Donnerstag, 23. Juni 2011

Polen und Hexen

Ich hab’ nichts gegen die Aufnahme fremdsprachiger Wörter ins Deutsche, wirklich gar nichts. Wo wären wir heute ohne Fenster und Krokodil, ohne Joghurt und Sauna, Wörter, die aus dem Lateinischen, Griechischen, Türkischen und Finnischen stammen? Wir wüßten ja gar nicht, wie wir zu diesen Dingen sagen sollen. Aber eine Bitte hätte ich doch: Es sollte etwas langsamer gehen, nur so schnell, daß ich mit dem Sprachwandel mitkomme. Das erste Auftreten eines Neuworts müßte ein solches Ereignis sein, daß alle darüber reden und es monatelang keiner benutzt, ohne eine Erklärung beizufügen. Aber so ist es leider nicht.
„Qualifying: Vettel auf der Pole“. Das steht auf der GMX-Eingangsseite.[1]
Bei Qualifying kann ich mir etwas denken: Es wird wohl Qualifizierung heißen oder etwas ähnliches. Aber Vettel auf der Pole? Ist das „auf“ aus Versehen hineingerutscht? Also Vettel der Pole? Nicht abwegig. Ich weiß zufällig, obwohl ich für diese Sportart nicht das geringste Interesse verspüre, daß Vettel ein Autorennfahrer ist; unsere Sporttitanen (Dittsche) sind ja oft polnischer Herkunft. Oder ist’s ein anderer Tippfehler: Vettel auf der Polin? Aber er muß nicht gemeint sein. Vielleicht ist ja nicht nur Qualifying, sondern auch Pole ein englisches Wort. Es bedeutet Pfahl oder Stange, und wenn nun Vettel nicht der Vettel, sondern die Vettel – nach Wikipedia  eine „unzüchtige Frau mit hexenhaftem Aussehen“ – ist und man schließlich bedenkt, daß Hexe nach manchen Autoren von hagazussa kommt, das ist „die, die auf dem Zaun sitzt“,  dann hätten wir eine weitere Deutungsmöglichkeit. Also, bittschön: langsamer, und immer schön erklären, ich komme sonst ganz durcheinander.



[1] 12. Juni 2011

3 Kommentare:

Michael Allers hat gesagt…

Gelungene Satire über drei Säulen der Sprachnörgler-'Argumentation':

1. Man tut so, als ob man etwas nicht versteht, um sodann abenteuerliche Vermutungen anzustellen, wie es wohl zu verstehen sei.

2. Verstehen kann man nur Anglizismen, die seit mindestens 30 Jahren im Deutschen verankert sind. (Demnächst auf RTL: "Gute Anglizismen, schlechte Anglismen".) An neumodisches Wortgetue wie die Pole (Position), die ja erst seit der frühen Schaffensphase eines Schumi vor knapp 20 Jahren in aller Munde ist, kann man sich so schnell nicht gewöhnen. Dabei liefe womöglich der Mental-Rollator heiß.

3. Eine sprachökonomische - hier: schlagzeilengerechte - Verkürzung von Begriffen ist nur bei 'urdeutschen' Wörter erlaubt. Wer ein neues Auto kauft, bekommt natürlich kein neues Selbst, sondern ein Automobil, und braucht zum Anmelden den Perso. Pole jedoch ist pure Sprachhunzerei.

Ludwig Trepl hat gesagt…

„Man tut so, als ob man etwas nicht versteht“: Das darf man schon. Der Lehrer sagt zum Schüler: Was heißt das? Formuliere gefälligst so, daß man’s versteht“, auch wenn er ahnt oder sogar weiß, was der meint.
Ich aber versteh’s wirklich nicht. Meine Kenntnisse des Autorrennsports lassen sich – ich glaube restlos – in diesem Satz zusammenfassen: Es gibt zwei Brüder namens Michael und Ralf Schumacher, von denen der eine Schumi genannt wird und ein Titan ist, außerdem gibt es noch einen namens Vettel und etwas, was Formel 1 heißt, keine Ahnung, was das ist. Was Pole (Position) bedeutet, weiß ich nicht einmal ungefähr. Natürlich weiß ich, daß meine Interpretationen nicht zutreffen, aber besonders abenteuerlich sind sie nicht; mir sind keine anderen, weniger abenteuerlichen, eingefallen, sonst hätte ich die genommen, hätte sich ja besser gemacht. Also: Nichts gegen Wörter fremder Herkunft. Mein einziges Motiv war, einen Beitrag zur Entschleunigung zu leisten, die Raserei zu stoppen (schon wieder ein Anglizismus, Sie sehen, ich hab nichts gegen sie – oder sind sie damit nicht zufrieden, weil es ein allzu alter ist?).
Aber gehe ich recht in der Annahme, daß Sie mir sagen wollen: Es spricht doch nichts dagegen, neue Wörter zu erfinden, nach einiger Zeit versteht sie jeder, also wo ist das Problem? An sich spricht nichts dagegen, im Gegenteil, es ist doch sehr zu beklagen, daß es anders als zu Goethes Zeiten keine Dichter mehr gibt, die das tun. Aber es gibt Berufsgruppen, denen sollte die Beteiligung an diesem Geschäft strikt untersagt werden, und dazu gehören in allererster Linie die Sportreporter. Und natürlich die Politiker. Man sollte ihnen bei Strafe des Verlusts sämtlicher Ämter verbieten, ein Wort zu benutzen, das es vor 30 Jahren noch nicht gab, und sie haben es genau so zu verwenden, wie es damals verwendet wurde. Also im Falle eines FDP-Politikers: „Unsere Partei ist geliefert“ darf er sagen, doch bei „wir haben nicht geliefert“ ist es aus mit ihm.
„Verstehen kann man nur Anglizismen, die seit mindestens 30 Jahren im Deutschen verankert sind.“ Verstehen kann man heutzutage, wenn man nicht über 70 ist, auch neuere, weil man in der Schule Englisch lernen mußte. Als man aber bei der Bahn „Ifo-Point“ und „Counter“ einführte, war’s eine Frechheit, weil 1/3 der Bevölkerung nie Englischunterricht hatte. Aber das ist’s nicht, was mich gegen die alten Anglizismen so milde stimmt, vielmehr: Man kann mit ihnen der Welt nicht mehr zeigen, was man doch für ein cooler Typ ist, weil alle so reden. Die alten Anglizismen riechen einfach nicht mehr so penetrant.

n.e. hat gesagt…

Ich denke, dass es sich bei Anglizismen aus dem Sportbereich um durchaus sinnvolle Übernahme handelt. Die Pole Position heißt im Deutschen nun mal genau so, weil es kein deutsches Äquivalent dazu gibt. Stattdessen die Formulierung "Vettel auf dem ersten Platz der ersten Startreihe" zu benutzen würde wohl den Rahmen einer Kurzmeldungsschlagzeile sprengen.

Worauf ich hinaus will: Es handelt sich hier um einen Fachterminus, der, genauso wie z.B. der Eckstoß beim Fußball, für Nichteingeweihte absolut keinen Sinn ergibt. Diese (die Termini) findet man jedoch in allen möglichen Lebenslagen, allen voran in jeglichen Wissenschaften und benötigen zu deren Verständnis einer Definition, die Interessierte jederzeit nachschlagen können.