Der Linguist A. Stefanowitsch mochte seiner Tochter „Negerprinzessin“, „Negerkönig“ und „Negerkinder“ in Pippi Langstrumpf nicht zumuten oder sich eine komplizierte Diskussion ersparen und hat eine eigene Übersetzung – wie er es nennt – gemacht[1]: Südseeprinzessin, Inselkönig und Inselkinder sind daraus geworden. „Schwarze“ hat er vermieden, wohl ahnend, daß man mit diesem unter schlichten Geistern als politisch korrekt geltenden Wort den Fangstricken des Rassismus nicht ganz entkommen ist.
„Ich habe“, schreibt er, „das Deutsch der Übersetzerin Cäcile Heinig aus den 1950ern in das Deutsch des 21. Jahrhunderts übersetzt.“
So rechtfertigt er sein Eingreifen:
„Wenn das Zensur ist, dann ist jede Übersetzung, jede Nacherzählung und jede Adaption Zensur. Die Idee, dass literarische Texte unantastbar und unveränderlich sein müssen, ist eine Fiktion, die mit der jahrtausendealten Tradition des Geschichtenerzählens nichts zu tun hat. Eine Geschichte, die sich nicht mit der Sprachgemeinschaft wandeln kann, in der sie erzählt wird, ist irgendwann nur noch toter Text.“
Ob es Zensur ist, wollen wir mal dahingestellt lassen. Aber eine Übersetzung ist es nicht. Er darf’s ja machen, aber er darf nicht behaupten, daß es sich um das Buch von Astrid Lindgren handelt. Brecht hat seinen eigenen Namen über die Dreigroschenoper gesetzt, nicht den des Autors der Beggar’s Opera. Eine Übersetzung teilt mir in meiner Sprache mit, was jemand in einer anderen gesagt hat, nicht das, was der Übersetzer meint, daß er hätte sagen sollen. Wer eine „Bibel in gerechter Sprache“ schreibt, schreibt eine neue Bibel, er übersetzt nicht die Bibel. Denn deren Autoren waren an Gerechtigkeit im Verhältnis der Geschlechter überhaupt nicht interessiert.
Einen literarischen Text vorlesen ist etwas ganz anderes als Geschichten erzählen. Aus einer Geschichte kann man immer wieder neue Geschichten machen. Goethe und Wagner haben Faust und Nibelungenlied nicht übersetzt, sondern sie haben sie als Stoff genommen und zu einem eigenen Werk verarbeitet. Und ein Text von Shakespeare ist keineswegs tot, wenn er sich nicht mit der Sprachgemeinschaft wandelt: Er erhält sein Leben dadurch, daß er immer wieder neu, unter den Perspektiven der jeweils neuen Zeit, interpretiert wird, und zwar daß das, was Shakespeare geschrieben hat, interpretiert wird. Er lebt nicht dadurch, daß man „King Lear“ mit „Ministerpräsident Lear“ übersetzt, weil ja im heutigen Deutsch unter einem König eher eine komische Figur der Glamourwelt verstanden wird und nicht ein politisch mächtiger Mensch und es so dem Leser leichter fällt, das Richtige zu assoziieren.
Doch wenn schon, dann konsequent. „Neger“ ist weg, aber „Prinzessin“? Ist es denn politisch korrekt, Kindern derartige mit dem Gedanken der Demokratie und einer republikanischen Staatsform ganz unvereinbare, ja moralisch höchst verwerfliche Träume in den Kopf zu setzen? Und wenn es schon egal ist, ob man mit der „Übersetzung“ einem Autor Ansichten unterstellt, die er ganz und gar nicht gehabt hat – in unserem Fall einer für ihre Zeit sehr gemäßigten Rassistin, aber doch eben einer Rassistin –, dann sollte man dabei nicht stehen bleiben und das Projekt einer von jedem Antisemitismus gereinigten Übersetzung von Mein Kampf ins Auge fassen; Wörter wie „Arier“ waren im Deutsch der Vorkriegszeit üblich, aber nicht im heutigen, das muß doch als Begründung reichen.
7 Kommentare:
Obwohl ein ausgewiesener Fan von A.S., gebe ich Ihnen hier und auch bzgl. Ihres SprachLog-Kommentars (@ A.S. Geschwister, Sprachpurismus 21.07) im Großen und Ganzen recht. Ich finde, man kann es auch übertreiben.
Meine Gedanken zur political correctness finden Sie hier.
Techn. Anmerkung:
Links heben sich in Ihrem Blog farblich kaum ab. Könnten Sie das evtl. ändern?
Hallo! Hier geht es eigentlich um die so genannte Intertextualität. Die Intertextualität betrifft das Verhältnis von literarischen Texten untereinander. Grüße!
Hm, mal wieder mal ein Fall von auf-die-"political correctness"-Eindreschen und gar nicht wissen, was diese "political correctness" eigentlich ist. Und das Argument mit der dem "Entarisierten" Quatschbuch von A.H. lässt mich dann vollends rätseln, wieso der Urheber des Blogs sich für befähigt hält, über Sprache schreiben zu können. Ich schreibe ja auch keinen Blog zur Quantenphysik... rätselhaft....
Sehr geehrter Anonymus,
Sie haben ja recht: ich verstehe von der Sprache nichts. Ich habe weder Linguistik noch sonst ein einschlägiges Fach studiert, bin auch nur selten und dann auch nur in ganz losen Kontakt mit solchen Fächern geraten. Bewundernswert ist aber, wie Sie das herausgefunden haben: Sie haben aus der Tatsache, daß ich nicht weiß, was ein englisches Wort bedeutet (political correctness – Sie hätten es mir freundlicherweise erklären können), geschlossen, daß ich von der deutschen Sprache nichts verstehe. Aber hauptsächlich sind Sie ja dadurch darauf gekommen, daß ich argumentiert habe: Wenn man gemäßigten Rassismus aus einem Buch durch „Übersetzung“ entfernt, dann kann man es auch mal mit einem nicht so gemäßigten Rassismus probieren? Daß diese Schlußfolgerung zulässig ist, kann man bestreiten, das hat aber gar nichts damit zu tun, ob man von der deutschen Sprache etwas versteht oder nicht. Jedenfalls: Ich verstehe von dieser Sprache nichts. Allerdings kann ich sie, anders als die meisten derer, die etwas von ihr verstehen und darum meinen, die Foren der Linguistik-Blogs füllen zu müssen, einigermaßen sprechen. Und reicht das nicht, um so einen Blog wie diesen hier zu schreiben? Da wird doch immerhin eine Lücke gefüllt; davon abgesehen, daß ich gar nicht über die deutsche Sprache schreibe, sondern über die, die sie zu sprechen versuchen.
Nur nebenbei: Ich würde „Mein Kampf“ nicht ein „Quatschbuch“ nennen. Sonst zieht einer vielleicht den Schluß, daß die Folgen dieses Buches auch nur Quatsch waren und man sich darum nicht weiter um sie kümmern muß.
@ Michael Allers:
Sie müssen nicht von A. S. abfallen: Er hat seine Ansichten kürzlich in seinem Blog ("Sprachlog") revidiert.
Sehr geehrter Herr Trepl, mit dem Lesen scheint es auch zu hapern. Ich habe Ihnen nicht vorgeworfen nichts von der deutschen Sprache zu verstehen, sondern von Sprache an und für sich, bzw. von ihrer Funktion. Von Zeichentheorie ganz zu schweigen. Und ist Ihnen der Widerspruch zwischen ihrem Blogeintrag und ihrer Weigerung aufgefallen, das o.g. Buch als das zu bezeichnen, was es ist, nämlich von vorne bis hinten ein Quatschbuch? Tja, alle Sprak schwere Sprak, bleibt mir da nur noch übrig festzustellen.
Sehr geehrter Anonymus,
das ist ein Irrtum, mit dem Lesen klappt’s bei mir ganz gut. Aber auf die Idee, daß es wichtig sein könnte, so einen Rotztext, noch dazu von einem verfaßt, der es offenbar nötig hat, sich zu verstecken, genauer als nur diagonal zu lesen, muß man erst einmal kommen.
Aber sonst haben Sie recht. Von Zeichentheorie verstehe ich in der Tat nichts. Die paar Sachen, die ich dazu gelesen habe, reichen vermutlich nicht einmal aus, um in dem Fach, das Sie studieren oder studiert haben, durchs Vordiplom zu kommen. Danke dafür, daß sie mich darauf aufmerksam gemacht haben. Allerdings nützt mir das allein wenig. Sie müßten mir schon erklären, was habe meine Unkenntnis der Zeichentheorie mit dem zu tun haben soll, was ich in dem Blog geschrieben haben.
Und es stimmt auch, von Sprache an und für sich verstehe ich auch nichts; was aber die Funktion der Sprache angeht, so verstärkt sich, je mehr professionelle Sprachkenner mir begegnen, mein Eindruck, daß die mir nicht in jeder Hinsicht etwas voraus haben; vor allem daß die Frage nach der Funktion dann, wenn es um die „Sprache an und für sich“ geht, nicht unbedingt die wichtigste ist, scheint vielen von ihnen gar nicht in den Kopf zu wollen.
Wo ein Widerspruch besteht zwischen meinem Blogeintrag und der Weigerung, „das o.g. Buch [also Mein Kampf] als das zu bezeichnen, was es ist, nämlich von vorne bis hinten ein Quatschbuch“, müßten Sie mir auch erklären. Ich kann keinen erkennen, und wenn es einen geben sollte, müßte ich den Eintrag revidieren, nicht meinen Satz zu Ihrem. Sie sollten sich einmal etwas eingehender mit Funktion und Funktionieren von Ideologien befassen, dann kämen Sie kaum auf die naive und politisch schädliche Idee, derartiges unter „Quatsch“ einzusortieren.
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