, 18. Juni 2012

Brauchen wir Gefühlkontaktbereichsbeamte?

„Die Lernaufgabe, die das Kind an dieser Stelle zu bewältigen hat, ist, sich an Grenzen zu orientieren, ohne in Scham oder Schuld über die eigene Initiative abzurutschen. Dabei kommt es mit all seinen Gefühlen in Kontakt.“[1]
Bisher kamen die Kinder mit etwas in Kontakt, weil bestimmte Gefühle sie dazu trieben; sehr oft trieb sie das Gefühl der Neugier zum Kontakt mit Dingen, die sie meiden sollten, z. B. heißen Herdplatten. Oder aber sie bekamen bestimmte Gefühle, wenn sie mit etwas in Kontakt kamen. Häufig trat das den Eltern sehr lästige Gefühl unbezähmbaren kindlichen Appetits bereits bei nur losem Sichtkontakt mit einer Eisdiele auf. Jetzt sind die Kleinen einen Schritt weiter. Sie kommen mit ihren Gefühlen in Kontakt, sogar mit allen. Was das für Folgen haben kann! Man mag gar nicht daran denken!

Samstag, 16. Juni 2012

Angstfrei geheimnisvolle Leben leben


Die Älteren werden sich erinnern: Die taz war einst berühmt für ihre geistreichen Schlagzeilen. Sie hat etwas nachgelassen. Gestern stand auf Seite 1 die unfaßbar dämliche Aufforderung an die Griechen „Griecht euch ein“.
Heute steht an entsprechender Stelle:
„Die Alten haben das Wort“. Unterüberschrift: „Weitblick. Die ‚alternde Gesellschaft’ macht Angst. Warum eigentlich, wo gelebtes Leben doch voller Geheimnisse ist?“
Loben muß man, daß die taz „alternde Gesellschaft“ in Anführungszeichen gesetzt hat. Ihr ist offenbar aufgegangen, daß eine Gesellschaft mit vielen alten Menschen keine alte Gesellschaft sein muß und daß eine Gesellschaft, so wie ein jeder Mensch auch, immer altert, man das also nicht extra erwähnen muß. Die Risikogesellschaft, die Wegwerfgesellschaft, die Überflußgesellschaft, die Informationsgesellschaft und all die tausend anderen Gesellschaften, von denen die Welt der Journalisten und der Boulevardwissenschaftler wimmelt: Sie alle wurden geboren, waren jung, sind älter geworden und manche von ihnen sind bereits verschieden.
Aber man fragt sich, was denn wohl ein nicht gelebtes Leben sein mag. Ich war bisher der Ansicht, daß das einfach gar kein Leben ist, weil zu den Definitionsmerkmalen von Leben nun einmal gehört, daß gelebt wird. Bei der taz scheint man jedoch zu meinen, daß es ein Leben ohne Geheimnisse ist. Na ja, soll mir recht sein. Nicht abfinden kann ich mich aber mit der Behauptung – und die scheint mir in dem etwas dunklen Satz zu stecken –, daß man dann, wenn etwas voller Geheimnisse ist, keine Angst haben muß. War nicht die Menschheit ihre ganze bisherige Geschichte hindurch eher der gegenteiligen Meinung? Fürchtete man sich nicht gerade an geheimnisvollen Orten, etwa in Gespensterburgen?

Mittwoch, 13. Juni 2012

Leistungsträger

„Soldatin: ‚Ich bringe dieselbe Leistung wie die Männer’“, titelt   evangelisch.de.[1]
Früher haben Fußballspieler gespielt, heute bringen sie ihre Leistung. Früher haben Soldaten totgeschossen und totgeschlagen, heute bringen sie ihre Leistung. Früher haben Philosophen gedacht. Wahrscheinlich wird Sloterdijk der erste sein, der bekennt: Ich denke nicht, sondern bringe meine Leistung. Ergo sum.




[1] Anfang Januar 2011

Montag, 11. Juni 2012

Amiland und Schwabenland

Die meisten Deutschen nennen die USA einfach „Amerika“. Das wird zwar manchmal gerügt; politisch sei es nicht korrekt und wer so spricht, mache sich – sagt man heute nicht mehr, sagte man aber vor 30 oder 40 Jahren noch – der Unterstützung des US-Imperialismus verdächtig, wenn nicht gar schuldig. Aber es klingt am besten. Leute, die sich ihres Mangels an Reife bewußt sind und darunter leiden, versuchen ihre Infantilität zu ironisieren und sagen „Amiland“. Von Angehörigen gediegenerer Stände hört man manchmal „die Vereinigten Staaten“ oder gar „die Vereinigten Staaten von Amerika“.
„In den Staaten“ aber sagen minderwertigkeitskomplexgeplagte Knallchargen. Es gibt unter diesen auch welche, die sagen „in den States“ und entschuldigen sich dann damit, daß sie einige Zeit dort gelebt haben und es ihnen darum leider immer mal wieder rausrutscht. Es rutscht ihnen also raus, weil sie den Drang nicht beherrschen können, der Welt mitzuteilen, daß die dort gelebt haben. Vergleichsweise selten kommt es vor, daß jemand Schwäbisches in seine Rede einflicht, um auf diese Weise durch die Blume mitzuteilen, daß er vier Monate in Donaueschingen Reutlingen gewohnt hat.

Samstag, 9. Juni 2012

Katastrophe im Mittelfeld

Von  Fußballreportern ist man ja einiges gewöhnt. Doch neulich, bei der Übertragung des Spiels Bayern gegen Chelsea im Bayerischen Rundfunk, hat sich einer zu bisher Unvorstellbarem aufgeschwungen. Schweinsteiger verteilt den Ball zu Kroos. Man hält es erst für einen Versprecher, so wie bei der berühmten Kathrin Müller-Hohenstein (das ist die mit dem „inneren Reichparteitag“), der „ ... zu spielen vor ausverkauftem Publikum – traumhaft"[1] passiert ist. Aber nein, denn dann verteilt Lahm den Ball zu Müller, dann verteilt ihn Müller zu Robben, und so geht’s weiter.



[1] Beim Frauen-WM-Spiel Frankreich-Deutschland. Die Information verdanke ich Herrn U. E. aus Mainz.

Freitag, 1. Juni 2012

Computerexperten

„Ein Mailfinder Programm ohne spezielle PC-Kenntnisse. Emailfinder. Andreas ist super glücklich mit Emailadressen finden. Emailfinder. In einer übersichtlichen Aufteilung: Emailadresse finden. Emailfinder. Total alles zu E-Mail finden Software. Emailfinder.“[1]
Mancher wird vielleicht meinen: Das war gar keiner, das war ein Übersetzungsprogramm. Das glaub’ ich aber nicht. Adorno hat einst – leider weiß ich nicht mehr, wo – sinngemäß folgendes geschrieben: Die Auffassung ist zurückzuweisen, daß der Mensch je dahin kommen kann, Geist maschinell zu erzeugen. Vielmehr sei etwas anderes wahrscheinlich: Die Menschen werden den Maschinen allmählich so ähnlich, daß bald nicht mehr viel dazu gehört, so einen Kerl künstlich herzustellen. Geist künstlich herzustellen, also z. B. Goethe oder seine Putzfrau – das hat er nicht gesagt, aber sicher gemeint –, übersteigt dagegen selbst die in fernster Zukunft zu erwartenden technischen Möglichkeiten.
Die Prophezeiung scheint jetzt zur Hälfte eingetreten zu sein. Man muß den von selbst entstandenen, von Menschen gezeugten Maschinenmenschen, der den eingangs zitierten Satz von sich gegeben hat, nur noch nachbauen. Das dürfte ganz einfach sein.