Sonntag, 5. Juni 2011

Der Stellvertreter als Modell


„Papst Benedikt XVI. hat sich beim Besuch der evangelischen Kirche Roms als Glaubensmodell auch für Lutheraner präsentiert. Das betonte der Pfarrer der römischen Christus-Kirche, Jens-Martin Kruse, in einem Beitrag für die Vatikanzeitung „L´Osservatore Romano“ vom Samstag.“[1]
Der lutherische Pfarrer von Rom scheint mir ein innerlich tief und mehrfach gespaltener Mensch zu sein. Einerseits verehrt er den Herrn Ratzinger und möchte am liebsten katholisch werden, andererseits wagt er es nicht, sich aus seinem vertrauten Milieu zu lösen. Darum läßt er sich an die lutherische Kirche von Rom versetzen, um seinem großen Vorbild bei Aufrechterhaltung der theologischen Differenz möglichst nahe zu sein. Einerseits fasziniert ihn die antike Welt der Priesterornate und die mittelalterliche Sprache ihrer Träger, andererseits ist ihm der aus dem Detritus der modernen Wissenschaftssprachen zusammengerührte Jargon doch zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen. Und so wird aus dem Vorbild ein Modell.

1 Kommentar:

willi wamser hat gesagt…

Nun ja, packen oder fassen wir die Gelegenheit beim Schopfe. Poet Immermann thematisiert (sic) das Problema in seinem Münchhausenroman. Am Rand. Aber immerhin nicht nur marginal:

Immermann Münchhausen 4, 134.: jetzt indes hat das sprachbewusztsein den eigentlichen sinn meist vergessen und faszt daher schöpfen in dieser verbindung als 'haurire' auf, sodasz recht schöpfen 'das recht woher entnehmen, holen' bedeutet und nun nicht mehr von dem gesetzgeber und rechtsprecher, sondern von dem rechtheischenden gesagt wird.
(Zitiert aus dem Grimmschen Wörterbuch zum Verb "schöpfen")

Was entnehmen wir daraus? Wie plausibel ist Trepls Kritik am Theologen-Sermon?

1. Bestandsaufnahme:

a) Eine Wendung wie "Gott schöpfte den Menschen" wirkt in jetzigem Standarddeutsch "komisch". Das heißt u.a. (unter anderem, und nicht unter anderen) "normabweichend" und erheiternd.

b) Die komische Wirkung beruht auf der Verfehlung eines im Moment gängigen Lexem-Konzept (sic): "Schöpfen" setzt nämlich eine Formel voraus wie "aus etwas ein meist anderes gewinnen". Das gilt etwa auch für verkürzte Formulierungen wie "Atem schöpfen". Das Atemvermögen wird hier ja als gegeben vorausgesetzt.

c) Komisch wirkt es dann also, wenn eine "creatio ex nihilo" mit dem Verb "schöpfen" abgebildet wird.

2. Kritische Würdigung:

a) "schaffen" (creare) und "schöpfen" (haurire) besitzen semantisch (nicht nur etymologisch) eine nichtleere Schnittmenge: Man kann aus etwas Vorhandenem etwas Neues schaffen. Und man kann aus etwas Vorhandenem "schöpfen".

b) Antiquierte Ausdrücke wie "Recht schöpfen" gemahnen uns an die Geschichtlichkeit alles Bestehenden, so mag monomanes "schöpfen"/"haurire" einmal, vielleicht sogar bald, - seinen Standardstatus verlieren.

c) Selbst wenn man den zweiten Teil von b) für kein gewichtiges Argument hält und das "Hic et nunc" propagiert: Warum sollten Theologen nicht auf einen älteren Sprachgebrauch zurückgreifen? Wird man sie denn missverstehen? Und wenn ja, welche Klientel mag das wohl sein?

d) Ist es denn nicht so, dass sogar der "Schöpfer" und das "Schöpfen" im theologischen Frame "O Gott" auf etwas zurückgreift? Nämlich auf sich und seinen Geist? Und das Materie werden lässt, was er seit Ewigkeit gedacht hat?

So ist denn eine "creatio continua sempiterna ex spiritu divino hauriens" zwar erschöpfend zu lesen, aber eben doch nicht des Sprachteufels Falschheit geschuldet.
Oder doch?