„Moderne Performer ... Anteil an der Bevölkerung 8%. ... Hohes Bildungsniveau; (noch) viele Schüler und Studenten, zum Teil aber mit Jobs ....Die Modernen Performer sind die junge, unkonventionelle Leistungselite. Sie wollen ein intensives Leben, in dem sie ihre Multioptionalität und Flexibilität ausleben und ihre beruflichen wie sportlichen Leistungsgrenzen erfahren können.“[1]
Acht Prozent! Und dann gibt es ja noch die junge konventionelle und die alte unkonventionelle und vor allem die sicher weit zahlreichere alte konventionelle Elite. Wieviel Prozent mögen das zusammen sein? Auf ein Drittel oder die Hälfte der Bevölkerung kommt man bestimmt, wenn's nicht gar die Mehrheit ist. Da strampelt man sich ab, um in die Elite vorzurücken, und was hat man davon? Millionen und Abermillionen anderer drängeln sich da bereits! Und dabei dachte man: Wenn man dort angekommen ist, kennt man alle Gleichrangigen persönlich, duzt sie vielleicht sogar. So wie seinerzeit in Wien zwar die normalen Leute Herr Graf oder Seine Hochwohlgeboren sagten, die anderen Elitemitglieder aber einfach Bobby. Und jetzt? Also lieber gar nicht erst anfangen mit dem Aufsteigen, unten ist's in dieser Hinsicht eher elitärer.
Selten aber freut man sich so darüber, daß die Jugend vorbei ist. Nicht auszudenken das Schicksal, vom sozialen Druck in die Kreise dieser jungmodernen Performer – für die Älteren unter Ihnen: Vollzieher, Verrichter, Schauspieler; vielleicht trifft’s Selbstdarsteller am besten – gezwungen zu werden! An Multioptionalität leiden und die auch noch ausleben müssen! Statt Tabletten zu nehmen, die es dagegen sicher gibt.
Möglicherweise ist es aber gar nicht so furchtbar und gemeint ist damit nur, daß diese Knaben und Mädchen halt gern allerlei Verschiedenes tun. Das ging den meisten von uns damals auch schon so. Die beruflichen und sportlichen Leistungsgrenzen erfahren wollten wir allerdings nicht. Nicht nur, daß uns Beruf und Sport alles in allem verglichen mit den wichtigeren Dingen, wie Lust und Liebe und der Weltrevolution oder, etwas später, der Weltrettung, doch viel weniger verlockend erschienen: Wir wollten, wenn schon, die Grenzen entweder gar nicht erleben oder sie überschreiten. Erfahren wollten wir sie jedenfalls nicht.
Das scheint mir heute allerdings auch nicht anders. Daß jemand etwas tut, um seine Grenzen zu erfahren, ist eine Phrase der Dummköpfe, die für das Phrasenschmieden bezahlt werden. Im wirklichen Leben kommt es kaum vor. Wer Ski fahren möchte, um sich die Knochen zu brechen, damit er auf eine ihn selbst überzeugende Weise seine Leistungsgrenzen erfährt, sollte lieber vorher zum Nervenarzt gehen. Aber, wie gesagt, das sind auch heute verschwindend wenige. – Nebenbei: Diese Phrase ist nach meiner Erinnerung im Kampf gegen die antiautoritäre Erziehung entstanden, der unmittelbar nach ihrer Erfindung mit größter Heftigkeit losbrach. Die Kinder, so log man, daß sich die Balken bogen, möchten ihre Grenzen erfahren. Klar, deshalb sehen Kinder im Stubenarrestvollzug immer so besonders zufrieden aus. Sie haben erreicht, was sie immer schon wollten, sie haben ihre Grenzen erfahren.
Hier noch die Fortsetzung des Eingangszitats, weil's gar zu schön ist:
„Ihr [der Performer] ausgeprägter Ehrgeiz richtet sich auf ‚das eigene Ding’, oft die eigene Selbständigkeit (Start-ups). Dabei haben sie nicht nur den materiellen Erfolg im Auge. Treibendes Motiv ist ebenso, zu experimentieren, spontan Chancen zu nutzen, wenn sie sich auftun, und die eigenen Fähigkeiten zu erproben (‚lch-AG’).
Die Modernen Performer sind mit Multimedia groß geworden. Die modernen Kommunikationstechnologien nutzen sie intensiv und lustvoll, im beruflichen wie im privaten Leben.
Neben der Multimedia-Begeisterung zeigen sie großes Interesse an sportlicher Betätigung und Outdoor-Aktivitäten (Kino, Kneipe, Kunst).“
Das meiste will ich nicht kommentieren, es wirkt auch so; nur dies: Wenn ich im Konzertsaal sitze, dann ist das eine Outdoor-Aktivität, steht da. Ich dachte bisher, damit sind Bergtouren, Inlandeis-Durchquerungen und ähnliches gemeint, Unternehmungen also, die man ohne Jack-Wolfskin-Kleidung nicht durchsteht. Aber nun: Konzert? Skat in der Kneipe? Kann mir jemand helfen? Ist das wirklich so?
Was Multimedia ist, wußte ich nicht, wenn ich es auch oft lesen mußte, und darum habe ich im Internet gesucht. Gefunden habe ich dies:
„Die Kombination und die Benutzung von verschiedenen Medien wie Text, Grafik, Klang (Sounds), 3-D Objekte oder Video in einem Dokument. Ein interaktiver Dialog ist möglich.“[2]
Das hat mich irritiert. Kombination und Benutzung von verschiedenen Medien wie Text, Grafik usw. – das machten wir damals auch schon. Manche drehten Schmalspurfilme. Da gab es einen Text zum Lesen im Vorspann, es gab einen gesprochenen Text, Bilder waren zu sehen, die sich bewegten, Musik wurde gespielt und was weiß ich noch alles. Wenn das nicht Multimedia war! Ob wir, so die fürchterliche Ahnung, moderne Performer waren, ohne es zu wissen?
Immerhin, ein paar Unterschiede lassen sich finden: Klang mußte man damals nicht ins Englische übersetzen, das Wort wurde ohne weiteres verstanden. 3-D-Objekte – wenn es sie denn gegeben hat, was ich nicht weiß – hätte jeder, der sich getraut hätte, einen Satz zu schreiben, den jeder lesen kann, damals bestimmt richtig geschrieben, nämlich eben 3-D-Objekte. In einem Dokument hat man, anders als auf dem Schmalspurfilm, die verschiedenen Medien damals nicht benutzt. Überhaupt beschäftigten sich seinerzeit mit Dokumenten kaum jemals junge Selbstdarsteller, sondern fast nur gestandene Leute, Notare beispielsweise. Und ein Dialog war zwar zu jener Zeit schon möglich, doch meist zogen wir es vor, uns zu dritt, viert usw. zu unterhalten. Daß „interaktiver Dialog“ Blödsinn ist, weil ein Dialog, bei dem nur einer redet, kein Dialog ist, war damals, glaub’ ich, jedem klar.
Na ja, es kommt schon einiges zusammen, die böse Ahnung hat vielleicht doch getrogen.
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