Bisher dachte ich, Forschungsprojekt sei nur ein anderes Wort für Forschungsvorhaben. Antragsteller pflegen rein der Abwechslung wegen mal das eine, mal das andere zu schreiben. Nun las ich auf einer Internet-Seite der „Robert Bosch Stiftung“: „Die Skizze des Projektvorhabens ist der Arbeitsplan für das Stipendienjahr. Die Verbindung der Fragestellung zur geplanten Arbeit in den Organisationen muss deutlich erkennbar sein: Welche Ziele des Projektvorhabens sollen während der Arbeit in den jeweiligen Organisationen erreicht werden ...“.[1]
Das brachte mich ziemlich durcheinander. Die Robert-Bosch-Stiftung vergibt Stipendien an Hochbegabte. Hochbegabte, so war meine Vermutung, werden es auch sein, die die Texte der Stiftung formulieren, und Hochbegabte werden doch einigermaßen schreiben können. Wenn ein Projekt ein Vorhaben ist, dann ist ein Projektvorhaben ein Vorhabensvorhaben. Ist Hochbegabten so etwas zuzutrauen? Sicher nicht. „Projekt“ hat vermutlich noch eine andere, mir bisher entgangene Bedeutung. Ich schlug bei Wikipedia nach und fand folgende Definition: „Ein Projekt ist ein einmaliger Prozess, der aus einem Satz von abgestimmten, gelenkten Tätigkeiten mit Anfangs- und Endtermin besteht und durchgeführt wird, um unter Berücksichtigung von Zwängen bezüglich Zeit, Kosten und Ressourcen ein Ziel zu erreichen.“[2]
Aha, dachte ich, wenn man eine Zigarette anzündet, sich die Fingernägel schneidet oder die Nase putzt, dann führt man dieser Definition zufolge ein Projekt durch. Man setzt nicht etwa ein Vorhaben, d. h. ein Projekt in die Tat um, sondern das Putzen ist selbst das Projekt. Projektvorhaben ist also keineswegs ein weißer Schimmel. Sowie man den Vorsatz faßt, sich die Nase zu putzen, hat man ein Projektvorhaben und kann einen Antrag bei der Bosch-Stiftung stellen, damit man das Projekt durchführen kann und es nicht beim Projektvorhaben blieben muß. Daß die Bewilligungschancen groß sind, glaube ich eher nicht.
Das Projektvorhaben hatte ich also lange Zeit – irrtümlich, wie ich ja lernen mußte – für einen weißen Schimmel gehalten. Das „Zielprojekt“ aber, dachte ich, ist nichts als das Ergebnis der bei Politikern so verbreiteten Mischung (für die Jüngeren unter Ihnen: dem Mix) aus Hilflosigkeit und dem berufsbedingten Zwang, sich wichtig zu machen; Blähdeutsch wäre wohl die angemessene Bezeichnung. Man hängt zwei Wörter aneinander, die irgendwie nach Entschlossenheit und Weitblick klingen, auch wenn das gar keinen Sinn ergibt (für die Jüngeren unter Ihnen: Sinn macht, siehe http://deutsche-sprak.blogspot.com/2011/01/sinnmacher.html).
Doch das muß nicht so sein. „Das ‚Zielprojekt Jugend’ der Stadtgemeinde Bozen will euch Jugendlichen eine Stimme verleihen und an euren Gedanken, Vorschlägen, Kritiken, Ideen und Bedürfnissen teilhaben, um zusammen mit euch eine bessere, jugendgerechte Stadt zu schaffen. Das ‚Zielprojekt Jugend’ ist also eine sich ständig entwickelnde Baustelle, ein für neue Projekte und Ideen offenes Laboratorium“, teilt die Stadt Bozen ihren jüngeren Einwohnern mit.[3] Könnte es nicht sein, daß das Projekt Zielprojekt heißt, weil die Jugend lernen soll, mit ihren Gedanken, Vorschlägen, Kritiken, Ideen und Bedürfnissen zu zielen, nämlich auf eine jugendgerechte Stadt? Der Sinn ist zwar etwas dunkel, aber man wird sich im Zielprojekt schon noch ausdenken, was das heißen soll. Vielleicht ist aber etwas anderes gemeint: Nicht die Jugend soll zum Zielen gebracht werden, sondern die Stadtväter und -mütter zielen mit dem Projekt, und zwar direkt in die Herzen der Bozener Jugend. In beiden Fällen müßte ich mein Vorurteil ablegen, denn die Verbindung von „Ziel“ und „Projekt“ ist keineswegs sinnlos.
Völlig hilflos aber macht mich der folgende Satz: „Das Transformationsmodell bezeichnet ein Software−Entwicklungsmodell, welches das erforderliche Zielprojekt anhand einer formalen Projektbeschreibung mit Hilfe eines Transformators größtenteils automatisch erzeugt bzw. generiert.“[4]
Nicht nur das Zielprojekt überfordert mich. Wie kann ein Modell etwas bezeichnen? Wie kann ein Modell etwas erzeugen? Ich dachte immer, daß man zum Bezeichnen ein Wort oder etwas Ähnliches braucht und daß ein Modell zu allem möglichen gut sein mag, aber nicht zum Bezeichnen taugt. Und daß man nur mittels eines Modells etwas erzeugen kann, falls „Modell“ nicht im Sinne eines dem Maler sitzenden gemeint ist.
Und was bedeutet das „bzw.“ zwischen erzeugt und generiert? Bedeutet denn generieren etwas anderes als erzeugen? Oder wollte der Verfasser nur den feinen Unterschied zum Ausdruck bringen, der zwischen jemandem besteht, der erzeugen sagt, und einem, dem das zu popelig vorkommt und der, weil er fürchtet, daß seine Ausdrucksweise ihn sozial degradieren könnte, generieren sagt? Sollte also gar nicht zum Ausdruck gebracht werden, daß in der Sache ein Unterschied besteht, das Modell also sowohl erzeugen als auch generieren kann, sondern daß ein Unterschied in der Wesensart des Sprechers besteht?
Aber ist ein derartiger Gedankengang jemandem zuzutrauen, der sich damit beschäftigt, wie Modelle, die Modelle bezeichnen, die anhand von Beschreibungen mit Hilfe von Transformatoren Projekte bzw. Ziele bzw. Zielprojekte herstellen bzw. produzieren bzw. erzeugen bzw. generieren, oder vielleicht konstruieren? Doch, das ist ihm zuzutrauen! Denn hat der Satz nicht geradezu Luhmann’sche Diffizilität, ja Luzidität? Und ist dem Luhmann irgendein Gedankengang zu komplex bzw. kompliziert? Reduziert er nicht die komplexeste Komplexität so, daß keiner mehr etwas versteht? Und hat dieses Nichtverstehen schon einmal jemanden davon abgehalten, in solchen Sätzen ein Höchstmaß an Tiefsinn zu vermuten?
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