Montag, 29. August 2011

Was tragen Leistungsträger?

Die Soziologen belehren uns dahingehend, daß die Arbeitsgesellschaft der Vergangenheit angehört und wir jetzt in einer Gesellschaft leben, in der sich der Mensch nicht mehr „über Arbeit definiert“. Wir leben in einer Risikogesellschaft, einer Konsumgesellschaft, einer Erlebnisgesellschaft und vor allem in einer Freizeit- und Spaßgesellschaft. Nicht mehr ob einer Bäcker ist, Wasserwirtschaftsamtsleiter oder Bildungsminister macht den Unterschied, sondern ob einer ein lustiges Leben zu führen versteht oder nicht. Versteht er’s, dann wird er von den Soziologen der Lebensstilgruppe der Hedonisten eingereiht, aber seltsamerweise nur dann, wenn er der Unterschicht und der unteren Mittelschicht angehört.[1]
Ich frag’ ich mich aber: wenn es das ist, worauf es heutzutage ankommt, woher dann die von kaum etwas zu überbietende Konjunktur des Wortes Leistung kommt. Leistung hat doch, das weiß man aus dem Physikunterricht, etwas mit Arbeit zu tun.
Konjunktur des Wortes Leistung: Kein Fußballer sagt mehr im Interview: Wenn wir besser spielen, haben wir noch eine Chance, sondern „wenn wir unsere Leistung bringen“. Zu den wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben gehört die „Optimierung“ der „Leistungsentwicklungsmilieus“. Es gibt „Hochleistungsrinder“ und überall muß es „leistungsgerecht“ zugehen, und sogar das schöne Wort Underachiever[2] kann man nicht hinschreiben, ohne es mit Leistungsverweigerer zu übersetzen.
Vor allem aber gibt es Leistungsträger. Das sieht mir zwar ein wenig nach einem weißen Schimmel aus. Denn da leistet einer etwas: Er trägt. Und was trägt, also leistet er? Leistung. Aber wie auch immer, dieses Wort beherrscht die politischen Schlachten und die Leistungsträger sind die, die in der Freizeit- und Spaßgesellschaft ganz oben sitzen, wodurch sich diese Gesellschaft von allen früheren sehr zu ihrem Vorteil abhebt, denn solange die Welt besteht, saßen immer ganz andere oben: "Das ist das Schrecknis in der Welt, schlimmer als der Tod, daß die Kanaille Herr ist und Herr bleibt."[3]
Vielleicht erklärt sich der zunächst geradezu paradox anmutende Befund der friedlichen Koexistenz von Spaßgesellschaft und Leistungsträgern so: Leistungsträger sind ja nicht jene, die in dem Sinne viel leisten, daß sie sich unmäßig anstrengen müssen, z. B. Stahlkocher und Holzfäller, und auch nicht in dem Sinne, daß das Ergebnis der Tätigkeit ein außerordentliches ist; also z. B. solche, die sich ausdenken, wie man eine die Menschheit plagende Krankheit besiegen kann oder eine Waffe herstellen, deren Overkill-Kapazität alles bisher Dagewesene um ein Mehrfaches übertrifft. Nein, nein, das sind keine Leistungsträger, denn dann würden sie ja – Leistung lohnt sich bekanntlich wieder – mehr und nicht nur einen Bruchteil dessen verdienen, was jene, die mittels der Leistungen dieser Denker und Ausdenker Geschäfte machen, zwar nicht verdienen, aber doch einsacken. Leistungsträger sind vielmehr solche, die es verstehen, möglichst viel von dem, was andere durch ihre Leistung erwirtschaftet haben, auf das eigene Konto zu lenken. Das kann man auch dann hinbekommen, wenn man immer nur ein lustiges Leben führt und, wie es so schön heißt, sein Geld für sich arbeiten läßt. Und so gesehen erscheint es keineswegs mehr verwunderlich, daß ausgerechnet die Freizeit- und Spaßgesellschaft die Gesellschaft der Leistungsträger ist.
Schwer erklärlich ist hingegen, daß das Wörtlein Leistung in der Welt der Musik eine derart steile Karriere gemacht hat. In BR Klassik sagte eben (14.6.10, 7.45 Uhr) ein Experte, bei Geigen komme es darauf an, daß sie „leistungsfähige Töne“ hervorbringen.




[1] Raithel, Jürgen 2005: Erziehungserfahrungen und Lebensstile Jugendlicher. Zeitschrift für Pädagogik, 51, 568-581.
[3] Wilhem Raabe, in Der Schüderump.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

http://de.spongepedia.org/index.php/Pokal_f%C3%BCr_%C3%BCberragende_Leistungen_im_Leistungsleisten

Stephanus hat gesagt…

Ein bisschen was im Zusammenhang, sozusagen Kontext, zitiert:

(...) aber der Chevalier schüttelte betrübt den Kopf:

»Das könnte Fräulein Adelaide auch sagen; aber es ist gleichgültig; wir vermögen alle nichts gegen die Macht, welche uns in [609] der Höhe und in der Tiefe entgegensteht. Knabe, es ist das ganze Schrecknis der Welt, das mir mit einem Male klargeworden ist, und – es ist auch gleichgültig, zu wem ich davon rede. Das ist das Schrecknis in der Welt, schlimmer als der Tod, daß die Kanaille Herr ist und Herr bleibt. Ach, schlafe nur, mein Sohn; ich will nun auch zu Bett gehen, mich friert entsetzlich.«