„Auch in 2012 darf man ‚in 2012’ sagen“, schreibt der Hamburger Linguistik-Professor A. Stefanowitsch in seinem Blog und er bringt auch gleich den Beweis dafür: Es ist gar kein Anglizismus, denn, das hat er bei seinen Forschungen herausgefunden, man hat es gelegentlich auch schon vor zwei- oder dreihundert Jahren und noch früher verwendet, und sogar „In Anno Domini“ ist vorgekommen. Eigentlich macht es ja nichts, wenn ein Wort ein Anglizismus ist, denn „die Entlehnung von Wörtern ist ein natürlicher Prozess, der in jeder Sprache stattfindet“, und deshalb soll er stattfinden, wie man in diesen Kreisen, hinter David Hume zurückplumpsend, denkt. Aber wenn es sich herausstellt, daß es doch kein Anglizismus ist, ist's noch viel schöner. Das ist die Grundüberzeugung der Anglisierungsnazis.
Das ist übrigens kein „Nazi-Vergleich“. In den Kreisen der Anglizismenfreunde redet man halt so. Stefan Sasse nennt Bastian Sick „die Heilsfigur der Sprachschützer und Grammatiknazis“, aber eben: „Das ist übrigens kein ‚Nazi-Vergleich’“. Es ist vielmehr so: „Ein Nazi-Vergleich wäre ‚Bastian Sicks Positionen sind wie die der Nazis’.
’Grammatiknazi’ ist vielmehr eine Eindeutschung eines Phänomens, das im Englischen seit vielen Jahren bekannt ist, nämlich ‚nazi’ an eine beliebige Zuschreibung anzuhängen, um eine radikale Position anzudeuten.“ Da sieht man, wie segensreich die Anglizismen sind. (Herr Stefanowitsch wird aufschreien: Die Linguistik hat doch nachgewiesen, daß „Nazi“ aus dem Deutschen stammt; aber für Herrn Sasse ist es nun einmal nur deshalb akzeptabel, weil es aus dem Englischen stammt.) Jetzt haben wir endlich ein passendes Wort für Herrn Brüderle: Er ist ein Wirtschaftsnazi, die Engländer und Amerikaner reden ja so und also müssen wir es auch. Eine gewisse Entdifferenzierung, zugegeben. Aber ein passendes Wort für die Nazis selbst wird uns schon noch einfallen. Zurück zu A. Stefanowitsch. Sein Artikel zu „in 2012“ hat eine rege Diskussion ausgelöst. Das eine wichtige Argument bringt gleich eine der ersten Kommentatorinnen: „Die schleichende Einführung der Präposition ‚in’ begann Ende der 70er Jahre und ist ein eindeutiger Anglizismus, egal was die Römer sagten“ (Eva Tanner). Ein derart komplizierter Gedanke aber ist in die Köpfe der gelehrten Linguisten offenbar nicht hineinzubringen. Das zweite wichtige Argument bringt die Kommentatorin Sabine: „Ob es nun ein Anglizismus ist oder nicht, ist doch egal. In jedem Fall handelt es sich um eine sprachliche Wichtigtuerei ...“. Das verstehen die Linguisten noch weniger. Sie glauben immer, bei der Schlacht für und wider Anglizismen ginge es darum, ob die deutsche Sprache rein zu bleiben hat, vielleicht, weil es einige Chauvinisten gibt, denen das in der Tat ein Anliegen ist. Und dann freuen sich die Anglizismenfreunde, wenn es ihnen nachzuweisen gelingt, daß ein Wort angloamerikanischer Herkunft im Deutschen schon früher benutzt wurde und damals gar nicht aus England oder Amerika kam. Das freut sie selbst dann, wenn es auf der Hand liegt, daß es jetzt nicht deshalb benutzt wird, weil es früher einmal im Deutschen vorkam, sondern einzig und allein deshalb, weil es sich englisch oder richtiger amerikanisch anhört. Wer heute „in 2012“ sagt, täte das ja nicht, wenn er wüßte, daß 1783 nicht in New York, sondern in Bielefeld jemand so geredet hat. Es wäre ihm peinlich, denn altmodisch und provinziell will er ja gerade nicht wirken.
Die Anglisierungsnazis (noch einmal: keine politische Anschuldigung, nur ein unschuldiger Anglizismus) können sich gar nicht vorstellen, daß einem die Reinheit der deutschen Sprache völlig egal sein kann oder daß man „Reinheit“ in diesem Zusammenhang ohnehin für einen unsinnigen Begriff hält, und daß einem die Anglizismen trotzdem auf die Nerven gehen. Oder richtiger: nicht die Anglizismen, sondern die, die sie verwenden. Denn manchem ist es schwer erträglich, sich ständig von Leuten umwinselt zu sehen, deren Wortwahl immerzu den Subtext offenbart: Halte mich doch bittebitte nicht für den Provinzler, für den ich mich selber halte.
Ich bin mir ziemlich sicher, daß bei den meisten, die etwas gegen die Anglisierung haben, das der Grund ist und nicht irgendein Kulturnationalismus. Daß Anglizismen eine solche Verbreitung haben, ist in der Tat nichts per se Schlechtes. Es war auch nichts per se Schlechtes, daß sich Latinismen und schließlich das Lateinische selbst im römischen Reich ausgebreitet haben und auf diese Weise Sprachen wie Französisch, Spanisch und Rumänisch entstanden, die wir ja nicht missen wollen, auch wenn es bedauerlich sein mag, daß dadurch die iberischen, die gallischen und einige duzend oder hundert andere Sprachen verschwunden sind. Aber auch wenn es nichts per se Schlechtes ist – die Gründe, warum sich Anglizismen heute ausbreiten, sind leider fast immer schlecht. Natürlich, es gibt auch ein paar gute, aber eben nur ein paar. Weitaus häufiger ist, daß man glaubt, für einen Hinterwäldler gehalten zu werden und deshalb einen Schutzwall aus weltmännisch und modern klingenden Wörtern um sich errichtet. Man will sich aufblasen, weil man's nötig hat.
Also nichts gegen die Anglizismen, aber den Importeuren der Anglizismen kann ich nicht viel Liebe entgegenbringen. Gewiß, aufblasen kann man sich mit originaldeutschen Wörtern oder mit Fremdwörtern lateinischer und griechischer Herkunft auch, das macht aber diejenigen nicht sympathischer, die es mit englischen versuchen.