Mittwoch, 14. März 2012

Still gestanden


Seit einigen Monaten fällt mir eine rasante Zunahme des englischen Wortes „still“ – allerdings großgeschrieben, also fälschlicherweise als Lehnwort benutzt – auf, und zwar zur Bezeichnung eines Standfotos aus einem Film. Bis vor kurzem kannte ich es nur aus dem Internet, und zwar in den dort üblichen Pidgin-Texten, also solchen, die man zwar bei Google unter „deutschsprachig“ findet, die aber nicht den Anspruch erheben, deutsch zu sein, allerdings auch nicht englisch. Nun aber taucht es auch in Druckwerken auf, die deutsch sein möchten. Am 8.8.11 war es zwei Mal in der taz zu sehen („Still aus dem chinesischen Erzählexperiment ‚Thomas Mao’“, „Still aus ‚Videokaraan’“). Die Verteidiger der Anglisierung des Deutschen – sie sind selten, aber meist eifernd und vor allem überaus durchsetzungsfähig, denn sie sprechen ja nur die geheimen Wünsche der großen Mehrheit der Deutschen aus, die die Anglisierung verabscheut – werden wieder sagen: na und? Damit wird das Deutsche doch wieder einmal bereichert, denn „Standfoto“ trifft's doch gar nicht richtig, wer würde denn „Standfoto aus ...“ schreiben? Und außerdem ist's ökonomischer, „Still“ ist kürzer als „Standfoto“.
Aber wer hätte denn „Standfoto aus ...“ geschrieben? Sondern man hätte vor einigen Wochen einfach den Filmtitel hingeschrieben, vielleicht ein „Aus“ davor, also noch kürzer, oder man hätte die dargestellte Szene beschrieben, vielleicht mit einem einzigen Wort. Nein, es gibt, wie meist, keinerlei Bedarf, der Grund der Neuerung ist auch hier, wie fast immer, nichts als die Hoffnung des Schreibers, cool und weltläufig zu erscheinen. Gerade bei der taz hat man das ja nötig.


2 Kommentare:

Michael Allers hat gesagt…

Sollte Ihr sonstiger Scharfsinn am 14.03. Urlaub gehabt haben?

1. Warum wird Still "fälschlicherweise als Lehnwort benutzt"? Es ist ein Lehnwort, eben weil es (nicht erst seit ein paar Monaten) von Deutschen häufig benutzt wird. Wie sonst sollten ausländische Wörter zu Lehnwörtern werden - aufgrund Ernennung durch den Bundespräsidenten?

Außerdem sollte es m.E. mit Leerzeichen "groß geschrieben" heißen. Das hat nichts mit Rechtschreibreform, sondern mit Sprachgefühl zu tun.

2. "Die Verteidiger der Anglisierung des Deutschen – sie sind ... vor allem überaus durchsetzungsfähig, denn sie sprechen ... die geheimen Wünsche der großen Mehrheit der Deutschen aus, die die Anglisierung verabscheut ..."
D.h., die Verteidiger der Anglisierung sprechen die Wünsche derjenigen aus, welche die Anglisierung verabscheuen? Tut mir leid, das verstehe ich nicht.

3. Natürlich ist das Weglassen von Wörtern - egal in oder aus welcher Sprache - am allerökonomischsten. Jedoch sollte die Botschaft erhalten bleiben. Bei Still lautet diese i.d.R.:
'Wir bitten die schlechte Bildqualität zu entschuldigen; das Bild wurde per Screenshot erzeugt.' Das Wort ist also mitnichten überflüssig. Ähnlicher Fall: unscharfe, verwackelte Filmaufnahmen in Nachrichten. Da wird meist das urdeutsche Wort 'Amateurvideo' eingeblendet. Stört Sie das auch?

Ludwig Trepl hat gesagt…

@ Michael Allers:
Bei "großgeschrieben" könnten Sie recht haben, da schwankt mein Sprachgefühl. Je länger ich es mir ansehe, desto eher neige ich dazu, "geschrieben" zu betonen, d. h. ein Leerzeichen einzusetzen. Aber da ich ja nicht das Schreiben, sondern das Großschreiben betonen möchte, geht die Tendenz dann doch wieder zum Zusammenschreiben.

In der Frage Lehnwort bleibe ich dabei. Lehnwörter sind Pullover, Sport oder fair. Aber daß man in gewissen Kreisen sich gezwungen sieht, dem Pizzeria-Kellner die zehn italienischen Wörter mitzuteilen, die man kennt, macht diese ebenso wenig zu Lehnwörter wie das "na zdarowje" (schreibt man das so?), das man in manchen Kreisen dem "prost" vorzieht. Es sind fremdsprachige Wörter, die man hier und da im Deutschen benutzt. "Still" kannte ich vor wenigen Monaten noch nicht, und ich bin sicher, daß es die meisten meiner Bekannten auch nicht kannten (na ja, ich lebe halt in Berlin, da geht alles etwas langsamer). -

Daher ist mir das mit der Zusatzbotschaft (Punkt 3) nicht bekannt gewesen.

Zu Punkt (2): Was verstehen Sie denn da nicht? Mit den "geheimen" Wünschen sind ja nicht die gemeint, die man der Öffentlichkeit verheimlicht, sondern die, die man vor sich selbst verheimlicht; "verdrängt" sagen da, glaub ich, die Psychologen.