Der Hamburger Linguist A. Stefanowitsch hat mittels Google-Books herausgefunden, daß man im 19. Jahrhundert „Studierender“ häufig in der Bedeutung von „Student“ benutzt hat und daß dieser Brauch im 20. Jahrhundert wieder verschwunden ist.[1] Weil das so ist, meint er, sich nicht mehr rechtfertigen zu müssen für die Verwendung von „Studierende“ in diesem Sinn[2], zu der er sich aus politischen Gründen verpflichtet glaubt.
Ein Leser seines Blogs hat – unter dem Pseudonym „Studierendenfutter“ – auf einen zustimmenden Kommentar, nämlich
„Daß das Wort ‚Studierenende(r)’ relativ alt ist, ist sicherlich ein treffendes Argument gegen die verfehlte Annahme, ‚Studierender’ könne nur denjenigen bezeichnen, der gerade in diesem Augenblick ‚am studieren’ ist.“
so geantwortet:
„nö, es nur ein beleg dafür, dass auch anno tobak bereits unsinn geredet wurde“ – eine einfache Wahrheit, die Herrn Stefanowitsch und seinen Anhängern offenbar verschlossen ist. Einen gerade nicht trinkenden Trinker einen Trinkenden zu nennen bleibt Unsinn, auch wenn sich herausstellen sollte, daß das im 18. Jahrhundert bereits getan wurde; nur durch lange Gewohnheit kann ein Fehler es dazu bringen, keiner mehr zu sein, wie im Falle der „Lehrenden und Lernenden“.
Der Blog-Leser Helmut Wicht hat von einem „antiquarischen Fehlschluss“ gesprochen. Ich möchte statt dessen die Bezeichnung „katholischer Fehlschluß“ vorschlagen. Die römisch-katholische Kirche lag im Mittelalter jahrhundertelang im Streit mit den Ostkirchen; meist ging es darum, wie es sich theologisch begründen läßt, daß der Papst wichtiger ist der Patriarch von Konstantinopel oder andere Patriarchen. Das entscheidende Argument war immer, daß irgendeine Meinung bereits früher schon dagewesen ist; gewonnen hatte, wer nachweisen konnte, daß die seine sich in einem älteren Schriftstück finden läßt als die des Gegners. So ließ sich mehr oder weniger jeder beliebige Stuß rechtfertigen.
Die katholische Kirche sollte Herrn Stefanowitsch für die Wiederbelebung dieser Methode eine Auszeichnung verleihen. Die haben da recht hübsche. Der bekannte Germanist und Wissenschaftsfunktionär Prof. Frühwald bekam, so hörte ich, für seine Verdienste als Beiratsvorsitzender des Cusanuswerks einen Orden, der ihm das Privileg verleiht, hoch zu Roß in den Vatikan einzuziehen. Herr Stefanowitsch sollte, falls er es nicht schon kann, reiten lernen.
7 Kommentare:
Nicht weil ich die banale, fehlersuchende Erkenntnisweise Ihrer eklektischen Nörgeleien teile –
Aber:
Ich bin zwar nicht eigens befugt, aber willens, Ihnen eins vom Pferd, pardon: vom päpstlichen Orden, mitzutiteln:
Der offizielle Name ist Ordine Equestre Pontificio di San Gregorio Magno (Päpstlicher Ritterorden vom heiligen Gregor dem Großen).
Prof. Frühwald hat aber nur die "Zivilklasse" des Ordens verliehen bekommen. Er kann also nicht als eques (oder auf einem equus oder gar cum equitatu) im Vatikan „einreis(t)en“; sondern er darf sich nur mit einem Ordensmantel (plus einem eingewebten, entsprechenden Signet) umhüllen für eine geheim einberufene Sitzung in der römischen Dependance des Ordens.
(Ob er auf einem von außen nicht sichtbaren Steckenpferd dort einzureiten pflegt, entzieht sich meiner Beobachtung.
Es dürfte auch wohl die Annahme eines solchen Ordens ausreichen, um nur in allerhöchstem Eifer, sprich: Kampfbereitschaft, für die Päpstlichen Geheimdisziplinen.)
Danke! Ist Ihre Quelle zuverlässig? Ich dachte, meine wär's. Jedenfalls muß, wenn sie es nicht ist, Herr Stefanowitsch nun nicht reiten lernen, er muß sich nur einen neuen Mantel kaufen.
Übrigens1: ich suche nicht Fehler, die finden mich; ich kann ihnen nicht entkommen, Gott sei's geklagt. Und es sind auch nicht Fehler als solche, die mir das Nervensystem zerrütten, davon mach' ich selber genug. Sie müssen ein Indiz für das herannahende Weltende sein, wenn sie mich interessieren sollen, das hab ich doch deutlich geschrieben.
Übrigens2: In ihrem letzter Satz fehlt was. Was wollten Sie mir sagen?
Danke für den Hinweis und für die Fehlernachfrage zu meinem letzten Satzversuch:
Ja, der Satz ist zwar kein gedanklicher, aber ein schreibtechnischer Fehler, da ich die Fortsetzungszeichen der drei kleinen Pünktchen nicht eigens setzte:
Zu Ende gedenkt (na, gut, ein neuer Fehler, der zukünftige schwache Imperfektbildungen vorweg nimmt…), also gedacht, und kommunikativ geländegängig ist es so besser:
“Es dürfte auch wohl die Annahme eines solchen Ordens ausreichen, um nur in allerhöchstem Eifer, sprich: Kampfbereitschaft, für die Päpstlichen Geheimdisziplinen… [Mitgedacht: Die fehlende verbal-prädikative Fortsetzung verweist auf das Stilmittel eines Anakoluths.] Hier im Beispiel etwa „… sich in die Schlacht der Geister zu werfen ...“
P.S.:
Neben den drei Anakoluth-Typen im gleichnamigen Artikel bei Wiki, die ihr sprachtechnisches (nicht sprachlich-erzählerisch-literarisches) Wissens fast nur aus englischen Vorbildseiten und deren versuchsweise Übersetzungen zum Zwecke stärkerer Formalisierungen beziehen:
Vgl.:
http://en.wikipedia.org/wiki/ANACOLUTHA
„Drei Typen lassen sich unterscheiden:[1]
• Der „Ausstieg“ (Aposiopese): Also ich weiß nicht … (Gemeint: Ausstieg aus einem begonnenen Satz = Abbruch)
• Die „Retraktion“: Er hat ihr einiges … alles zu verdanken. (Gemeint: in diesem Fall wird „einiges“ nach seiner Äußerung durch „alles“ korrigiert, es findet also in der Äußerung des Satzes ein kleiner Rückschritt/ Rückzug des Sprechers vor das bereits geäußerte Wort statt (= Retraktion).)
• Der „Umstieg“ von einer begonnenen Satzkonstruktion auf eine andere: Wenn jemand Geburtstag hat, dann manchmal schenkt man ihm eine Uhr."
Beleg 1] Gisela Zifonun, Ludger Hoffmann, Bruno Strecker et al.: Grammatik der deutschen Sprache. de Gruyter, Berlin, New York 1997, S. 444-466.
Neben diesen drei Typisierungen gibt es als vierte den charakterologischen Ausdruck des fehlenden Satzendes, der („Finalkürzung“), bei der der Autor dem Zuhörenden, auch dem geneigt Lesenden, das in Endstellung notwendige Prädikatsteils zu ergänzen überlässt.
[Den offiziellen Grammatiknachweis erspare ich mir hier und verweise auf Evidenz… Vielleicht muss ich den Artikel zum Nachweis meiner Privatrhetorik selber schrieben.]
Wie kommen Sie darauf, daß mein Beitrag "zustimmend" war?
Lesen Sie ihn doch bitte nochmals sorgfältig.
Ich hab ihn schon ganz und genau gelesen. Insgesamt ist er natürlich nicht zustimmend; das hätte mich bei Ihnen auch gewundert, ich lese Ihre Kommentare relativ häufig. Aber im entscheidenden Punkt ist er es.
Ich bin natürlich nicht der Auffassung, daß das der entscheidende Punkt ist.
Der Vergleich mit "Trinker - Trinkender" hinkt, denn Wörter wie "Vorsitzender" oder "Forschungsreisender" sind allgemein üblich und wurden lange vor dem Aufkommen von "gender mainstreaming" u. dgl. geprägt.
Waren unsere Vorfahren, die zeitweise im 18. und 19. Jahrhunderts das Wort „Studierende“ benutzten (darunter auch Goethe), sprachlich so verblödet, daß sie „unsinn geredet“ und nicht gemerkt haben, wie sprachwidrig dieses Wort ist?
Ich halte von diesem Argument nichts, weil man damit nur seine Flanke entblößt für solche Gegenargumente. Es gibt bessere Argumente.
@NörglerIn
Das mit dem Vorsitzenden ist kein Argument. Hier:
http://deutsche-sprak.blogspot.com/2011/09/studierende-und-vorsitzende.html
hab' ich das begründet.
Nicht alle, die im 19. Jahrhundert von "Studierenden" im Sinne von Studenten geredet haben, haben Unsinn geredet. Denn ein Fehler kann es, das habe ich ja auch geschrieben, dazu bringen, kein Fehler mehr zu sein. Das scheint damals nach einigen Jahrzehnten der Fall gewesen zu sei, so wie heute beim Vorsitzenden.
Aber bei den Studierenden ist es heute keineswegs so. Denn dieses Wort hat man ja vor zehn Jahren oder wann das war nicht deshalb in der Bedeutung von Student gebraucht, weil man so daran gewöhnt war, es so zu gebrauchen, daß der Bedeutungsunterschied verschwunden war. Vielmehr dachten die Sprachbürokraten bei ihrer Wiedererfindung, es bedeute das gleiche, was aber nicht der Fall war. Es gab zwei Wörter, die völlig verschiedene Bedeutung hatten, so wie im Falle von Trinkender und Trinker, Laufender und Läufer, Singender und Sänger, und nicht nur eines, wie im Falle von Vorsitzender oder Reisender. Man hat also schlicht einen Fehler gemacht.
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