„Das Jury-Mitglied und der Leiter der Dudenredaktion, Matthias Wermke, äußerte, dass trotz dieser Importwörter ‚sich das Deutsche in 50 Jahren [nicht] von der heute gesprochenen Sprache deutlich unterscheiden wird.’ Das Klagen über den Verfall der deutschen Sprache sei so alt wie die deutsche Sprache selbst.“ (Wikipedia, Stichwort „Wort des Jahres“)
War es nun das Jurymitglied oder Matthias Wermke? Wären es beide gewesen, müßte es ja „äußerten“ heißen. Nehmen wir an, der Herr Redaktionsleiter war's. Wie er wohl darauf kommt? Ich glaube nicht, daß ich vor 50 Jahren einen Satz wie „Eye Catcher für Hamburg: Wir verteilen Flyer, Folder und Plakate in relevanten Kultur- und Szeneoutlets“[1] hätte verstehen können, wo ich ihn doch jetzt kaum verstehe. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich oder irgendein anderer zu jener Zeit einen der Synchrofilm-Sprache entnommenen Satz wie „Ich hasse schlechten Sex“ verstanden hätte, den viele Heutige ja für importfreies Deutsch halten würden, während in Wirklichkeit außer dem „Ich“ nichts dafür gelten kann. Und die Einführungsgeschwindigkeit der Importwörter hat nicht ab-, sondern erheblich zugenommen; wenn das noch 50 Jahre im jetzigen Tempo, ohne Beschleunigung, weiterginge, dürfte die deutsche Sprache mehr Importwörter - damit sind selbstverständlich nur die frisch importierten gemeint, nicht Keks, Krokodil oder Fenster - enthalten als solche, die man heute für einheimische Produkte nimmt.
Vielleicht meint Herr Wermke ja, daß man Sätzen wie den genannten nicht in allen Kreisen und Lebenslagen begegnet; einiges spreche dafür, daß man auch in 50 Jahren für ein Gespräch über Wald und Bäume und Vöge- und Blümelein mit dem Wortschatz zurechtkommt, der schon den Dichtern der Romantik zur Verfügung stand. Das mag schon sein, jedenfalls sofern nicht einer auf den Gedanken kommt, daß Vöge- und Blümelein einen Beitrag zur Global Biodiversity leisten und der Wald in Wirklichkeit überhaupt kein Wald, sondern ein Ecosystem sei oder auch eine Opportunity für Outdoor-Events.
Aber selbst wenn man dies ausschließen könnte: Die Tatsache, daß man sich über manche Dinge noch mit Angehörigen beliebiger germanischer oder indogermanischer Sprachen einigermaßen verständigen kann, weil sich die Wörter für Begriffe wie essen und Nacht im Deutschen, Englischen und Lettischen nach wie vor sehr ähnlich anhören, berechtigt nicht zu der Behauptung, daß sich unsere Sprache von der unserer bronzezeitlichen Vorfahren nicht deutlich unterscheidet. Ob man das als Verfall bezeichnen soll – eine These, von der Dudenredakteur oder das Jurymitglied oder der Wikipedia-Autor, wie es scheint, meinen, sie sei für die, denen die Wortimporteure wie alle Modegecken auf die Nerven gehen, mit der These der Veränderung notwendig verbunden – steht auf einem ganz anderen Blatt. Ich jedenfalls bin nicht dieser Meinung.
2 Kommentare:
Wer den ersten Satz mit den richtig gesetzten Satzzeichen und dem grammatischen Verständnis, dass "Matthias Wermke" das Subjekt (natürlich im Singular) des Satzes ist, zu lesen vermag - kann sich dem danach angerührten Schmand eines eigenmächtigen Sprachhelden entziehen, durch Nichtlesen:
"Das Jury-Mitglied und der Leiter der Dudenredaktion Matthias Wermke äußerte, dass trotz dieser Importwörter „sich das Deutsche in 50 Jahren [nicht] von der heute gesprochenen Sprache deutlich unterscheiden wird.“
Vgl.:
http://de.wikipedia.org/wiki/Wort_des_Jahres#cite_note-4
Meinen Sie wirklich, ich hätte das mit den Satzzeichen nicht bemerkt, bzw. irgendeinem, der auch nur ein bißchen deutsch kann, könnte das entgehen?
Zu "eigenmächtig" siehe: http://deutsche-sprak.blogspot.com/2011/01/ernennungsurkunden_31.html
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