Samstag, 16. Juni 2012

Angstfrei geheimnisvolle Leben leben


Die Älteren werden sich erinnern: Die taz war einst berühmt für ihre geistreichen Schlagzeilen. Sie hat etwas nachgelassen. Gestern stand auf Seite 1 die unfaßbar dämliche Aufforderung an die Griechen „Griecht euch ein“.
Heute steht an entsprechender Stelle:
„Die Alten haben das Wort“. Unterüberschrift: „Weitblick. Die ‚alternde Gesellschaft’ macht Angst. Warum eigentlich, wo gelebtes Leben doch voller Geheimnisse ist?“
Loben muß man, daß die taz „alternde Gesellschaft“ in Anführungszeichen gesetzt hat. Ihr ist offenbar aufgegangen, daß eine Gesellschaft mit vielen alten Menschen keine alte Gesellschaft sein muß und daß eine Gesellschaft, so wie ein jeder Mensch auch, immer altert, man das also nicht extra erwähnen muß. Die Risikogesellschaft, die Wegwerfgesellschaft, die Überflußgesellschaft, die Informationsgesellschaft und all die tausend anderen Gesellschaften, von denen die Welt der Journalisten und der Boulevardwissenschaftler wimmelt: Sie alle wurden geboren, waren jung, sind älter geworden und manche von ihnen sind bereits verschieden.
Aber man fragt sich, was denn wohl ein nicht gelebtes Leben sein mag. Ich war bisher der Ansicht, daß das einfach gar kein Leben ist, weil zu den Definitionsmerkmalen von Leben nun einmal gehört, daß gelebt wird. Bei der taz scheint man jedoch zu meinen, daß es ein Leben ohne Geheimnisse ist. Na ja, soll mir recht sein. Nicht abfinden kann ich mich aber mit der Behauptung – und die scheint mir in dem etwas dunklen Satz zu stecken –, daß man dann, wenn etwas voller Geheimnisse ist, keine Angst haben muß. War nicht die Menschheit ihre ganze bisherige Geschichte hindurch eher der gegenteiligen Meinung? Fürchtete man sich nicht gerade an geheimnisvollen Orten, etwa in Gespensterburgen?

Mittwoch, 13. Juni 2012

Leistungsträger

„Soldatin: ‚Ich bringe dieselbe Leistung wie die Männer’“, titelt   evangelisch.de.[1]
Früher haben Fußballspieler gespielt, heute bringen sie ihre Leistung. Früher haben Soldaten totgeschossen und totgeschlagen, heute bringen sie ihre Leistung. Früher haben Philosophen gedacht. Wahrscheinlich wird Sloterdijk der erste sein, der bekennt: Ich denke nicht, sondern bringe meine Leistung. Ergo sum.




[1] Anfang Januar 2011

Montag, 11. Juni 2012

Amiland und Schwabenland

Die meisten Deutschen nennen die USA einfach „Amerika“. Das wird zwar manchmal gerügt; politisch sei es nicht korrekt und wer so spricht, mache sich – sagt man heute nicht mehr, sagte man aber vor 30 oder 40 Jahren noch – der Unterstützung des US-Imperialismus verdächtig, wenn nicht gar schuldig. Aber es klingt am besten. Leute, die sich ihres Mangels an Reife bewußt sind und darunter leiden, versuchen ihre Infantilität zu ironisieren und sagen „Amiland“. Von Angehörigen gediegenerer Stände hört man manchmal „die Vereinigten Staaten“ oder gar „die Vereinigten Staaten von Amerika“.
„In den Staaten“ aber sagen minderwertigkeitskomplexgeplagte Knallchargen. Es gibt unter diesen auch welche, die sagen „in den States“ und entschuldigen sich dann damit, daß sie einige Zeit dort gelebt haben und es ihnen darum leider immer mal wieder rausrutscht. Es rutscht ihnen also raus, weil sie den Drang nicht beherrschen können, der Welt mitzuteilen, daß die dort gelebt haben. Vergleichsweise selten kommt es vor, daß jemand Schwäbisches in seine Rede einflicht, um auf diese Weise durch die Blume mitzuteilen, daß er vier Monate in Donaueschingen Reutlingen gewohnt hat.

Samstag, 9. Juni 2012

Katastrophe im Mittelfeld

Von  Fußballreportern ist man ja einiges gewöhnt. Doch neulich, bei der Übertragung des Spiels Bayern gegen Chelsea im Bayerischen Rundfunk, hat sich einer zu bisher Unvorstellbarem aufgeschwungen. Schweinsteiger verteilt den Ball zu Kroos. Man hält es erst für einen Versprecher, so wie bei der berühmten Kathrin Müller-Hohenstein (das ist die mit dem „inneren Reichparteitag“), der „ ... zu spielen vor ausverkauftem Publikum – traumhaft"[1] passiert ist. Aber nein, denn dann verteilt Lahm den Ball zu Müller, dann verteilt ihn Müller zu Robben, und so geht’s weiter.



[1] Beim Frauen-WM-Spiel Frankreich-Deutschland. Die Information verdanke ich Herrn U. E. aus Mainz.

Freitag, 1. Juni 2012

Computerexperten

„Ein Mailfinder Programm ohne spezielle PC-Kenntnisse. Emailfinder. Andreas ist super glücklich mit Emailadressen finden. Emailfinder. In einer übersichtlichen Aufteilung: Emailadresse finden. Emailfinder. Total alles zu E-Mail finden Software. Emailfinder.“[1]
Mancher wird vielleicht meinen: Das war gar keiner, das war ein Übersetzungsprogramm. Das glaub’ ich aber nicht. Adorno hat einst – leider weiß ich nicht mehr, wo – sinngemäß folgendes geschrieben: Die Auffassung ist zurückzuweisen, daß der Mensch je dahin kommen kann, Geist maschinell zu erzeugen. Vielmehr sei etwas anderes wahrscheinlich: Die Menschen werden den Maschinen allmählich so ähnlich, daß bald nicht mehr viel dazu gehört, so einen Kerl künstlich herzustellen. Geist künstlich herzustellen, also z. B. Goethe oder seine Putzfrau – das hat er nicht gesagt, aber sicher gemeint –, übersteigt dagegen selbst die in fernster Zukunft zu erwartenden technischen Möglichkeiten.
Die Prophezeiung scheint jetzt zur Hälfte eingetreten zu sein. Man muß den von selbst entstandenen, von Menschen gezeugten Maschinenmenschen, der den eingangs zitierten Satz von sich gegeben hat, nur noch nachbauen. Das dürfte ganz einfach sein.

Mittwoch, 30. Mai 2012

Bohrende Kritik

„Doch das ist wohlfeile Kritik im Vergleich zu den Brettern, die Ralf Steeg gebohrt hat.“ (taz, 19.4.2012)

Äpfel und Birnen kann man nicht vergleichen, sagt der Volksmund. Man muß sie erst auf einen gemeinsamen Nenner bringen, z. B. Obst, dann geht’s. Was aber mag der gemeinsame Nenner von Kritik und Brettern sein? Wollte uns die taz mitteilen, daß die Bretter scharf sind wie eine Kritik? Oder die Kritik scharf wie ein Brett? Wohl nicht, denn die Kritik ist wohlfeil, nicht scharf. Und scharfe Bretter wäre ja auch irgendwie komisch. Sind vielleicht die Bretter nicht so wohlfeil wie die Kritik? Heißt das, Bretter kosten mehr? Pro Kilo?

Dienstag, 29. Mai 2012

Verein deutsche Sprache

Der „Verein deutsche Sprache“, dessen Haupttätigkeit in der Jagd auf „Sprachpanscher“ besteht, hat schon viel Unheil angerichtet, nicht zuletzt mit der Erfindung dieses Wortes.
Hier sollte er allerdings eingreifen:
„Heute ist ‚Information Overload-Bewusstmach-Tag’“[1]

Freitag, 25. Mai 2012

Vertreibung aus dem Paradies

Eben gibt der Ansager im ICE bekannt: „In wenigen Minuten erreicht unser Zug Jena Paradise.“
Also nicht Paradies, sondern Pärädais. Wie läßt sich das erklären? Offenbar kennt der Gemeine Deutsche den Begriff nicht mehr in seiner ursprünglichen religiösen Bedeutung, sondern nur noch in Gestalt von allerlei paradises in ausländischen Urlaubsgegenden: wellness-paradise, fitness paradise, paradise island usw. Man muß was tun für die Leitkultur. Am besten läßt man nicht nur keine Ausländer (für die Jüngeren unter Ihnen: Migranten) mehr rein, sondern auch keine Inländer (ich schlage vor: Sessile) hinaus. Wenn’s nicht bereits zu spät ist. Ein Family Paradise gibt es auch schon in Leverkusen.

Mittwoch, 23. Mai 2012

Back & Coffee Shop

las ich eben im Vorbeifahren in Berlin. Also, für die Älteren unter Ihnen, Rücken- und Kaffeeladen. Was es da wohl gibt? Wird man, auf dem Bauch liegend, massiert und dabei mit einer Tasse Kaffee bewirtet?
Zu bedauern sind vor allem die ausländischen Besucher der Stadt. Denen zuliebe, so unsere Freunde der Anglisierung, anglisiert man ja die deutsche Sprache, schreibt z. B. Info-Point, denn dann finden sich all die Araber und Russen und Franzosen im deutschen Schilderwald besser zurecht, als wenn ihnen gar kein Wort bekannt vorkommt. Aber wie sollen die auf den Gedanken kommen, daß es im Backshop Brötchen gibt? Bäckerei oder Bäckerladen würden sie wenigstens noch in ihrem Touristenwörterbuch finden.

Montag, 21. Mai 2012

Ein getreten!

„Auch im Englischen ist der U. schon früh ein getreten und findet sich jetzt besonders bei Pluralformen, z. B. man, men; mouse, mice.“[1] 
Ein Satz ist das nicht, zwischen „ein“ und „getreten“ fällt die Wortsequenz in zwei Teile auseinander, die zusammen keinerlei Sinn ergeben. Na ja, denkt man, kein Wunder, das haben ja Sprachwissenschaftler – ihr Thema ist der U., der Umlaut – geschrieben. Ganz unten aber wird man wohl noch Deutsch können. Doch auch da wird man enttäuscht: „Ja und als ich den mit den beiden Krallen fertig gemacht hab, äh dann hab ich dann noch ein getreten. BÄM!“ (Kommentar zu einem Youtube-Film über den Kung-Fu-Schauspieler – oder ist es eine Rolle? – Bruce Lee.)[2] Hat der Kommentator wirklich, wie man hoffte, sagen wollen, er habe ein’ getreten? Oder wollte er uns mitteilen, er habe – BÄM! – auf einen eingetreten? Man muß wohl mit letzterem rechnen.

Freitag, 18. Mai 2012

Ergebnisoffen

sagen Politiker gern, vor allem wenn sie nicht wissen, wohin ihr Tun und Treiben führen soll. Ergebnisgeschlossen aber gibt es nicht, so die allgemeine Meinung. Dabei hat es schon einer erfunden: „Suchagenten arbeiten ergebnisofffen, Prozessleitsysteme und Herzkreislaufmonitore arbeiten ergebnisgeschlossen.“[1] Es war ein Soziologe. Ein paar Nachfolger in der Wissenschaft hat er Google zufolge schon gefunden. Mal sehen, wann der Erreger in die Politik überspringt. Es wird eine Epidemie geben.



[1] Kommunikationsanschlüsse. Zur soziologischen Differenz von realer und künstlicher Sozialität. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2005

Mittwoch, 16. Mai 2012

Meist gesehen

steht auf der Internetseite des ZDF, und darunter sieht man eine Liste von Filmen.[1] Das habe ich mir schon gedacht, daß die meist gesehen und nicht etwa gehört oder gerochen werden.

Montag, 14. Mai 2012

Konservative besiegen Liberale


„Wir werden prüfen, inwieweit das Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferecht reformiert werden kann, insbesondere mit dem Ziel, der missbräuchlichen Inanspruchnahme entgegen zu wirken.“ Das steht im „Koalitionsvertrag 'Wachstum. Bildung. Zusammenhalt.' zwischen CDU, CSU und FDP“ vom 26.10.2009.
Man kann, ja man soll sich vornehmen, allen Widrigkeiten des Schicksals, darunter auch mißbräuchlicher Inanspruchnahme, zum Trotz – oder allen Widrigkeiten entgegen – zu wirken: ein Werk zu schaffen, das Bestand hat, die Welt besser zu verlassen, als man sie vorgefunden hat, oder wenigstens ihre Verschlechterung aufzuhalten. Für Konservative war das immer eine Selbstverständlichkeit. Dadurch unterschieden sie sich von den liberalen Hallodris, die vom Leben nichts wollen als möglichst viel Spaß. Die Unionsparteien scheinen sich also gegen die – für die Jüngeren unter Ihnen: gegenüber der – FDP durchgesetzt zu haben.
Doch ganz sicher ist das nicht. Es könnte auch sein, daß die Koalitionspartner allesamt meinten, die historische Aufgabe bestünde darin, der mißbräuchlichen Inanspruchnahme entgegenzuwirken. Das wollten sie zum Ausdruck bringen, wußten aber nicht, wie man das macht, und dann ist „entgegen zu wirken“ herausgekommen.

Freitag, 11. Mai 2012

Leseempfehlung

Damit man nach den vorigen Artikeln von der derzeitigen Verfassung der taz nicht zu schlecht denkt, hier etwas Lesenswertes:
Gerhard Henschel würdigt auf der Wahrheit-Seite gebührend einen hochverdienten und anläßlich eines runden Geburtstags in den letzten Tagen hochgelobten Verleger (A. Springer) und einen der widerlichsten lobenden Journalisten (Thomas Schmid) gleich mit.[1]
Und heute würdigt, auch auf der Wahrheit-Seite, Leo Fischer einen Sprachzaren (Wolf Schneider); so nennt man in Journalistenkreisen diesen sich an der deutschen Sprache versuchenden Journalisten gern.[2]

Donnerstag, 10. Mai 2012

taz-Hochform hält an


Auch um die Anglisierung des Deutschen macht sich die taz in den letzten Tagen sehr verdient:
„Polizei macht Peace mit Salafisten“.[1]

Hier allerdings
„Sharer teilen, alle gewinnen“[2]
vermißt man die Konsequenz. „Sharer sharen“ wäre aber nicht nur englischer, sondern auch schöner.


[1] 9.5.12
[2] 9.5.12

Mittwoch, 9. Mai 2012

taz in Hochform


Die taz ist in in den letzten Tagen zur Hochform aufgelaufen. Heute hat sie, anläßlich der Wahl in Schleswig-Holstein, die deutsche Sprache um ein Wort bereichert, das Witz, Scharf- und Tiefsinn mit einem Geschick vereinigt, das den Journalisten, wenn sie so weitermachen, bestimmt eines Tages einen hochrenommierten Award einbringen wird: „Sozialdänokraten“.

Gestern[1] wurden die LeserInnen nicht nur über den Unterschied zwischen skandalösem und gewöhnlichem Handel mit jungen Mädchen belehrt, sondern es war auch dies zu lesen:

„Der SPD fehlen die scharfkantige Attacke und eine glaubhafte Erzählung, was sie anders machen will.“

Wikipedia meint:

Man versteht darunter“, nämlich unter „Erzählung“, „die Wiedergabe eines Geschehens (einer ‚Geschichte’) in mündlicher oder schriftlicher Form sowie den Akt des Erzählens selbst, die Narrativität.“

So ähnlich habe ich mir das auch immer gedacht, nur daß mir nicht einleuchten will, daß man den Akt des Erzählens Narrativität nennen kann. Aber das ist halt Wikipedia, irgendwann, und sei es erst in Jahrzehnten, wird die Schwarmintelligenz den Schwachsinn, der heute die meisten Artikel ziert, schon beseitigt haben. Was nun die taz angeht, so fragt man sich, wo sie die Dreistigkeit hernimmt, von der SPD zu verlangen, sie möge wiedergeben, wie etwas geschehen ist, das gar nicht geschehen ist, sondern von dem sie, die SPD, nur will, daß es geschieht.



[1] 8.5.12

Dienstag, 8. Mai 2012

Skandalpresse

„Skandalöser Handel mit jungen Mädchen“, titelte gestern (7.5.2012) die taz. In Nicaragua ist das passiert. Ob anderswo die Mädchenhändler beim Mädchenhandeln vorsichtiger sind oder ob man nur nicht gleich aus jedem Mädchenhandel einen Skandal macht, verrät uns die Zeitung nicht.

Montag, 7. Mai 2012

Menschenverachtende Waffen


„Die Daimler AG baute im Geschäftsjahr 2008 nicht nur Fahrzeuge der Marken Mercedes“ usw., sondern auch „Trägersysteme für Atomsprengköpfe und andere menschenverachtende Waffen.“ Das teilen uns die „Kritischen AktionärInnen Daimler“ mit[1].
Ich glaube, da müssen sich nicht nur Atomsprengköpfe und ähnliches Großtötungswerkzeug getroffen fühlen. Menschen zu verachten ist Waffen als solchen eigen. Nicht einmal Jagdwaffen, die normalerweise eher tierverachtend sind, haben etwas dagegen, ab und zu einen Jagdgenossen oder einen Spaziergänger zu erlegen. Es sind eben allesamt Fieslinge und Zyniker, diese Waffen.

Donnerstag, 3. Mai 2012

Gott im Netz

„Und man hörte eine Predigt der ungewohnten Einsichten in Handy und Glauben und was beide verbindet: Schließlich geht es auch im Glauben um Zwiesprache wie beim Telefonieren oder beim Schreiben einer SMS. Und weil Gott immer mit uns ist, liegt die Netzabdeckung bei 100 Prozent.“[1]
Da könnte einer „Thema verfehlt“ rufen, denn es hat nichts mit den Schwierigkeiten beim Sprechen der deutschen Sprache zu tun, sieht man einmal von dem etwas schief geratenen „Predigt der Einsichten“ ab. Aber wir bringen es trotzdem, weil es von so außerordentlicher existenzieller, wenn nicht gar existenzialer Relevanz ist.
Da müht man sich ein Leben lang mit der höchsten aller Fragen, der Frage, die die drei anderen hohen – was ich wissen kann, was ich tun soll, was ich hoffen darf – in sich faßt und krönt: Was kann, soll und darf ich glauben? Und mit der alles entscheidenden Vorfrage: Was heißt überhaupt glauben? Ist Glaube bloßes Nicht-Wissen? Ist er moralische Gewißheit? Ist er das Vertrauen darauf, daß das, was wir hoffen, sich erfüllen wird? Ist er der existenziale Urvollzug des Menschen? Bedeutet Glaube, so vom Geborgensein in Gott her zu leben, daß Liebe sich ereignet? Heißt Glaube das Bewußtsein der Existenz in Bezug von Transzendenz[2]? Oder ist Glaube, wie wir aus dem Vatikan erfahren, ein Akt des Verstandes, in welchem dieser auf Geheiß des von Gott durch die Gnade bewegten Willens der göttlichen Wahrheit beistimmt?
Nie schien des Fragens und Antwortens ein Ende. Und nun trifft einen die Erkenntnis wie ein Blitz aus transzendenten Sphären, der in einem Augenblick alles erhellt und uns die Wahrheit in ihrer verblüffenden Einfachheit, ja frappanten Simpelheit in größter Klarheit vor Augen stellt: Glauben ist wie Handy. In beiden Fällen geht es um Zwiesprache. Wahrscheinlich ist vor jener Predigt diese Einsicht nur deshalb keinem gekommen, weil in der Handywerbung, ja in der gesamten bekannten Handywelt das Wort Zwiesprache nicht vorkommt. Noch nie hat einer hineingerufen: „Hey ich bin’s. Ich bin jetzt gleich in Fulda. Können wir eine kurze Zwiesprache halten?“
Als etwas unbefriedigend dürfte Die Kirche aber dieses empfinden: Wenn das Wesentliche des Glaubens – so scheint es mir gemeint zu sein – die Zwiesprache ist, dann hat man Gott gar nicht nötig, um eine Glaubensnetzabdeckung von 100 Prozent zu erreichen. Es reicht, daß allenthalben paarweise geschwätzt wird.



[1] Die Kirche Nr. 21, 23. Mai 2010
[2] So zitiert einer Jaspers; vielleicht ist das „von“ ein Tippfehler.

Montag, 30. April 2012

Interkulturelle Sensibilität


„Seit 2003 laufen in NRW Fortbildungen zur Förderung der interkulturellen Kompetenz für Mitarbeitende kommunaler Verwaltung zusammen mit Vertreter/inn/en von Migrantenorganisationen“, heißt es in einer Rede auf dem „Integrationsfachgespräch“ der Fraktion der Grünen im Bayerischen Landtag [1]
Zu „Mitarbeitende“ siehe Studierende, zu „Migranten“ siehe Migranten.
Erfreulich ist die Einfühlungsfähigkeit der RednerInnen bzw. Redner/inn/en auf Kongressen der Grünen, was für hohe interkulturelle Kompetenz spricht. Sie schreiben nicht, den intrakulturellen Vorschriften politischer Korrektheit dumpf und blind folgend, Migrant/inn/enorganisationen, sondern Migrantenorganisationen. Sie nehmen also Rücksicht auf die Besonderheit mancher Kulturen, das Organisieren von Organisationen und die Zugehörigkeit zu solchen als eine Sache allein der Männer zu betrachten. Gelungen ist der Versuch jedoch nicht ganz. Wenn es nur Migrantenorganisationen gibt, wo sollen die dann Vertreterinnen hernehmen?



[1] 24.6.2009

Freitag, 27. April 2012

Frauen und Ladies


Der „Verein deutsche Sprache“ deutscht „ladies first“ auf seiner „Anglizismenliste“ mit „Frauen zuerst“ ein.[1] Da wollten sie nicht nur die Anglizismen, sondern den Sexismus bzw. Genderismus oder wie das heute heißt gleich mitbekämpfen. Eine Frau Dame zu nennen, das wußten sie, ist beleidigend, fast so schlimm wie Fräulein. Aber sie haben sich übernommen. „Frauen zuerst“ – immer zusammen mit „und Kinder“ – bedeutet etwas anderes als „ladies first“.

Mittwoch, 25. April 2012


Junge Ideen
„STADTfragen - eine interdisziplinäre Diskussionsplattform für junge Ideen“ heißt eine Ausschreibung von Münchner Forum e.V., und STADTfragen, falls sich das einer fragen sollte, ist „das Veranstaltungsformat des Münchner Forums für junge Menschen und Ideen.“
Was ein Veranstaltungsformat ist, weiß ich leider nicht. Vor zwei oder drei Jahren, als ich noch mitten im aktiven Leben stand, gab es dieses Wort noch nicht oder doch nur ganz im Verborgenen, so daß es mir nicht auffiel. Allenfalls gab es Veranstaltungen von Format. Und jetzt komme ich nicht mehr so recht mit. Aber die jungen Menschen werden es schon wissen. Doch das nur nebenbei. Ich möchte wetten, daß die Ideen, die da zusammengetragen werden, entweder nicht jung sind oder nur Schnapsideen. Das ist meistens so, wenn sich etwas „interdisziplinär“ und „Plattform“ nennt.

Montag, 23. April 2012

Schnellst wachsende


„Schnellst wachsende“ erbrachte bei Google Bücher für die Zeit von 1950 bis 1960 einen Treffer, für 1960 bis 1979 auch nur einen, für 1970 bis 1980 sechs, für 1980 bis 1990 zwei. Für 1990 bis 2000 erhält man 23 Treffer, für 2000 bis 2010 24.
Bis 1990 waren es offenbar ganz vereinzelte Irrläufer, die es bis in Bücher geschafft haben, von da ab eine kleine, aber doch merkliche Anzahl.
44.000 Treffer aber erhält man bei Google (ohne „Bücher“), also auf normalen Internetseiten; „am schnellsten wachsende“ erbringt nur etwa doppelt so viele: 95.600. Bei den Büchern lag das Verhältnis von „schnellst wachsende“ zu „am schnellsten wachsende“ von den 50er bis in die 70er Jahre etwa zwischen 1: 20 und 1: 100, und 2000 bis 2010 beträgt es etwa 1: 5.
Unsere Linguisten sehen hier sicher keinen Fehler, sondern eine Beschleunigung des ohnehin unvermeidlichen Sprachwandels, und das freut sie gewöhnlich ungemein. Ich aber erkenne den Indikator einer bisher kaum vorstellbaren kollektiven Hirnerweichung. Noch ist er, wie die Google-Recherche nahelegt, auf – so muß man das heute wohl ausdrücken – sprachkompetenzferne Schichten beschränkt. Das zeigen auch die folgenden Formulierungen und die in den Fußnoten genannten Adressen:
„Dr Kai Luehr Bei 3 Sat Islam Die Am Schnellst Wachsende Religion Der Welt!“[1]
„Schnellst wachsende Unternehmen der Welt“.[2]
„ThomasLloyd-Haftungsdach ist das schnellst wachsende in 2009.“[3]
„OMD Germany ist die schnellst wachsende Mediaagentur Deutschlands und beschäftigt mehr als 500 Mitarbeiter in fünf Niederlassungen an vier Standorten“.[4]
„Es heißt ja das Bambusse bis zu 4x schneller wachsen als der schnellst wachsende Baum.“[5]
Also, viel ist es noch nicht und im allgemeinen auch nur da anzutreffen, wo man ohnehin nichts erwartet. Aber das Tempo der Entwicklung ist beeindruckend und lange wird es nicht mehr dauern, bis man die Neuerung auch in der Zeit findet und natürlich im Duden. Die Sprachkompetenz der Deutschen ist offenbar eine der schnellst zerfallenden der Welt.

Freitag, 20. April 2012

Lebensfreude

Lebensfreude ist das subjektive Empfinden der Freude am eigenen Leben“, definiert Wikipedia.[1]


Ist das zu fassen? Bisher dachte jeder, Lebensfreude sei die Freude am Leben anderer.
Man denkt immer, Blähpotential hätten heute nur noch amerikanische Wörter. Was aus dem Griechischen oder Lateinischen kommt, wird gemieden, denn man möchte ja auf keinen Fall als einer der Gebildeten gelten, das ist altmodisch und in den USA nennt man sie Eierköpfe. Aber wie man sieht, es gibt Ecken in der Gesellschaft, da glaubt man noch, Eindruck schinden zu können, wenn man „subjektiv“ in seinen Satz einbaut.

Mittwoch, 18. April 2012

Lesermißbrauch

Der spätere Rechtsextremist und frühere Konkret-Herausgeber sowie Ehemann von Ulrike Meinhof, Klaus Röhl, ist in den Verdacht des Kindesmißbrauchs geraten. Das ist nicht weiter erstaunlich, denkt die Republik, denn bei so einem wundert einen gar nichts. Aber wie Jutta Ditfurth die Beschuldigungen in Worte zu fassen versteht, läßt einen doch um Fassung ringen: „Er gab ihnen“ – Mädchen von 13 und 14 Jahren – „Anschauungsunterricht und zeigte ihnen, welche Brüste und Körperlichkeiten er bei erwachsenen Frauen schätzte.“[1]



[1] taz, 7. Mai 2010

Montag, 16. April 2012

Grundfragen des Katholizismus

„Fortschritte im ökumenischen Dialog zwischen katholischer und orthodoxer Kirche sind für den Präsidenten der österreichischen Stiftung Pro Oriente, Johannes Marte, dann zu erwarten, wenn die Frage des päpstlichen Primats mit konkreten Diskussionsvorlagen und Vorschlägen vorangetrieben wird.“[1]
Sie mögen sonstwas vorantreiben, den Einigungsprozeß, die Herde der Schäflein und meinetwegen auch den Dialog, aber Fragen lassen sich nur sehr, sehr schwer treiben. Da wäre man schon zufrieden, wenn sie mit dem Beantworten endlich weiterkämen.

Freitag, 13. April 2012

Mordskritiker

„Weltkirchenrat kritisiert Mord an philippinischen Pastoren“, behauptet Die Kirche – Evangelische Wochenzeitung in einer Überschrift.[1] Was wird der Rat wohl, fragte ich mich, an dem Mord zu kritisieren haben? Mangelnde Professionalität vielleicht? Es waren „paramilitärische Täter“, da scheint das nicht abwegig, bei richtigen Militärs schon eher. Auch bei der Mafia haben sie professionelle Killer, die arbeiten fehlerfrei. Doch dann lese ich im Text, daß der Weltkirchenrat den Mord gar nicht kritisiert, sondern „die Ermordung von zwei Laienpastoren auf den Philippinen scharf verurteilt“ hat.



[1] 11. Juli 2010

Mittwoch, 11. April 2012

Benchmarking

Ein Wort, das mir seit Jahren immer wieder den Weg versperrt, weil ich's nicht verstehe, sondern nur verstehe, warum man es benutzt – nämlich um sich aufzublasen –, ist „Benchmarking“. Vermutet hatte ich etwas ganz Kompliziertes aus dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften. Nun habe ich nachgelesen und war überrascht:
„Benchmarking (= Maßstäbe vergleichen) bezeichnet die vergleichende Analyse von Ergebnissen oder Prozessen mit einem festgelegten Bezugswert oder Vergleichsprozess (von engl. Benchmark )“[1]
Wenn ich also einen Prozeß analysiere, und zwar mit einem festgelegten Vergleichsprozeß, dann betreibe oder mache oder tue ich Benchmarking. Das ist zwar nicht zu verstehen, denn was soll das heißen: einen Prozeß  mit einem Prozeß analysieren? Oder ist gemeint, daß der zu analysierende Prozeß einen Prozeß hat, d. h. ein Prozeß „mit“ einem Vergleichsprozeß ist einer, der die Eigenschaft „Vergleichsprozeß“ hat? „Maßstäbe vergleichen“, also z. B. einen Zollstock mit einem anderen, wird „Benchmarking“, anders als Wikipedia behauptet, wohl nicht heißen. Vermutlich bedeutet es nur, daß man einen Prozeß mit einem anderen Prozeß vergleicht. Wenn die Mutter also schaut, ob Fritzchen schneller wächst als Fränzchen, dann ist das Benchmarking. Man sieht: Falls überhaupt ein neuer Fachausdruck unverzichtbar ist, dann dieser.

Dienstag, 10. April 2012

Wo er recht hat, hat er recht

Henryk Broder mögen viele nicht, und auch ich finde, daß man etliches von dem, was er von sich gibt, kritisieren kann, ja muß. Das hat er allerdings mit allen anderen gemeinsam, die ich kenne. Aber daß er auf seiner Homepage[1] ankündigt, den Gebrauch der Formeln und Sprüche „die Menschen da abholen, wo sie sind“, „Menschen einbinden“, „mehr Praxisnähe“, „Inhalte transportieren“, „Kreativität“ und was sonst von dieser Art ist mit dem sofortigen Abbruch der Kommunikation zu ahnden, muß doch auch seine ärgsten Feinde für ihn einnehmen.

Samstag, 7. April 2012

Herausforderungsunterstützer


„Ein Umbau unseres Sozialsystems unterstützt auch die ökologischen Herausforderungen, vor denen wir stehen.“[1]
Wenn man Herausforderungen unterstützt, dann werden sie, falls sonst alles gleich bleibt, größer. Das werden die Grünen nicht meinen. Die Hauptsache ist, sie haben die Wörter ökologisch, Umbau und Herausforderungen wieder mal irgendwie untergebracht.

Mittwoch, 4. April 2012

Gutachten


„Der FDP Abgeordnete Meierhofer, der Mitglied des Ausschusses für Umweltschutz ist, empfahl, von einem unabhängigen Gutachter klären zu lassen, ob und welcher Zusammenhang zwischen den Baumaßnahmen zum Hochwasserschutz und der Überflutung der Anliegerkeller bestehe. Der Kreisvorsitzende der FDP, Dr. Volker Stoltz, und der FDP Gemeinderat, Karl Deisler, sagten zu, in Zusammenarbeit mit den Anliegern auf die bayerische Staatsregierung einzuwirken, ein solches Gutachten zu beauftragen.“ Das schreibt der Kreisverband Miesbach der FDP.[1]
Die Führungen von CDU und FDP haben ja beschlossen, der deutschen Sprache Verfassungsschutz zu gewähren. Zumindest wollen sie versuchen, auf die Gesetzgebung entsprechend einzuwirken. Das ist lobenswert, aber man fragt sich, ob sie damit bei ihren Kreisverbänden nicht auf Widerstand stoßen werden. Mir sind in den paar Zeilen vier Fehler aufgefallen; vielleicht gelingt es Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, noch mehr zu finden. Hinweisen möchte ich nur auf einen. Man kann zwar, wie der Abgeordnete Meierhofer zu Recht feststellt, etwas von einem Gutachter klären lassen, diesen also mit einem Gutachten beauftragen. Aber ein Gutachten beauftragen kann weder die bayerische Staatsregierung noch sonst jemand, selbst dann nicht, wenn Herr Deisler und Herr Dr. Stolz noch so viel Druck machen. Wie soll ein Gutachten, das weder Augen noch Ohren noch irgendwelche anderen Sinne hat, überhaupt merken, daß es einen Auftrag bekommen hat? 

Montag, 2. April 2012

Nicht ausschließen


„Die Bundesregierung kann daher nicht ausschließen, dass islamistische Gruppierungen weiterhin versuchen werden, Anschläge in Deutschland zu verüben.“ Das antwortete sie auf eine parlamentarische Anfrage.[1]
Man fragt sich, warum sie sich diese Mühe macht. Selbstverständlich kann sie das nicht ausschließen. Sie kann auch nicht ausschließen, daß katholische Gruppierungen weiterhin versuchen werden, Ketzer zu verbrennen; nicht einmal der Papst kann das ausschließen. Niemand kann ausschließen, daß nächste Woche Außerirdische landen und versuchen, Anschläge in Deutschland zu verüben. Vermutlich wollte die Bundesregierung sagen, daß sie es für gar nicht so unwahrscheinlich hält, daß islamistische Gruppierungen Anschläge verüben werden.