Mittwoch, 7. September 2011

Studierende und Vorsitzende

Der Hamburger Liguistikprofessor A. Stefanowitsch hat allen Ernstes den modischen Gebrauch von „Studierender“ verteidigt.[1] Er meint, es gebe ja auch den Vorsitzenden, und man verstehe ja, was mit „Studierender“ gemeint ist – also was die Politkorrektler damit meinen –, das reiche schon. Er ist offenbar mit etlichen anderen Linguisten der Meinung, daß man statt „die Polizei hat den Täter gefaßt“ auch schreiben darf „die Polizei hat den Tuenden gefaßt“. Verstanden wird das sicher auch, und man tut ja nichts anderes als im Falle des Vorsitzenden, und wer möchte bezweifeln, daß „Vorsitzender“ richtig ist?
„Das Partizip 1 ist eine Verlaufsform, man drückt mit ihm aus, daß etwas gerade jetzt passiert. Man kann mit ihm nicht einen Dauerzustand bezeichnen und auch nicht z. B. einen durch eine typische Tätigkeit charakterisierten Beruf.“ Das habe ich vor einiger Zeit in diesem Blog (siehe Kunstmalende) geschrieben. Diese Regel, meint Stefanowitsch, gilt nicht mehr, wenn es eine Ausnahme gibt. – Es gibt nicht nur diese Ausnahme, sondern einige, wenn auch nur wenige mehr, z. B. „Lehrende und Lernende“. Aber das ist eben das Wesen von Regeln: Sie kennen Ausnahmen, das unterscheidet sie von Gesetzen. Eine Ausnahme muß sich eigens rechtfertigen lassen, kann man das nicht, ist die Regel anzuwenden. Die genannte gilt in beliebig vielen Fällen bzw. sie gilt für so viele Wörter, wie es Verben gibt; für jedes beliebige Verb gilt, daß das Partizip 1 eine Verlaufsform ist. Die wenigen Ausnahmen sind, vermute ich, alle auf dem Weg über fehlerhafte Verwendung (in Sondersprachen, wo bekanntlich jeder Unsinn möglich ist, im Falle von „Vorsitzender“ und „Alleinerziehender“ in der Amtssprache) entstanden, bis irgendwann durch lange Gewohnheit der Fehler nicht mehr bemerkt wurde. „Studierende“ ist auch in einer Sondersprache entstanden, im Jargon von Politkorrektlern, also derer, die davon träumen und es sicher bald in Angriff nehmen, das lästige „Täterinnen und Täter“, zu dem sie sich gendermäßig oder wie das heißt verpflichtet sehen, durch „Tuende“ zu ersetzen. – Sicher wird auch bei „Studierende“ der Fehler eines Tages nicht mehr bemerkt werden, denn die genderbewußten Sprachreiniger sind eine Macht. Aber so lange es noch jemanden gibt, der ihn bemerkt, bleibt er ein Fehler.

Ich glaube durchaus, daß man von den Linguisten allerlei wichtige Dinge lernen kann, aber wenn es darum geht, was richtiges Sprechen ist,  dann fragt man doch besser einen Deutschlehrer oder einfach jemanden, der deutsch kann.

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