Samstag, 4. Juni 2011

Schöpfungslehre

Die taz enthält heute (4.6.2011) einige Sonderseiten zum evangelischen Kirchentag. In  einem der Artikel wendet sich ein Herr Feddersen gegen die gesetzlich verordnete Ruhe an Feiertagen mit einer flammenden Polemik für den Konsumterror, wie man sie seit den Tagen, als die Studentenbewegung diesem Wort allgemeine Bekanntheit verschafft hat, nicht mehr lesen konnte, und das ist über vierzig Jahre her. Wir wollen uns aber nicht mit solchen Kleinigkeiten befassen, sondern mit Größerem. In dem Artikel steht der Satz: "Der siebte unter den geschöpften Tagen verdiene" - so die Meinung der Karlsruher Richter - "Ruhe und Besinnlichkeit." Unsere Frage lautet: Hat Gott den siebenten Tag wirklich geschöpft?
Im Internet eifert ein Fundamentalist gegen die katholische Kirche: „Die KATHOLISCHE Einheitsbibel zeigt den Gotteshass der Autoren auf [!] ... (Sie unterstellen GOTT der [!] Lüge, dass er mit der Sechstageschöpfung  nicht sechs Tage gemeint hat, sondern 14 Milliarden Jahre. Und sie  unterstellen, dass GOTT nicht selbst geschöpft hat, sondern dass alles sich per Evolutionsideologie von alleine geschaffen hat.)“[1]
Daß er „Gott“ und „katholische“ auf die gleiche Weise hervorhebt, läßt darauf schließen, daß er sich von diesem getarnten Atheistenverein doch noch nicht ganz gelöst hat. Aber das nur am Rande.
Unter Neosophen – was das für Leute sind, weiß ich leider nicht – sieht man die Sache differenzierter und gibt sich gemäßigt: „Wir maßen uns an, einen Schöpfer zu postulieren, aber wir können nicht mal ansatzweise ahnen, was er da geschöpft hat.“[2]
Wiederum sehr entschieden und eifernd zeigt sich ein unbekannter Kommentator im Tagesspiegel, jetzt aber nach der anderen Richtung: „Wann soll das denn passiert sein, und wer könnte es sein, der Gott geschöpft haben könnte? Haben Sie da genauere Zeitangaben? Es gibt keine Schöpfung, es gibt Evolution ...“[3]
Nun werden Sie mir sicher zustimmen: Zumindest die beiden ersten haben Unrecht. Denn auch wenn Gott der Schöpfer die Welt erschaffen haben sollte, so hat er sie doch auf keinen Fall geschöpft. Richtig verwendet wird dieses Wort z. B. in dem Buch „Schmuckpapier selbst geschöpft“ von Angela Ramsay. Darin erfährt man, daß zum Schöpfen ein Gefäß erforderlich ist und eine Flüssigkeit, die oder aus der man schöpfen kann. Es steckt ein Widerspruch in der Behauptung, dem Schöpfer habe beides schon bei der Schöpfung, die bekanntlich eine Schöpfung aus dem Nichts war, zur Verfügung gestanden. Sowohl Gefäß als auch Flüssigkeit mußten erst einmal erschaffen worden sein, bevor der Schöpfer sich unter Benutzung beider ans Schöpfen machen konnte.
Auf eine andere Spur bringt uns das Magazin Focus, indem es titelt: „Leben – Aus der Ursuppe geschöpft“.[4] Denn das kann man sich schon vorstellen, daß Gott vor einer Schüssel Ursuppe sitzt und mit einer Kelle das Leben herausschöpft. Von da aus könnte man in zwei Richtungen argumentieren: Erstens, dieses Schöpfen hat nichts mit der Schöpfung selbst zu tun. Suppe und Kelle mußten im Zuge der Schöpfung erst einmal erschaffen worden sein, bevor das Herausschöpfen losgehen und dann die Evolution des Lebens ihren Lauf nehmen konnte. Darum muß auch unser unbekannter Tagesspiegel-Leser nicht richtig liegen mit seiner Behauptung „Es gibt keine Schöpfung, es gibt Evolution“. Vielmehr wäre es so: erst jene, dann diese; erst schuf er, dann schöpfte er, und dann kam die Evolution. Zweitens: Die Schöpfung ist als ein langer Prozeß, ja als ein prozeßhaftes Geschehen (siehe Prozeßhansel) anzusehen, das sowohl die creatio ex nihilo, welcher Ursuppe und Kelle entstammen, als auch das Herauslöffeln des Lebens aus jener einschließt. Auch in diesem Fall könnte man dem Tagesspiegel-Leser nicht recht geben. Dem taz-Autor sowieso nicht.

2 Kommentare:

willi wamser hat gesagt…

Nun ja, packen oder fassen wir die Gelegenheit beim Schopfe. Poet Immermann thematisiert (sic) das Problema in seinem Münchhausenroman. Im 19. Jahrhundert. Am Rand. Aber immerhin nicht nur marginal:

„…. jetzt indes hat das sprachbewusztsein den eigentlichen sinn meist vergessen und faszt daher schöpfen in dieser verbindung als 'haurire' auf, sodasz recht schöpfen 'das recht woher entnehmen, holen' bedeutet und nun nicht mehr von dem gesetzgeber und rechtsprecher, sondern von dem rechtheischenden gesagt wird.“
(Immermann: Münchhausen; Kapitel 4, 134, zitierender Beleg für die Semantik von „schöpfen“ im Grimmschen Wörterbuch zum Lemma "schöpfen", siehe die entsprechende on-line-Verknüpfung)

Was entnehmen wir daraus, schöpfen wir Antworten? Und wenn ja: Wie plausibel ist Trepls Kritik am Theologen-Sermon?
1. Bestandsaufnahme:
a) Eine Wendung wie "Gott schöpfte den Menschen" wirkt in jetzigem Standarddeutsch "komisch". Das heißt u.a. (unter anderem, und nicht unter anderen) "normabweichend" und erheiternd.
b) Die komische Wirkung beruht auf der Verfehlung des im Moment gängigen Lexem-Konzepts (sic): "Schöpfen" setzt nämlich als Formel voraus "aus etwas ein meist (ganz) anderes gewinnen". Das gilt etwa auch für verkürzte Formulierungen wie "Atem schöpfen". Das Atemvermögen, samt seinem Apparat, wird hier ja als gegeben vorausgesetzt.
c) Komisch wirkt es dann also, wenn eine "creatio ex nihilo" mit dem Verb "schöpfen" abgebildet wird.
2. Kritische Würdigung:
a) "schaffen" (creare) und "schöpfen" (haurire) besitzen semantisch (nicht nur etymologisch) eine nichtleere Schnittmenge: Man kann aus etwas Vorhandenem etwas Neues schaffen. Und man kann aus etwas Vorhandenem "schöpfen".
b) Antiquierte Ausdrücke wie "Recht schöpfen" gemahnen uns an die Geschichtlichkeit alles Bestehenden, so mag monomanes "schöpfen"/"haurire" einmal, vielleicht sogar bald, - seinen Standardstatus verlieren.
c) Selbst wenn man den zweiten Teil von b) für kein gewichtiges Argument hält und das "Hic et nunc" propagiert: Warum sollten Theologen nicht auf einen älteren Sprachgebrauch zurückgreifen? Wird man sie denn missverstehen? Und wenn ja, welche Klientel mag das wohl sein? Und ist dieser Sprachgebrauch dann „falsch“?
d) Ist es denn nicht so, dass sogar der "Schöpfer" und das "Schöpfen" im theologischen Frame auf etwas zurückgreift? Nämlich auf sich und seinen Geist? Und das Materie werden lässt, was er seit Ewigkeit gedacht hat?

So ist denn eine "creatio continua sempiterna ex spiritu divino hauriens" zwar recht erschöpfend zu lesen, aber eben doch nicht des modernistischen Sprachteufels Falschheit geschuldet.
Oder doch?

Ludwig Trepl hat gesagt…

Ja, so mag sich das erklären (und rechtfertigen), wenn ein Theologe „Gott schöpfte“ sagt und „Gott schuf“ meint. Mir ist aber noch kein Theologe begegnet, der so redet. So sprechen immer nur Leute, bei denen man wohl keine andere Erklärung braucht als die, daß sie den heutigen „standardsprachlichen“ Unterschied nicht kennen, und der ist nun einmal so: „Er schuf“ – er, z. B. der Erschaffer der Welt, der auch der Schöpfer der Welt heißt, die Welt, oder der Künstler das Kunstwerk; „er schöpfte“ – Wasser oder Atem.

Da waltet eben doch der Sprachteufel, denn der Sprecher sagt in der Sprache, die er sprechen möchte, etwas anderes als das, was er sagen möchte. Die Sprache ist in diesem Fall gnadenlos, da gibt es keine Mehrdeutigkeit, und auch Ausflüchte der Art, daß man, oder sein spezielles Publikum, den gemeinten Sinn doch aus dem Kontext versteht usw., sind hier nicht möglich. Deshalb, vielleicht noch aus anderen Gründen, wirkt es komisch.

Wenn aber ein Theologe in Kenntnis der sprachlichen Veränderungen sich einer in heutiger Sprache nicht mehr möglichen Bedeutung von „schöpfen“ bedienen sollte, wäre das kein Fehler. Es wirkt auch nicht prinzipiell komisch; so wie es ja auch kein Fehler ist, wenn der Evangelist nicht nur zu Bachs Zeiten, sondern heute immer noch singt „und satzte sich bei die Knechte“.