Montag, 1. August 2011

Sarrazinisierung


„Antonius“ schreibt in einem Kommentar zu Yodelling für Sarrazin[1]:
„’Sarrazinierung’ ist kein Problem für die deutsche Sprache; wohl aber Verlust der Grammatik.“
„Sarrazinierung“ bezieht sich darauf, daß ich geschrieben habe: „Sarrazin hat mehr als recht; nicht nur Deutschland, auch Österreich schafft sich ab. Die Sprache ist schon so gut wie abgeschafft, nur – da irrt er ein kleines bißchen – nicht zugunsten von Türkisch und Arabisch.“ Abgeschafft ist sie in dem Satz aus einer österreichischen Werbung, den ich zitiere und kommentiere. Der Satz enthält außer vielen gerade jetzt im Einwandern begriffenen englischen Wörtern nur ganz wenige deutsche.
Was „Antonius“ schreibt, ist eine unter Sprachwissenschaftlern sehr verbreitete Auffassung. Selbstverständlich ist sie aber keineswegs. Sie können meinetwegen, wenn sie unter sich sind, den Begriff der Sprache im Hinblick darauf, unter welchen Bedingungen man davon zu sprechen hat, daß sie eine andere geworden ist, so verwenden. Das mag für die Forschung Vorteile haben, aber es ist nicht der Begriff, den die Sprache selbst von sich hat. Es ist eine Nominaldefinition, die sie da vornehmen, eine Festsetzung des Sprachgebrauchs; bemühten sie sich um eine Realdefinition, eine Feststellung des Sprachgebrauchs, und zwar in dem Sinne, daß die Definition die wirkliche Verwendung in der deutschen Sprache erfaßt, käme etwas anderes heraus: Behielte man die Struktur bei und ersetzte alle Wörter der deutschen Sprache durch chinesische, könnte man in der deutschen Sprache – anders als in der Fachsprache der Linguisten – nicht mehr sagen, das sei noch deutsch. Denn dafür ist auch wesentlich, daß wir uns ist dieser Sprache untereinander verstehen können.
Richtig ist allerdings, daß sich aus lauter Wörtern fremder Herkunft – und zwar auch frisch eingebürgerten, nicht nur solchen wie Fenster oder Joghurt, Sport oder Training – deutsche Sätze bilden lassen, wenn man Deutsch kann; was aber unter denen, die beim Einbürgerungsgeschäft besonders eifrig sind, jedoch auch unter den Sprachreinigern nicht allzu häufig vorkommt. Deutsch können heißt nicht nur, sich in der Struktur der deutschen Sprache auskennen, die Regeln insbesondere der Grammatik kennen oder fühlen – und zwar so gut, daß man sich nicht immer an sie halten muß –, sondern auch und sogar vor allem ein Gespür für den richtigen Gebrauch der Wörter zu haben, für die Nuancen ihrer Bedeutungen in unterschiedlichen Kontexten.

Doch mich interessiert die Anglisierung des Deutschen als ein  Problem der Sprachwissenschaft zumindest hier in diesem Blog nur ganz am Rande. Mich interessiert wenig, ob die deutsche Sprache durch das Eindringen englischer Wörter gefährdet ist, ob eine Sprache überhaupt auf diese Weise geschädigt werden kann oder ob „Schädigung“ überhaupt ein auf eine Sprache anwendbarer Begriff ist. Mich interessieren die Sprecher der Sprache, mich interessiert, was in einem Kopf vorgeht, der es für nötig hält, „Waldlauf“ aus seinem Wortschatz zu streichen und durch „Jogging“ zu ersetzen, und auf welche Art von Nationalcharakter es hinweist, wenn fast alle Angehörigen der Nation zumindest innerlich schamrot werden, sowie ihnen bewußt wird, daß sie ein amerikanisches oder französisches Wort falsch ausgesprochen haben, nämlich so, wie sie es aussprächen, wenn es ein deutsches wäre – während sie sich nicht die geringste Mühe geben, ein polnisches so auszusprechen, wie es im Polnischen ausgesprochen wird.

Keine Kommentare: