Dienstag, 19. April 2011

Zweiteres

Manche sind der Meinung, früher sei alles besser gewesen. Dem stimme ich nicht zu. Im Gegenteil, ich bin der Auffassung, daß es uns alles in allem immer besser geht, je näher wir dem Weltuntergang rücken, so wie Ikarus immer fideler wurde, je näher er der Sonne kam. Was aber den Zustand der deutschen Sprache angeht, so möchte ich den Vertretern jener Meinung doch recht geben. Bei Google ergab die Suche nach „zweiteres“  71.000 Treffer (27.9.2010). Hätte man es vor 40 oder 50 Jahren für möglich gehalten, daß das auch nur ein einziges Mal vorkommt? Selbst in den, wie es heute im Jargon derer heißt, die sich für gebildet halten, bildungsfernsten Schichten dürfte das keinem in den Sinn gekommen sein. Man sollte pensionierte Hilfsschullehrer fragen, ob sie je gezwungen waren, hier berichtigend einzugreifen. Vermutlich würden sie verneinen.
Wie kam es, daß man früher ein Unwort, das doch in der Logik des vorausgehenden „Ersteres“ liegt, gar nicht in Betracht zog? Ich weiß es nicht; vielleicht hat jemand eine Idee? Man hatte einfach ein Gefühl dafür, was die Sprache zuläßt und was nicht. „Zweiteres“ war so wenig möglich wie „auf Ebene von“, „in Abhängigkeit der“ und "in Leitfaden gestützten Interviews“, was heute vor allem Studenten ganz leicht aus der Feder fließt. 

10 Kommentare:

Michael Allers hat gesagt…

"Unwort"? Ist das sowas wie Unkraut oder Unkosten?

Wie Sie selbst schreiben, ist 'zweiteres' eine logische Ergänzung unseres Wortschatzes. Es gibt 'erstens, zweitens'; warum also nicht 'ersteres, zweiteres'? Inhaltlich gab es zweiteres schon immer, da i.d.R. nur zwischen genau zwei Bezügen unterschieden wird; nur nannte man es 'letzteres'.

Trotz mehrerer Hunderttausend Wörter ist eine Sprache nie vollständig, vgl. die vergebliche Suche nach einem durchsetzungsfähigen Wort für 'trink-satt'. Der sprachliche Weltuntergang findet genau dann statt, wenn eine Sprache keine neuen Wörter mehr zulässt.

Ludwig Trepl hat gesagt…

Es wäre eine logische Ergänzung, wenn man schon mal ersteres hat, in der Tat. Aber es geht einfach nicht, es ringeln sich einem die Fußnägel hoch, wenn man es hört. Aber offenbar nicht jedem.

Es wird wohl so sein wie in der Musik. Wer den Fehler nicht hört (ich zum Beispiel höre die meisten Fehler nicht, ich kann einen Stümper am Klavier nur in sehr krassen Fällen von einem Meister unterscheiden), der hört ihn nicht, und da ist nichts zu machen. Und nun kommt einer und sagt: wieso soll denn der falsch gesungen haben? Von den 500 Zuhörern sind offenbar 450 der Meinung, daß es richtig war, sehen Sie nicht, sie applaudieren doch! Aber nicht die 450 sind im Recht, sondern die 50, die den Fehler gemerkt haben.

Sie, Herr Allers, argumentieren auch so, zusätzlich aber noch etwas anders: Sie sagen, dem Musiker ist kein Fehler nachzuweisen, er hat die mir bekannten Regeln der Kunst brav befolgt. - Die Ihnen bekannten halt, und im Falle von zweiteres auch die mir bekannten. Denn ich weiß nicht, warum das nicht geht, aber ich höre es, so wie unsere 50 nicht applaudierenden Musikhörer. Ein Experte könnte vielleicht erklären, warum es nicht geht, aber sie müssen sich auf ihren Geschmack verlassen, und sie sind sich völlig sicher, daß der in diesem Fall nicht trügt. Und wir können sicher sein, daß sie sich nicht täuschen.

Das ist es, Herr Allers, was Sie nicht verstehen wollen: Mit Wissenschaft (szientivischer Wissenschaft) allein kommenSie hier nicht so recht weiter. Murks erkennt man gewöhnlich auf andere Art.

Michael Allers hat gesagt…

Vordergründiges Fazit: Sprache ist Geschmackssache, und über Geschmack lässt sich nicht streiten.
Wohl aber darüber, ob etwas, dass Ihre Fußnägel hochringeln lässt, deshalb objektiv ein "Fehler" ist.

Insofern hinkt auch Ihr Vergleich mit der Musik. Erstens ist Sprache nur ganz am Rande eine Kunstform (Belletristik, Lyrik). In erster Linie ist sie Kommunikationsmittel. Wenn jemand 'zweiteres' sagt und der Hörer es richtig versteht, hat sie ihren Zweck damit erfüllt.

Zweitens lässt sich auch in der Musik mit naturwissenschaftlichen Mitteln (Frequenzanalyse) feststellen, ob jemand einen Ton korrekt (mit einer maximalen, zu definierenden Toleranz) getroffen hat oder nicht. Wenn nicht, haben die 50 Experten mit den geschulten Gehör recht. Wenn doch, haben die Experten das Gras wachsen gehört und die anderen 450 recht. Alles weitere - zuwenig oder zuviel Tremolo bzw. Vibrato oder andere Nuancen - ist eben Geschmackssache.

Herr Trepl, Sie wollen doch nicht allen Ernstes behaupten, dass alles, was Ihren sicherlich exquisiten Geschmack nicht trifft, "Murks" ist? Ich höre z.B. ungern klassische Sopranistinnen; dabei ringeln sich mir die Fußnägel hoch. Aber ich würde deshalb nie behaupten, dass deren Gesang "fehlerhaft" oder "Murks" ist.

Was Sie nicht verstehen wollen: Ihr Sprachempfinden basiert auf purer Gewöhnung. Jede Wette: Wenn 'zweiteres' schon in Ihrer Jugend existiert hätte, 'letzteres' aber neu wäre, würden Sie letzteres scheußlich finden und zum Anlass für Ihre lustigen Weltuntergangsvisionen nehmen! Mir war 'zweiteres' ebenfalls unbekannt, bis Sie es mir dankenswerterweise vorgestellt haben. Aber es macht Sinn; also habe ich es in meinen Wortschatz aufgenommen (im Ggs. zu "Blähwinseln" übrigens).

Wenn die Verdammnis alles Neuen die allgemeingültige, 'richtige' Geisteshaltung in der Sprachgeschichte wäre, würden wir heute noch (bestenfalls) proto-indogermanisch sprechen. Wo wären wir heute, wenn unsere frühen Vorfahren anderen frühen Vorfahren, die einen neuen Laut oder ein neues Wort 'erfunden' haben, eins übergebraten hätten, weil das neue Sprachelement ihren Geschmack nicht traf? Das kann es doch nicht sein, oder?

Ludwig Trepl hat gesagt…

„Sprache ist Geschmackssache, und über Geschmack lässt sich nicht streiten.“ Das kommt darauf an, was für eine Art von Geschmack das ist. Wenn Sie jetzt nicht wissen, wie ich das meine: Die Kritik der Urteilskraft lesen, ich kann das nicht hier in ein paar Zeilen erklären;
unten kommt dazu etwas mehr, aber das wird wohl nicht reichen, um Sie zu überzeugen.
„Insofern hinkt auch Ihr Vergleich mit der Musik. Erstens ist Sprache nur ganz am Rande eine Kunstform (Belletristik, Lyrik). In erster Linie ist sie Kommunikationsmittel.“ Nicht nur in Belletristik und Lyrik, nicht nur am Rande. Immer, wenn man sich um den Stil bemüht, ist die Sprache nicht nur Informationsweitergabe, sondern auch Kunst. Das aber tun wir dauernd, in einem wissenschaftlichen Text ebenso wie beim launigen Gequatsche am Biertisch; es gibt, wenn überhaupt, nur wenige Ausnahmen.

„Wenn jemand 'zweiteres' sagt und der Hörer es richtig versteht, hat sie [die Sprache] ihren Zweck damit erfüllt.“ 

Nein, sie hat allenfalls den Zweck der Information erfüllt. Wenn ich etwas auf eine korrekte, aber dämliche, geschwollene, schüchterne ... Weise sage, dann mag es zwar richtig sein, aber es übermittelt dem Hörer eine Zusatzbotschaft, die ich ihm im allgemeinen gar nicht übermitteln wollte. (Jetzt bin ich, um Ihnen entgegenzukommen, einmal davon ausgegangen, daß man immer nach der Funktion fragen muß; so sicher ist das aber nicht.) – Ich habe den Eindruck, daß in Ihrem wissenschaftlichen Arsenal Begriffe wie dämlich nicht vorkommen, und das hat eine gewisse Unvollständigkeit Ihrer Analysen zur Folge.
(Fortsetzung)

Ludwig Trepl hat gesagt…

(Fortsetzung)

„Ich höre z.B. ungern klassische Sopranistinnen; dabei ringeln sich mir die Fußnägel hoch. Aber ich würde deshalb nie behaupten, dass deren Gesang "fehlerhaft" oder "Murks" ist.“

Erstens: Das sollten Sie auch nicht. Es kann sein, daß Ihnen etwas von großer Schönheit entgeht – ja, es ist sicher so (und daß Sie das ahnen, ist wohl auch der Grund, weshalb Sie vor dem Urteil „Murks“ zurückschrecken). So geht es mir z. B. beim Jazz und bei aktueller klassischer Musik (nennt man das so?). Mein Geschmack reagiert hier gleichgültig oder ablehnend, und ich bin überzeugt, daß das nicht richtig ist. Da bin ich mir deshalb relativ sicher, weil ich das Urteil anderer kenne, von denen ich etwas halte. Dieses Urteil kann mich aber selbstverständlich, ebenso wie das der Mehrheit nicht dazu zwingen, mein Urteil im einzelnen Fall zu ändern; dieses Urteil kann ich nicht nach Belieben oder aufgrund von Überlegungen, z. B. zur politischen Funktion der beurteilten Sache, ändern, das Urteil ereignet sich einfach. Daß ich auf etliches gleichgültig oder ablehnend reagiere, worauf ich positiv hätte reagieren sollen, ist bedauerlich; manches läßt sich allmählich verbessern (Geschmack läßt sich bilden), mit manchem muß man wohl leben.

Mit der Sprache ist das in den Aspekten, die mit Geschmack zu tun haben, auch so. Vieles, was Bessere spüren, sei es Schönheit (das Wort soll jetzt auch für anderes stehen, was ästhetisch geschätzt wird), sei es das Gegenteil, bemerke ich nicht.
Zweitens: Sie würden „nie behaupten, dass deren Gesang "fehlerhaft" oder "Murks" ist“. Aber bei derjenigen Musik, mit der Sie sich auskennen, sagen Sie eben doch: Murks. Da sagen Sie eben nicht: Ich empfinde das so, ist halt mein Geschmack, sondern Sie sagen: das ist so, wer das nicht hört, hat keinen. Und das betrifft nicht nur Sachen wie die Tonqualität, wo es sich, wenn Sie recht haben, gar nicht um ein ästhetisches Urteil handelt, sondern wo man nur einen physikalischen Sachverhalt erkennen muß. Sondern es betrifft vor allem die ästhetische Beurteilung von Formen. Im Falle der Sprache ist es vor allem die Form symbolischer Gefüge, und jedes Wort, jeder Satz ist ein solches, die Symbole sind in der Regel zahlreich, und die Kenntnis der jeweiligen Bedeutungen ist unter den Sprechern der Sprache überaus verschieden; was für die einen auf der Hand liegt, können die anderen gar nicht bemerken. Jedes Symbol für sich ist zwar in gewissem Sinne konventionell und damit auch beliebig, verdankt sich Gewohnheiten usw. Aber das Gefüge der Symbole, wenn sie einmal da sind, ist keineswegs beliebig, es ist etwas Objektives, das man erkennen kann oder nicht, und das beeinflußt die Fähigkeit der Beurteilung mittels des Geschmacks. Es ist wie im Theater: Wer nicht merkt, daß ein bestimmtes Kleidungsstück gar nicht das symbolisiert, was der Regisseur symbolisieren wollte, dem gefällt vielleicht das Stück. Wer’s merkt, bei dem stellt sich leicht Mißfallen ein.

Sagen Sie bloß nicht, das wäre bei Ihnen anders! Sie haben dazu nur eine andere Theorie als ich. Diese Theorie gibt es seit etwa 300 Jahren, man nennt sie empiristisch. Die Kernaussage ist: Das beruht alles nur auf Gewohnheit oder Konvention. Dann müssen Sie sich aber fragen lassen (die klassische Frage, die sich der Empirismus vom Rationalismus und später von der Transzendentalphilosophie an dieser Stelle anhören mußte), wieso Sie dann doch mit anderen über Schönheit streiten, also z. B. nach einem Theaterbesuch nicht nur sagen: dir hat es gefallen, mir nicht, jeder hat eben seinen eigenen Geschmack, sondern ihm versuchen klarzumachen, daß es ihm auch nicht hätte gefallen sollen. Sie tun das mit Sicherheit, auch wenn Sie es sich verbieten möchten.
(Fortsetzung)

Ludwig Trepl hat gesagt…

(Fortsetzung)

Man muß bei den Dingen, über die wir hier diskutieren, dreierlei unterscheiden:

1) Richtig und falsch, „Fehler“. Fehler kann man nachweisen. Hier kann man im allgemeinen zeigen, daß unabsichtliche Uneindeutigkeit besteht oder in anderer Weise der Sinn des Geschriebenen nicht mit dem des Gemeinten übereinstimmt. Ein Paradebeispiel sind die sog. Deppenleerzeichen. Wer so schreibt, schreibt etwas anderes als er schreiben will oder das Geschriebene ergibt überhaupt keinen Sinn, ist kein Satz, sondern nur eine sinnfreie Aneinanderreihung von Wörtern. – Nun kann es vorkommen, daß der Fehler sich ausbreitet und die Formulierung irgendwann einmal von allen so verstanden wird, wie sie der Sprecher verstanden haben will. Dann ist er kein Fehler mehr. Aber erst mal ist er einer. Daß es irgendwann einmal keiner mehr sein wird, selbst wenn man das mit Sicherheit voraussagen könnte, erlaubt es nicht, ihn jetzt zu machen. Wenn das nicht so wäre, gäbe es gar keine Fehler und wir könnten das Wort aus unserem Wortschatz streichen, bzw. es bliebe nur „Verstoß gegen Konventionen“. Gewiß, in irgendeinem Sinn kann man da schon von Konventionen sprechen. Nur: beim Festlegen der Konventionen richtet man sich doch überwiegend danach, was man als richtig erkannt hat. Man wird in sprachlichen Dingen die Idee (!) des objektiv Richtigen nicht los; ginge das, könnte man die Konventionen auswürfeln.

2) Gut oder schlecht in einem ästhetischen Sinn, d. h. es wird per Geschmack geurteilt. Der teilt sich aber (ich hab’s angedeutet: Kritik der Urteilskraft) in zwei Arten von Geschmack, die sich kategorial unterscheiden.

2a) Den Geschmack, über den sich nicht streiten läßt, weil jeder seinen eigenen hat.

2b) Den Geschmack, über den sich streiten läßt und über den faktisch gestritten wird, den „guten und schlechten Geschmack“ („Reflexionsgeschmack“ bei Kant). Die Frage, wie und ob überhaupt sich feststellen ließe, was im jeweiligen Fall guter Geschmack sei, ebenso die Frage, wie er denn zustande komme, steht auf einem ganz anderen Blatt und tut hier nichts zur Sache. Wichtig ist nur, daß wir Geschmacksurteile dieser Art faktisch fällen und daß gar nicht anders können, als über Geschmacksurteile dieser Art zu streiten mit den Anspruch, richtig zu urteilen.

Ich kann jetzt nur versichern, daß ich auf diesen Seiten versuche, mich auf (1) und (2a) zu beschränken. Das gelingt mir selbstverständlich ziemlich oft nicht; wenn sich in einem bestimmten Fall zeigen läßt, daß nichts als Gewohnheit dahinter steht, ist es mir nicht gelungen. Im Falle von (1) müßte man mir den Fehler nachweisen, das ist hier ja möglich, und ich käme dann nicht umhin, mein Urteil zu revidieren, denn ich bin gezwungen einzusehen, daß es falsch war. Im Falle von (2a) ist ein Nachweis nicht möglich, aber man kann, wie in der Kunstkritik üblich, durch Verweis auf allerlei Übersehenes versuchen, mir die Augen zu öffnen. Das irritiert mich dann vielleicht und es kann sein, daß sich mein Urteil ändert, aber das habe ich nicht in der Hand, und man kann mich nicht zwingen wie im Falle der Demonstration eines Fehlschlusses.
(Fortsetzung)

Ludwig Trepl hat gesagt…

(Fortsetzung)


„Mir war 'zweiteres' ebenfalls unbekannt, bis Sie es mir dankenswerterweise vorgestellt haben. Aber es macht Sinn; also habe ich es in meinen Wortschatz aufgenommen (im Ggs. zu "Blähwinseln" übrigens).“ Sie haben das eine aufgenommen und das andere nicht, weil es zu Ihrer Theorie paßt bzw. im zweiten Fall, weil Sie die Anglifizierung mögen. Sie urteilen nicht per Geschmack, d. h. Sie lassen ihn nicht einfach reagieren. Sie verhalten sich wie einer, der sagt: Dieses Schloß darf ich nicht schön finden, denn ich bin Antimonarchist und also muß ich Schlösser ablehnen.

Mit dem „zweiteres“ scheint es mir etwas anders zu sein als Sie meinen. „Wenn 'zweiteres' schon in Ihrer Jugend existiert hätte, 'letzteres' aber neu wäre, würden Sie letzteres scheußlich finden“. Gewiß, aber warum hat denn zweiteres in meiner Jugend nicht existiert? Weil es unmöglich war (nicht für sich allein, sondern im Gesamtzusammenhang der Sprache) und weil das jeder, der sich getraut hat, etwas öffentlich Zugängliches zu schreiben, gemerkt hat. Wenn es sich heute ausbreitet, dann unter Leuten, die auch sonst nicht deutsch können, das ist leicht zu sehen. Der Unterschied zu damals ist vielleicht nur, daß die heute keine Hemmungen mehr haben, sich öffentlich schriftlich zu äußern.
„Zweiteres“ konnte, noch mal: konnte damals nicht existieren, es ist kein Zufall, daß ich mich damals nicht daran gewöhnen konnte, das ist der Punkt. Es paßte aus irgendeinem mir nicht bekannten Grund nicht mit dem Rest der deutschen Sprache zusammen; jeder, für den die Sprache nicht nur aus einzelnen Wörtern besteht, sondern der sei es durch Denken, sei es gefühlsmäßig einen Einblick in die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten ihrer Aneinanderfügung hatte, hat das gemerkt. Unendlich viele Wörter, die es nicht gibt, sind durchaus möglich, es würde nicht stören, wenn es sie gäbe, oft würde man es sogar begrüßen, aber „zweiteres“ gehört nicht dazu. Sie schreiben: „Wenn die Verdammnis alles Neuen die allgemeingültige, 'richtige' Geisteshaltung in der Sprachgeschichte wäre, würden wir heute noch (bestenfalls) proto-indogermanisch sprechen.“ Sie konnten aber eben sehen, daß ich das Neue keineswegs verdamme, sondern nur das schlechte Neue (und wie soll man’s sonst machen?). Gegen die Neuerungen, die wir Goethe verdanken, hab’ ich überhaupt nichts, aber auch nicht gegen die, die man auf http://blogs.taz.de/wortistik/ findet und auch nicht gegen die meisten, die an Stammtischen, unter Jugendlichen oder in Dialekten tagtäglich erfunden werden (die aber meist schriftlich oder im Hochdeutschen nicht funktionieren). Doch was die Politiker, ihre Journalisten, die politisch korrekten Hobbypolitiker, die Manager und ihre Berater und die Werbefuzzis auskochen, ist fast durchwegs Mist, und der läßt sich durch keine Sprachwandeltheorie rechtfertigen.

Michael Allers hat gesagt…

Ich habe Ihre - nun ja - sehr ausführliche Argumentation überflogen, habe aber leider nicht die Zeit, Punkt für Punkt darauf einzugehen. Einige Denkanstöße werde ich für mich weiterverfolgen.

Nur zwei Richtigstellungen:
1. "Es kann sein, daß Ihnen etwas von großer Schönheit entgeht – ja, es ist sicher so (und daß Sie das ahnen, ist wohl auch der Grund, weshalb Sie vor dem Urteil „Murks“ zurückschrecken)."

Murks ist für mich das Gegenteil von 'handwerklich perfekt' oder zumindest 'gut gemacht'. Das kann ich als Musiker auch bei Musik beurteilen, die mir nicht gefällt. Mit Schönheit oder Geschmack hat das nichts zu tun.

2. "Sie haben das eine ['zweiteres', M.A.] aufgenommen und das andere ['Blähwinseln', M.A.] nicht, weil es zu Ihrer Theorie paßt bzw. im zweiten Fall, weil Sie die Anglifizierung mögen."

Ich lehne "Blähwinseln" deshalb ab, weil sich dessen Sinn dem Leser nicht erschließt - im Ggs. zu 'zweiteres'. Wenn Sie alle denglisch sprechenden Menschen, d.h. mind. 90% der Deutschen, für "Provinztrottel" halten, die "mit stolzgeblähter Brust ... winseln", ist das Ihre Sache. Aber ohne den Kontext Ihres Blogposts wird mit dem Wort niemand etwas anfangen können.

Michael Allers hat gesagt…

Abschließend zu diesem Thema (mein nächster Kommentar wird Ihnen mehr Freude bereiten!):

"Ich habe den Eindruck, daß in Ihrem wissenschaftlichen Arsenal Begriffe wie dämlich nicht vorkommen, ..."

Ich betrachte Sprache ja nicht wissenschaftlich, sondern nur ganz pragmatisch. Aber mit Verlaub: Ein "wissenschaftliches Arsenal", in welchem der Begriff 'dämlich' vorkommt, ist nicht wissenschaftlich!

"Gewiß, aber warum hat denn zweiteres in meiner Jugend nicht existiert? Weil es unmöglich war (nicht für sich allein, sondern im Gesamtzusammenhang der Sprache) und weil das jeder, der sich getraut hat, etwas öffentlich Zugängliches zu schreiben, gemerkt hat. ...
„Zweiteres“ konnte, noch mal: konnte damals nicht existieren, ..."


Schaun mer mal:
1. Allgemeine naturgeschichte für alle Stände, 1839"
OK, 'zweiteres' wird hier adjektivisch verwendet, und zwar lange vor Ihrer Jugend.

2. Churpfalzbaierisches Regierungsblatt, 1803"
Auch schon 'etwas älter', aber hier wird es genauso verwendet wie heutzutage: pronominal.

3. Vox: internationales zentralblatt für experimentelle phonetik, Band 26, 1916"
Immerhin 20. Jahrhundert, pronominale Verwendung wie heute.

Zugestanden, zwischen 1820 und 1980, in welchen Zeitraum höchstwahrscheinlich Ihre Jugend fällt, finden sich nur wenige
Treffer in Google Books. Es verhält sich ähnlich wie beim angeblichen Anglizismus "macht Sinn".

Aber ihre These, dass 'zweiteres' früher unmöglich war und nicht existieren konnte, ist hiermit widerlegt. Es war lediglich während Ihrer Sprachsozialisation eher ungebräuchlich (nicht: unbrauchbar).

Fazit: Behauptungen ersetzen keine Fakten und Geschmacksurteile keine Wissenschaft. Warum nur versteht ein Sprachnörgler (der Sie ja gerne sein möchten) das nicht?

(ACHTUNG! Bitte prüfen Sie vor der Veröffentlichung die Links! Es kann sein, dass diese wg. Zeilenumbrüchen nicht funktionieren. Bei diesbzgl. Fehlern poste ich gern eine Version mit Zitaten. Email: denglisch4ever@rayy.de)

Ludwig Trepl hat gesagt…

Einspruch.

Erstens: "Dämlich" kann in einem "wissenschaftlichen Arsenal" durchaus existieren, wenn man - wie ich - "Wissenschaft" in der deutschen Bedeutung nimmt, also nicht im Sinne von "science", so daß dann "humanities" etwas anderes sind als Wissenschaft; und wenn man Wissenschaft im alten Sinn nimmt, wo Philosophie die oberste Wissenschaft war. Aber ich hab das ja gar nicht so gemeint. Ich weiß ja, daß für Sie Wissenschaft science bedeutet, und meinte, eben deshalb kommt dämlich in Ihrem wissenschaftlichen Arsenal nicht vor.

Zweitens: Ich hab auch, und zwar vorher, bei Google Bücher nachgesehen und noch einiges mehr an "zweiteres" gefunden. Das widerlegt aber die Behauptung nicht, daß es das damals nicht geben konnte. Hätte man damals in Nervenheilanstalten herumgefragt, hätte man noch viel mehr gefunden, was es nicht geben konnte. "Konnte" hat in meinem Satz doch erkennbar eine andere Bedeutung als die, die sie vermuten. (Sind Sie vielleicht Naturwissenschaftler?)

Drittens: "Macht Sinn" ist doch ein Anglizismus. Ich weiß schon, man findet es bei irgendeinem Klassiker, Lessing oder Schiller. Aber es ist ja nicht von denen in den heutigen Gebrauch gekommen, der war vielmehr völlig vergessen, sondern durch eine wörtliche, eine Fehlübersetzung aus dem Englischen.



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