Die
deutsche Sprache ist gewiß, wie die in diesem Blog kommentierten Beispiele Woche
für Woche zeigen, schwer, aber einige meistern sie. Dazu gehören zumindest
manchmal die Überschriftenschreiber des Tagesspiegel.
„Wowereit:
Berlin wird Europas Metropole“, lautet eine Hauptüberschrift.[1]
Gutgläubige Leser wie ich und die meisten anderen verstehen das als Vorhersage
und staunen. DIE Metropole Europas wird Berlin, meint Wowereit? Also vor Paris
und London? Da stand Berlin ja nicht einmal in den zwanziger Jahren. Man hält
den Bürgermeister für einen Aufschneider. Will uns der Tagespiegel mitteilen,
daß er einer ist und ihm damit schaden oder will er ihn beim Aufschneiden
unterstützen?
Oder hat
Wowereit gute Gründe für seine Prophezeiung? Lesen wir im Artikel nach: „Berlin
soll sich zur ‚zukunftsfähigsten Metropole Europas’ mit einer starken Wirtschaft,
Toleranz, fairen Löhnen und sozialem Zusammenhalt entwickeln, hat der Regierende
Bürgermeister in seiner Regierungserklärung betont.“ Also Berlin wird nicht die Metropole Europas, sondern nur eine, vielleicht eine unter vielen, also
das, was die Stadt schon ist. Und sie wird das gar nicht – bzw. das wissen wir
nicht –, sondern sie soll es nur werden. Allerdings soll Berlin die
zukunftsfähigste unter den Metropolen werden. Das kann man nur so lesen: Alle
anderen haben, verglichen mit Berlin jedenfalls, keine Zukunft, sind also bald
keine Metropolen mehr, verglichen mit Berlin jedenfalls; auch Paris und London.
Also bleibt nur Berlin übrig. Wir sind wieder da, wo wir schon waren. Auch wenn
es nicht ganz ausgeschlossen ist, daß Berlin es zu einer starken Wirtschaft, zu
Toleranz, fairen Löhnen und sozialem Zusammenhalt bringt (was das, die starke
Wirtschaft vielleicht ausgenommen, mit „Zukunftsfähigkeit“ zu tun haben soll,
bleibt dunkel): daß die Stadt es irgendwie dazu bringen könnte, hinsichtlich
der Eigenschaften, die eine Metropole ausmachen, Paris und London zu überholen,
glaubt man dem Herrn Wowereit auch dann nicht, wenn er uns seinen Plan erzählt,
es auf dem Weg über die Zukunftsfähigkeit zu erreichen, und hält ihn einen
falschen Propheten.
Aber das
ist er gar nicht. Denn er hat, wie gesagt, nur gesagt, daß sie sich zur „zukunftsfähigsten
Metropole Europas“ entwickeln soll,
daß er das gerne möchte oder daß er
andere anweist, in diese Richtung zu wirken. Haben wir also den Tagesspiegel der
Lüge überführt, weil er ihn als Propheten darstellt, wo der Satz doch gar nicht
als Prophezeiung gemeint sein muß? Dies auch nicht, die Überschrift sagt nichts
anderes als das, was im Artikel als die eigene Aussage des Bürgermeisters
zitiert wird. Denn „Berlin wird Europas Metropole“ muß ja nicht als Vorhersage
gelesen werden, das tun ja nur wir Leser in unserer Beschränktheit. „Ihr geht jetzt
sofort schlafen!“ ist ja auch keine, sondern ein – meist frommer – Wunsch, als
Befehl formuliert. Auch in der Überschrift wird nur behauptet, daß der
Bürgermeister sich wünscht, daß Berlin die Metropole Europas wird, und das ist
sicher richtig. Vermutlich wünschen sich das der Bürgermeister von München und
der von Düsseldorf auch, ohne es doch prophezeien zu wollen. Jedenfalls bleibt
es dabei: Daß der Tagesspiegel ein seriöses Blatt ist, ist nicht zu widerlegen.
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