Mittwoch, 11. Mai 2011

Einer der letzten

Der Franzose Johannes Calvin (1509-1564) war neben Luther einer der bedeutendsten Reformatoren.[1]
 Immer wenn einer stirbt oder zurücktritt, der ein Werk hinterläßt, das in der Welt der Medien für bedeutend gehalten wird, was es manchmal sogar wirklich ist, heißt es: „einer der letzten“.
Wenn es sich um Maßschuhmacher, Puppendoktoren, Schuhputzer, Zeitzeugen, Spätheimkehrer, Wanderhirten, Bürstenmacher, Rheinfischer oder Hufschmiede handelt, ist „einer der letzten“ sicher meist angebracht. Anders ist es jedoch bei „einem der letzten“ großen Denker, Universalgelehrten, Generalisten, wahrhaft unabhängigen Köpfe, Intellektuellen von Weltrang, Komponisten von Weltgeltung, Tenöre mit weltweiter Ausstrahlung, Boxhelden, Lebemänner, umfassend gebildeten Romanisten, großen Superstars, großen Rennfahrer, großen Geiger, großen Stars des Showbusiness, großen Unternehmerpersönlichkeiten, großen Charismatikern der CDU (Roland Koch) oder einfach einem der letzten Großen (Oskar Lafontaine).
Gemacht haben das die Journalisten vor hundert Jahren auch schon so und sie werden es sicher, wenn es dann noch Journalisten gibt, in hundert Jahren auch noch tun. Aber es ist falsch. Die Letzten sterben wie die Fliegen, alle paar Wochen ist wieder einer dran. Doch sie wachsen immer wieder nach. Allerdings werden sie nie so zahlreich, daß es nicht einen Artikel wert wäre, wenn wieder einmal einer sich von der Welt oder vom Amt verabschiedet. Warum die Journalisten sich so ausdrücken, ist mir ein Rätsel. Was haben sie davon? Es muß tief im Wesen einer Zunft verankert sein, die für den Tag schreibt.
Überhaupt haben sie es mit „einer der“. „Einer der bedeutendsten“ schreiben sie selbst dann, wenn es auch nach ihren eigenen Maßstäben – Ranglistenplätzen beispielsweise, die auf Umfragen unter Journalisten beruhen – der aller-aller-bedeutendste ist. Eben jetzt sagt einer im Radio (BR Klassik), daß man die Wiener und die Berliner Philharmoniker seinerzeit, in den 30er Jahren, zu den bedeutendsten Orchestern im deutschsprachigen Raum zählte, wo doch damals jeder einschließlich der Journalisten selbst, wenn sie gerade nicht als solche tätig waren, zu der Auffassung neigte, daß sie die bedeutendsten der Welt sind. Und in den Nachrufen auf Habermas wird man sicher finden, daß er einer der bedeutendsten oder bekanntesten oder berühmtesten deutschen Philosophen des 21. Jahrhunderts war.
Man sollte auch nicht erschrecken, wenn es beim Ableben des Herrn Ratzinger heißt, einer der bedeutendsten deutschen Päpste der letzten Jahrzehnte sei von uns gegangen. Das ist kein sonderlich beunruhigendes Zeichen, so waren die schon immer. Sie können nicht anders. Sie müssen versuchen auszugleichen, was sie mit der Blähsprache, der sie sonst die Treue halten und die sie dazu verdammt, einen Superlativ auf den anderen zu setzen, angerichtet haben.





[1] http://www.evangelisch.de/kompass/wegweiser-kirche/kirche-im-netz-links-und-surftipps19524

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