Sonntag, 27. Februar 2011

Freunde der Weisheit

Ich vermute, es begann vor drei oder vier Jahrzehnten. Da mußte ein Mitarbeiter einer amerikanischen Firma einen Brief an eine deutsche schreiben. Heute ist es ja so: Wenn ein Mitarbeiter einer deutschen Firma einen Brief an eine andere deutsche schreibt, dann übersetzt er das, was er an Deutsch noch im Kopf hat, ins Englische; nicht etwa weil er meint, dort könnte keiner einen deutschen Brief lesen, sondern weil es ihm peinlich ist, deutsch zu schreiben. Aber damals konnte unser amerikanischer Briefschreiber nicht damit rechnen, daß der deutsche Adressat Englisch kann. Außerdem galt es als unhöflich, jemanden in einer anderen Sprache anzusprechen als in dessen Muttersprache, zumindest gehörte es sich, sich dafür zu entschuldigen.
Nun hatte er „business philosophy“ zu übersetzen. Er wußte nicht, daß das „Geschäftsgrundsätze“ heißt, aber er wußte, daß sich „philosophy“ mit „Philosophie“ übersetzen läßt. Unbekannt war ihm wiederum, daß das zwar in vielen, aber doch nicht in allen Fällen möglich ist. So ist die „Unternehmensphilosophie“ entstanden und das Unglück nahm seinen Lauf. 173.000 Treffer ergibt das Wort heute (Mai 2010) bei Google.
Philosophie ist das, was Leute wie Platon, Leibniz oder Hegel gemacht haben. Man unterscheidet z. B. Naturphilosophie, Kulturphilosophie, Religionsphilosophie und Technikphilosophie. Unternehmensphilosophie hätte entsprechend Unternehmen zum Gegenstand, sie wäre die Philosophie des Unternehmens ist dem Sinne, wie Religionsphilosophie die Philosophie der Religion ist. Wer Unternehmensphilosophie betreibt, müßte Platon, Leibniz und Hegel und noch viele andere Philosophen gelesen haben, sonst könnte man das Ergebnis nicht Philosophie nennen. Wenn ein Unternehmer Platon, Leibniz und Hegel gelesen hat und auf dieser Basis ein Konzept für seine Firma entwickelt, ist das keine Unternehmensphilosophie. Man könnte es vielleicht philosophisch begründete Geschäftsgrundsätze nennen. Hieße das, was sich heute Unternehmensphilosophie nennt, zu Recht so, dann wäre die unausweichliche Konsequenz, daß man Zehntausende von Firmeninhabern und Managern Philosophen nennen müßte. Da würden sich garantiert sämtliche Philosophen, von Thales von Milet an, im Grab umdrehen. Das müßte eigentlich genügen.
Tut es aber nicht, denn da kommt doch noch ein Schlaumeier, wahrscheinlich ein studierter Betriebswirt, und sagt: Aber „Unternehmensphilosophie“ umfaßt doch mehr als nur Geschäftsgrundsätze. Nun, nach den Definitionen, die ich im Internet gefunden habe, nicht, aber in der Praxis schon: „Unsere Unternehmensphilosophie. Der Kunde im Mittelpunkt. Wenn wir von Unternehmensphilosophie sprechen, ist eigentlich von unseren Kunden die Rede. Denn wir stellen die Erwartungen und den Erfolg unserer Kunden in den Mittelpunkt. Dies haben wir in einer Reihe von grundlegenden Werten definiert: Innovation und Qualitätsbewußtsein bestimmen unsere Produkte und unser Handeln. Fairness, Partnerschaftlichkeit und Seriosität leben wir im Umgang mit Kunden und Mitarbeitern.“[1]
Das sind in der Tat keine Geschäftsgrundsätze. Aber Philosophie ist es auch nicht. Man nennt es Reklame.

2 Kommentare:

Michael Allers hat gesagt…

Das heißt, die anglo-amerikanische Idee der business philosophy ist völlig absurd und abwegig, weil die Verwender vermutlich nicht Platon, Leibnis und Hegel gelesen haben? Putzige Idee.
Seltsam nur, dass so viele Firmen mit solch hanebüchenen Begriffen so erfolgreich sind.
Lerneffekt (?): Englisch ist eigentlich falsches Deutsch - oder so ...

Ludwig Trepl hat gesagt…

Wieso das denn? Natürlich ist es völlig in Ordnung, wenn die Angloamerikaner business philosophy sagen, denn das bedeutet nicht Unternehmensphilosophie, sondern Geschäftsgrundsätze, und warum sollen sie nicht von Geschäftsgrundsätzen reden, wenn sie Geschäftsgrundsätze meinen? Aber das deutsche Wort Philosophie bedeutet nun einmal etwas völlig anderes.
Und wieso die Verwunderung darüber, daß "so viele Firmen mit solch hanebüchenen Begriffen so erfolgreich sind"? Das ist ja das Kennzeichen unserer Zeit, wenn nicht aller Zeiten: daß man gerade mit hanebüchenen Begriffen Erfolg hat. Einen Politiker z. B., der nicht solche Begriffe benutzt, gibt es vielleicht gar nicht.