Montag, 23. April 2012

Schnellst wachsende


„Schnellst wachsende“ erbrachte bei Google Bücher für die Zeit von 1950 bis 1960 einen Treffer, für 1960 bis 1979 auch nur einen, für 1970 bis 1980 sechs, für 1980 bis 1990 zwei. Für 1990 bis 2000 erhält man 23 Treffer, für 2000 bis 2010 24.
Bis 1990 waren es offenbar ganz vereinzelte Irrläufer, die es bis in Bücher geschafft haben, von da ab eine kleine, aber doch merkliche Anzahl.
44.000 Treffer aber erhält man bei Google (ohne „Bücher“), also auf normalen Internetseiten; „am schnellsten wachsende“ erbringt nur etwa doppelt so viele: 95.600. Bei den Büchern lag das Verhältnis von „schnellst wachsende“ zu „am schnellsten wachsende“ von den 50er bis in die 70er Jahre etwa zwischen 1: 20 und 1: 100, und 2000 bis 2010 beträgt es etwa 1: 5.
Unsere Linguisten sehen hier sicher keinen Fehler, sondern eine Beschleunigung des ohnehin unvermeidlichen Sprachwandels, und das freut sie gewöhnlich ungemein. Ich aber erkenne den Indikator einer bisher kaum vorstellbaren kollektiven Hirnerweichung. Noch ist er, wie die Google-Recherche nahelegt, auf – so muß man das heute wohl ausdrücken – sprachkompetenzferne Schichten beschränkt. Das zeigen auch die folgenden Formulierungen und die in den Fußnoten genannten Adressen:
„Dr Kai Luehr Bei 3 Sat Islam Die Am Schnellst Wachsende Religion Der Welt!“[1]
„Schnellst wachsende Unternehmen der Welt“.[2]
„ThomasLloyd-Haftungsdach ist das schnellst wachsende in 2009.“[3]
„OMD Germany ist die schnellst wachsende Mediaagentur Deutschlands und beschäftigt mehr als 500 Mitarbeiter in fünf Niederlassungen an vier Standorten“.[4]
„Es heißt ja das Bambusse bis zu 4x schneller wachsen als der schnellst wachsende Baum.“[5]
Also, viel ist es noch nicht und im allgemeinen auch nur da anzutreffen, wo man ohnehin nichts erwartet. Aber das Tempo der Entwicklung ist beeindruckend und lange wird es nicht mehr dauern, bis man die Neuerung auch in der Zeit findet und natürlich im Duden. Die Sprachkompetenz der Deutschen ist offenbar eine der schnellst zerfallenden der Welt.

3 Kommentare:

hmuelner hat gesagt…

Noch schlimmer: "schnellst wachsendste" liefert bei Google 489 Treffer und "schnellstwachsendste" ergibt 2070 Treffer.

Michael Allers hat gesagt…

Man muss kein Linguist sein, um diese Verkürzung als ganz normalen Sprachwandel zu erkennen. Die "Beschleunigung" desselben ist allenfalls eine subjektive Wahrnehmung. Schon Mitte des 19. Jhdts. beklagte Schopenhauer "die abscheuliche Manie, 2, ja 3 Worte in Eins zusammenzuziehen".

Das Zitat stammt aus "Du Jane, ich Goethe - Eine Geschichte der Sprache" von Guy Deutscher. Darin wird genau diese Reduzierung auf das Wesentliche, die es seit Jahrtausenden gibt, allgemeinverständlich geschildert. Kann ich nur empfehlen!

So neu ist übrigens auch die "Erosion" (im Ggs. zur Landschaftökologie nichts Schlimmes!) beim Superlativ von 'schnell' nicht. Es heißt doch 'schnellstmöglich' und nicht 'am schnellsten möglich'. Goethe schrieb noch "schnellst möglich". Warum also nicht Sprachwandel durch Analogiebildung (im o.a. Buch ebenfalls gut beschrieben)? Beim wenigst selektiven Googeln bemerkt man übrigens, dass die Formulierung durchaus nicht auf "sprachkompetenzferne Schichten beschränkt" ist.

Ludwig Trepl hat gesagt…

Ja, ganz normaler Sprachwandel. Hier:
http://deutsche-sprak.blogspot.de/2011/06/eine-theorie-des-sprachlichen.html
habe ich dargelegt, daß der ganz normale Sprachwandel eben oft, ja meist so vor sich geht: Fehler werden zur Gewohnheit.

Daß man zu Goethes Zeit so schrieb, weiß ich schon. Damals war das noch nicht falsch. Es hatte sich noch nicht herausgebildet, daß bei Getrenntschreibung (schnellst wachsende statt schnellstwachsende) das zweite Wort betont werden muß und damit der Sinn ein anderer ist als der gemeinte. Wenn das aber einmal gehört wird, dann ist "schnellst wachsende" ein Fehler, und zwar einer von der peinlichen Art.