Sonntag, 16. Oktober 2011

Ein Leser schreibt mir

„Sehr geehrter Herr 


Sie mögen ja mit allem Recht tun, allein Ihre Philisterhaftigkeit regt auf.
Sie haben,meines Dafürhaltens, jedoch die Mittelmäßigkeit auch nicht überwunden.Sie kommen in den Geruch eines Prototyps des deutschen Professors.Ihre Selbstüberhebung über die Zeiten, die Veröffentlichung ihrer Abschiedsrede, als auch die Vorab- Maßregelungen Ihrer Studenten, durch Ihre nichtendenwollenden Rechtsschreib- Traktate, war ein Fehler. Sie sind unglaubwürdig: Weil Sie einzig in der Lage sind zu schimpfen.
Sie können einem leid tun schon deshalb, weil Sie über Maßregelungen anderer nicht hinauskommen. Im Grunde haben Sie, außer dem Umstand das Sie natürlich Recht haben, nichts anzubieten, denn an Ihnen wird ja der klügste Denker ohnmächtig.Aber trösten Sie sich: An Ihrem Wesen wird die Welt genesen!


Mit aufrichtigem Beileid 
U. Taake“

Sehr geehrte(r) U. Taake,
eine Frage vorweg: Habe Sie bei mir studiert? Ich vermute das, weil Sie ja wissen, daß ich die Studenten vorweg maßregele. Oder meinen Sie, daß meine nichtendenwollenden Rechtsschreib-Traktate Vorab-Maßregelungen der Studenten sind? Daß ich also damit speziell auf Studenten ziele, vielleicht weil ich weiß, daß sie eben diese Fehler machen werden, und da stauche ich sie präventiv zusammen, damit ich nachher nicht so viel korrigieren muß? So habe ich das bisher gar nicht gesehen. Wäre aber eine interessante Idee.
Sie meinen, die Veröffentlichung meiner Abschiedsvorlesung zeige meinen schlechten Charakter. Wenn, dann ist nicht nur meiner schlecht. Das Publizieren ist nämlich, in der einen oder anderen Form, in der Wissenschaft üblich. Man pflegt hier das, was man sich ausgedacht hat, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Sie glauben, ich sei ein Pedant, ein „Philister“. Stellen Sie sich bitte folgendes vor: Ein halbwegs musikalischer Mensch sitzt im Konzert und hält es kaum aus, weil jeder dritte Ton falsch ist, die Geigen quietschen und ein Liebeslied so dröhnend vorgetragen wird, als wäre es ein Militärmarsch. Ein unmusikalischer sagt zu ihm: Ich höre keinen Mißton, und das Lied hat, als ich klein war, meine Großmutter immer gesungen, ich bin ganz weg vor Rührung; so ein schönes Konzert, und Sie Pedant kritteln daran herum!
Ich schimpfe unaufhörlich, schreiben Sie. Das ist ganz falsch, ich schimpfe überhaupt nicht. Ich mache mich lustig, ich spotte, und das können Sie für verwerflich halten – schon in der Bibel steht ja, daß man nicht bei den Spöttern sitzen soll –, aber mit Schimpfen hat es nichts zu tun. Sie schimpfen übrigens auch nicht. Was Sie schreiben, ist der Ausbruch eines Ertappten, der sich nicht zu helfen weiß. Schimpfen ist etwas völlig anderes – z. B. das, was die Mutter tut, wenn die Kinder sich die Kleider schmutzig gemacht haben; jedenfalls meist, denn manchmal tobt sie, und das ist auch etwas anderes als schimpfen.
Eine Gemeinsamkeit haben wir allerdings doch. Sie stellen voller Empörung fest, daß ich meine, Recht zu haben. In der Tat, ich halte meine Meinung für richtig. Sie aber auch. Das bringt Sie jedoch mit mir nicht näher zusammen als mit irgendeinem anderen, denn wir beide haben es mit allen Menschen gemeinsam. Jeder, ohne jede Ausnahme, hält die eigene Meinung für richtig. Hielte er eine andere für richtig als die seine, wäre ja diese und nicht seine seine Meinung.
Sie behaupten schließlich, ich hielte mich für den Allergrößten, sei in Wirklichkeit aber nur Mittelmaß. Da irren Sie sich sehr. Die Entfernung zwischen mir und den Großen – von den Allergrößten ganz zu schweigen – halte ich für um Einiges beträchtlicher als die zwischen mir und den Kleinen, auch den Allerkleinsten. Ich halte mich also wenn's hoch kommt für unteres Mittelmaß. Aber für das, was ich in diesem Blog mache, reicht es. Dazu braucht man keine besonderen Fähigkeiten. Nur halbwegs, wirklich nur halbwegs deutsch muß man können, und ein wenig Aufmerksamkeit ist nötig, und man muß sich darum bemühen zu verstehen, was in einem selber vorgeht, wenn man ins Deppendeutsche verfällt.

Dieses aber scheint mir nicht zuletzt davon zu kommen: daß man zwischen sich und den Großen keinen Abstand mehr wahrhaben will, daß man nicht mehr nach oben schaut, dahin, wo man etwas lernen könnte, sondern sich umblickt, ob denn möglichst viele im eigenen Milieu so reden wie man glaubt, reden zu dürfen; sind es viele, dann, so meint man, wird man's wohl dürfen. Die Konjunktur des Deppendeutschen kommt aber umgekehrt auch davon, daß diejenigen, die den jeweils neuesten sprachlichen Schwachsinn einführen, sehr wohl nach oben sehen, nämlich dahin, wo nach Meinung dieser gedrückten Seelen oben ist. Das ist heutzutage vor allem die große Welt, in der man Englisch spricht. Und es ist die Welt der Großen.  Das ist heute die der Managerkaste, wo man Wörter sagt wie markenrelevante Wirklichkeiten und Alleinstellungsmerkmal, und die der „Promis“, also die Welt, in der alles ein Funspaß (das gibt’s wirklich, nämlich im Pinzgau[2]) ist und es an Widrigkeiten allenfalls mal einen Beautykrieg gibt, weil man die Hauptübel des Lebens, denen gewöhnliche Menschen nicht ausweichen können, in den Griff bekommen hat, z. B. mit Anti-Aging.


Mit freundlichen Grüßen
Ludwig Trepl


[2] siehe http://www.fischerhof-pinzgau.at/homepage/index-hofInfo.htm


1 Kommentar:

gschleiderkneis hat gesagt…

Ein halbwegs musikalischer Mensch sitzt im Konzert und hält es kaum aus, weil jeder dritte Ton falsch ist, die Geigen quietschen und ein Liebeslied so dröhnend vorgetragen wird, als wäre es ein Militärmarsch. Ein unmusikalischer sagt zu ihm: Ich höre keinen Mißton, und das Lied hat, als ich klein war, meine Großmutter immer gesungen, ich bin ganz weg vor Rührung; so ein schönes Konzert, und Sie Pedant kritteln daran herum!

Diese Analogie hat mir gut gefallen, aber ich würde noch weiter gehen: Der Unmusikalische behauptet selbst, sich sehr für Musik zu interessieren, ja sogar Musikexperte zu sein. Er analysiere eben einzelne Töne und Tonfolgen und die Gesetzmäßigkeiten, nach denen diese auftreten. Streng wissenschaftlich. Und es sei eben laienhaft-naiver Unsinn zu behaupten, die Töne seien schief. Musik entwickle sich eben weiter und wenn das Orchester ein bestimmtes Stück uminterpretiert habe, dann sei das doch nur ein Zeichen dafür, dass alles in Ordnung sei in der deutschen Musiklandschaft. "Falsch" und "richtig" gebe es nämlich nicht bei Musik, die Musik gehöre dem Volk und das allein bestimme .... (naja, und immer so weiter).