Freitag, 13. Januar 2012

Neuroplastische Lebensbeschreibungen

„Angesichts längerer Erwerbsbiographien spielt die ‚Neuroplastizität’, also der Erneuerungs- und Anpassungsprozess im Hirn eine wichtige Rolle.“ Das haben die PraktikantInnen[1] in einen taz-Artikel eingefügt (6.1.12)

Geht’s noch geschraubter? Früher hätte man wohl gesagt: Weil die Leute länger arbeiten.
Aber ist das überhaupt gemeint? „Die Biografie ist die mündliche oder schriftliche Präsentation des Lebenslaufes eines anderen Menschen; ein Sonderfall der Biografie ist die Autobiografie“, belehrt uns Wikipedia. Warum jene Hirnprozesse eine wichtige Rolle spielen sollen, wenn die Lebensbeschreibungen länger werden, das fragt man sich schon. Kann man ohne Neuroplastizität nur kürzere Bücher schreiben? Aber wieso soll das speziell bei Erwerbslebensbeschreibungen so sein? Wenn man das sonstige Leben beschreibt, kommt's auf die Neuroplastizität nicht an? Was im Artikel steht, spricht nicht für diese Interpretation. Da hat man eher den Eindruck, als sei die Neuroplastizität wichtig für alle möglichen Denktätigkeiten, ob man die nun im Erwerbsleben ausführen muß oder weil man gezwungen ist, ohne Erwerbstätigkeit durchs Leben zu kommen oder weil man z. B. wegen einer Erbschaft Erwerbstätigkeit nicht nötig hat und sich sein Leben lang mit Hochgeistigem vergnügt. Rätsel über Rätsel. Man hat den Eindruck: Je hochgezwirbelter und zugleich debiler die Ausdrucksweise unserer Journalisten wird, um so mehr Erneuerungs- und Anpassungsprozesse im Hirn sind erforderlich, um auch nur die einfachsten Zeitungsmeldungen zu verstehen.


[1] Denen mußten wir uns in diesem Blog schon häufiger widmen, siehe z. B. http://deutsche-sprak.blogspot.com/2011/02/praktikanten.html.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ist doch recht einfach. mit eine alten Hanwerkerspruch,zu verstehen:
"Wer 20 Jahre lang mit den Hammer arbeitet fast keine Zange mehr an"