Mittwoch, 14. September 2011

Investigativer Journalismus


In Henscheids Dummdeutsch-Lexikon von 1993 ist der investigative Journalismus nicht enthalten. Zweifellos hätte er in einer Neuauflage – E. Henscheid, bekanntlich der größte lebende deutsche Schriftsteller, wird heute 70, es wird also Zeit, daß er sich dranmacht – einen Ehrenplatz.
„Investigativer Journalismus (von lat.: ‚investigare’; zu dt.: ‚aufspüren, genauestens untersuchen’) bezeichnet eine Form des Journalismus.“ (Wikipedia). Potztausend, das hätte man nicht erwartet. Dann geht’s weiter: „Gegenstand dieser aufwändigen und hohe Ansprüche an das Können und Durchhaltevermögen stellenden Form der Berichterstattung sind meist skandalöse Vorfälle oder demokratiegefährdendes Fehlverhalten leitender Personen aus Politik und Wirtschaft.“ „Zu den frühen Vorläufern eines investigativen Journalismus in Deutschland kann man Maximilian Harden rechnen, der im Kaiserreich im Jahr 1906 die so genannte Harden-Eulenburg-Affäre aufdeckte.“ Um demokratiegefährdendes Verhalten ging es da weniger, sondern darum, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, daß der Politiker Eulenburg homosexuell ist. Das macht den zunächst merkwürdig anmutenden Sachverhalt verständlich, daß im Namen der Affäre auch deren Aufdecker auftaucht: Der eigentliche Skandal war die Aufdeckung.
Wegen der Sache, die der Urvater aller Investigatoren da aufgespürt hat, mag man Wikipedia die Behauptung nicht so recht glauben, daß investigativer Journalismus und Boulevardjournalismus ganz verschiedene Dinge seien. Wallraff soll auch ein investigativer Journalist sein. Der hat das bis vor kurzem gar nicht gewußt und auch sonst keiner. Doch hat das nicht gestört, seine Tätigkeit ließ sich auch ohne dieses Wort beschreiben. Es ist also nicht nur häßlich, sondern auch unnötig. Woher es wohl kommt, daß es sich nun so ausbreitet? Wahrscheinlich von den investigativen Journalisten selber. Sie arbeiten in ihrer Mehrheit für Organe, zu denen man früher Klatsch-, Tratsch- oder Hetzpresse, in feineren Kreisen Sensationspresse gesagt hat, d. h. für das, was man heute Yellow Press nennt, und man erkennt diese Art von Journalisten oft daran, daß sie von sog. Paparazzi begleitet werden. Nun versuchen sie, weil’s sonst keiner tun will und sich sowieso niemand mit ihnen abgeben mag, sich selbst zu adeln, indem sie sich einen in ihren Ohren wohlklingenden Namen geben.

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